Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft. haben und noch beobachten. Allein diese Gemüthsstim-mung ist auch bey weitem nicht mit der Jdee der Erha- benheit einer Religion und ihres Gegenstandes an sich und nothwendig verbunden. Der Mensch, der sich wirk- lich fürchtet, weil er dazu in sich Ursache findet, indem er sich bewußt ist, mit seiner verwerflichen Gesinnung wider eine Macht zu verstoßen, deren Wille unwidersteh- lich und zugleich gerecht ist, ist in gar keiner Gemüths- fassung um die göttliche Größe zu bewundern, wozu eine Stimmung zur ruhigen Contemplation und zwangfreyes Urtheil erforderlich ist. Nur alsdenn, wenn er sich sei- ner aufrichtigen gottgefälligen Gesinnung bewußt ist, dienen jene Wirkungen seiner Macht in ihm die Jdee der Erhabenheit dieses Wesens zu erwecken, sofern er einer seinem Willen gemäßen Erhabenheit der Gesinnung an ihm selbst bewußt ist und dadurch über die Furcht vor sol- chen Wirkungen der Natur, die er nicht als Ausbrüche seines Zorns ansieht, erhoben wird. Selbst die De- muth, als unnachsichtliche Beurtheilung seiner Mängel, die sonst, beym Bewußtseyn guter Gesinnungen, leicht mit der Gebrechlichkeit der menschlichen Natur bemän- telt werden könnten, ist eine erhabene Gemüthsstim- mung, sich willkührlich dem Schmerze der Selbstver- weise zu unterwerfen, um die Ursache dazu nach und nach zu vertilgen. Auf solche Weise allein unterscheidet sich innerlich Religion von Superstition, welche letztere nicht Ehrfurcht für das Erhabene, sondern Furcht und I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. haben und noch beobachten. Allein dieſe Gemuͤthsſtim-mung iſt auch bey weitem nicht mit der Jdee der Erha- benheit einer Religion und ihres Gegenſtandes an ſich und nothwendig verbunden. Der Menſch, der ſich wirk- lich fuͤrchtet, weil er dazu in ſich Urſache findet, indem er ſich bewußt iſt, mit ſeiner verwerflichen Geſinnung wider eine Macht zu verſtoßen, deren Wille unwiderſteh- lich und zugleich gerecht iſt, iſt in gar keiner Gemuͤths- faſſung um die goͤttliche Groͤße zu bewundern, wozu eine Stimmung zur ruhigen Contemplation und zwangfreyes Urtheil erforderlich iſt. Nur alsdenn, wenn er ſich ſei- ner aufrichtigen gottgefaͤlligen Geſinnung bewußt iſt, dienen jene Wirkungen ſeiner Macht in ihm die Jdee der Erhabenheit dieſes Weſens zu erwecken, ſofern er einer ſeinem Willen gemaͤßen Erhabenheit der Geſinnung an ihm ſelbſt bewußt iſt und dadurch uͤber die Furcht vor ſol- chen Wirkungen der Natur, die er nicht als Ausbruͤche ſeines Zorns anſieht, erhoben wird. Selbſt die De- muth, als unnachſichtliche Beurtheilung ſeiner Maͤngel, die ſonſt, beym Bewußtſeyn guter Geſinnungen, leicht mit der Gebrechlichkeit der menſchlichen Natur bemaͤn- telt werden koͤnnten, iſt eine erhabene Gemuͤthsſtim- mung, ſich willkuͤhrlich dem Schmerze der Selbſtver- weiſe zu unterwerfen, um die Urſache dazu nach und nach zu vertilgen. Auf ſolche Weiſe allein unterſcheidet ſich innerlich Religion von Superſtition, welche letztere nicht Ehrfurcht fuͤr das Erhabene, ſondern Furcht und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0171" n="107"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> haben und noch beobachten. Allein dieſe Gemuͤthsſtim-<lb/> mung iſt auch bey weitem nicht mit der Jdee der <hi rendition="#fr">Erha-<lb/> benheit</hi> einer Religion und ihres Gegenſtandes an ſich<lb/> und nothwendig verbunden. 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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
haben und noch beobachten. Allein dieſe Gemuͤthsſtim-
mung iſt auch bey weitem nicht mit der Jdee der Erha-
benheit einer Religion und ihres Gegenſtandes an ſich
und nothwendig verbunden. Der Menſch, der ſich wirk-
lich fuͤrchtet, weil er dazu in ſich Urſache findet, indem
er ſich bewußt iſt, mit ſeiner verwerflichen Geſinnung
wider eine Macht zu verſtoßen, deren Wille unwiderſteh-
lich und zugleich gerecht iſt, iſt in gar keiner Gemuͤths-
faſſung um die goͤttliche Groͤße zu bewundern, wozu eine
Stimmung zur ruhigen Contemplation und zwangfreyes
Urtheil erforderlich iſt. Nur alsdenn, wenn er ſich ſei-
ner aufrichtigen gottgefaͤlligen Geſinnung bewußt iſt,
dienen jene Wirkungen ſeiner Macht in ihm die Jdee der
Erhabenheit dieſes Weſens zu erwecken, ſofern er einer
ſeinem Willen gemaͤßen Erhabenheit der Geſinnung an
ihm ſelbſt bewußt iſt und dadurch uͤber die Furcht vor ſol-
chen Wirkungen der Natur, die er nicht als Ausbruͤche
ſeines Zorns anſieht, erhoben wird. Selbſt die De-
muth, als unnachſichtliche Beurtheilung ſeiner Maͤngel,
die ſonſt, beym Bewußtſeyn guter Geſinnungen, leicht
mit der Gebrechlichkeit der menſchlichen Natur bemaͤn-
telt werden koͤnnten, iſt eine erhabene Gemuͤthsſtim-
mung, ſich willkuͤhrlich dem Schmerze der Selbſtver-
weiſe zu unterwerfen, um die Urſache dazu nach und
nach zu vertilgen. Auf ſolche Weiſe allein unterſcheidet
ſich innerlich Religion von Superſtition, welche letztere
nicht Ehrfurcht fuͤr das Erhabene, ſondern Furcht und
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