Angst vor das übermächtige Wesen, dessen Willen der erschreckte Mensch sich unterworfen sieht, ohne ihn doch hochzuschätzen, im Gemüthe gründet, woraus denn freylich nichts als Gunstbewerbung und Einschmeiche- lung, statt einer Religion des guten Lebenswandels ent- springen kann.
Also ist die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserm Gemüthe enthalten, sofern wir der Natur in uns und dadurch auch der Natur (sofern sie auf uns einfließt) außer uns, überlegen zu seyn uns bewußt werden können. Alles, was dieses Gefühl in uns erregt, wozu die Macht der Natur gehört, welche unsere Kräfte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei- gentlich) erhaben, und nur unter der Voraussetzung dieser Jdee in uns und in Beziehung auf sie sind wir fähig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen Wesens zu gelangen, welches nicht blos durch seine Macht die es in der Natur beweiset, innige Achtung in uns wirkt, sondern noch mehr durch das Vermögen, welches in uns gelegt ist, jene ohne Furcht zu beurtheilen und unsere Bestimmung als über sie erhaben zu denken.
§. 29. Von der Modalität des Urtheils über das Erhabene der Natur.
Es giebt unzählige Dinge der schönen Natur, dar- über wir Einstimmigkeit des Urtheils mit dem unsrigen
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Angſt vor das uͤbermaͤchtige Weſen, deſſen Willen der erſchreckte Menſch ſich unterworfen ſieht, ohne ihn doch hochzuſchaͤtzen, im Gemuͤthe gruͤndet, woraus denn freylich nichts als Gunſtbewerbung und Einſchmeiche- lung, ſtatt einer Religion des guten Lebenswandels ent- ſpringen kann.
Alſo iſt die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, ſondern nur in unſerm Gemuͤthe enthalten, ſofern wir der Natur in uns und dadurch auch der Natur (ſofern ſie auf uns einfließt) außer uns, uͤberlegen zu ſeyn uns bewußt werden koͤnnen. Alles, was dieſes Gefuͤhl in uns erregt, wozu die Macht der Natur gehoͤrt, welche unſere Kraͤfte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei- gentlich) erhaben, und nur unter der Vorausſetzung dieſer Jdee in uns und in Beziehung auf ſie ſind wir faͤhig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen Weſens zu gelangen, welches nicht blos durch ſeine Macht die es in der Natur beweiſet, innige Achtung in uns wirkt, ſondern noch mehr durch das Vermoͤgen, welches in uns gelegt iſt, jene ohne Furcht zu beurtheilen und unſere Beſtimmung als uͤber ſie erhaben zu denken.
§. 29. Von der Modalitaͤt des Urtheils uͤber das Erhabene der Natur.
Es giebt unzaͤhlige Dinge der ſchoͤnen Natur, dar- uͤber wir Einſtimmigkeit des Urtheils mit dem unſrigen
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Angſt vor das uͤbermaͤchtige Weſen, deſſen Willen der
erſchreckte Menſch ſich unterworfen ſieht, ohne ihn doch
hochzuſchaͤtzen, im Gemuͤthe gruͤndet, woraus denn
freylich nichts als Gunſtbewerbung und Einſchmeiche-
lung, ſtatt einer Religion des guten Lebenswandels ent-
ſpringen kann.
Alſo iſt die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur,
ſondern nur in unſerm Gemuͤthe enthalten, ſofern wir
der Natur in uns und dadurch auch der Natur (ſofern
ſie auf uns einfließt) außer uns, uͤberlegen zu ſeyn uns
bewußt werden koͤnnen. Alles, was dieſes Gefuͤhl in
uns erregt, wozu die Macht der Natur gehoͤrt, welche
unſere Kraͤfte auffordert, heißt alsdenn (obzwar unei-
gentlich) erhaben, und nur unter der Vorausſetzung
dieſer Jdee in uns und in Beziehung auf ſie ſind wir
faͤhig zur Jdee der Erhabenheit desjenigen Weſens zu
gelangen, welches nicht blos durch ſeine Macht die es
in der Natur beweiſet, innige Achtung in uns wirkt,
ſondern noch mehr durch das Vermoͤgen, welches in uns
gelegt iſt, jene ohne Furcht zu beurtheilen und unſere
Beſtimmung als uͤber ſie erhaben zu denken.
§. 29.
Von der Modalitaͤt des Urtheils uͤber das
Erhabene der Natur.
Es giebt unzaͤhlige Dinge der ſchoͤnen Natur, dar-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/172>, abgerufen am 12.12.2024.
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