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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
schmacksurtheils verhinderte, so thut die Verbindung
des Guten (wozu nämlich das Mannigfaltige dem Dinge
selbst, nach seinem Zwecke, gut ist) mit der Schönheit,
der Reinigkeit desselben Abbruch.

Man würde vieles unmittelbar in der Anschauung
gefallendes an einem Gebäude anbringen können, wenn
es nur nicht eine Kirche seyn sollte, eine Gestalt mit
allerley Schnörkeln und leichten doch regelmäßigen Zü-
gen, wie die Neuseeländer mit ihren Tettowiren thun,
verschönern können, wenn es nur nicht ein Mensch wäre,
und dieser könnte viel feinere Züge und einen gefälligeren
sanftern Umris der Gesichtsbildung haben, wenn er nur
nicht einen Mann, oder gar einen kriegerischen vor-
stellen sollte.

Nun ist das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen
in einem Dinge in Beziehung auf den innern Zweck, der
seine Möglichkeit bestimmt, ein Wohlgefallen, das auf
einem Begriffe gegründet ist; das an der Schönheit aber
ist ein solches, welches keinen Begrif voraussetzt, son-
dern mit der Vorstellellung, dadurch der Gegenstand ge-
geben (nicht wodurch er gedacht) wird, unmittelbar ver-
bunden ist. Wenn nun das Geschmacksurtheil, in An-
sehung des letzteren, vom Zwecke in dem ersteren, als
Vernunfturtheile, abhängig gemacht und dadurch ein-
geschränkt wird, so ist jenes nicht mehr ein freyes und
reines Geschmacksurtheil.

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ſchmacksurtheils verhinderte, ſo thut die Verbindung
des Guten (wozu naͤmlich das Mannigfaltige dem Dinge
ſelbſt, nach ſeinem Zwecke, gut iſt) mit der Schoͤnheit,
der Reinigkeit deſſelben Abbruch.

Man wuͤrde vieles unmittelbar in der Anſchauung
gefallendes an einem Gebaͤude anbringen koͤnnen, wenn
es nur nicht eine Kirche ſeyn ſollte, eine Geſtalt mit
allerley Schnoͤrkeln und leichten doch regelmaͤßigen Zuͤ-
gen, wie die Neuſeelaͤnder mit ihren Tettowiren thun,
verſchoͤnern koͤnnen, wenn es nur nicht ein Menſch waͤre,
und dieſer koͤnnte viel feinere Zuͤge und einen gefaͤlligeren
ſanftern Umris der Geſichtsbildung haben, wenn er nur
nicht einen Mann, oder gar einen kriegeriſchen vor-
ſtellen ſollte.

Nun iſt das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen
in einem Dinge in Beziehung auf den innern Zweck, der
ſeine Moͤglichkeit beſtimmt, ein Wohlgefallen, das auf
einem Begriffe gegruͤndet iſt; das an der Schoͤnheit aber
iſt ein ſolches, welches keinen Begrif vorausſetzt, ſon-
dern mit der Vorſtellellung, dadurch der Gegenſtand ge-
geben (nicht wodurch er gedacht) wird, unmittelbar ver-
bunden iſt. Wenn nun das Geſchmacksurtheil, in An-
ſehung des letzteren, vom Zwecke in dem erſteren, als
Vernunfturtheile, abhaͤngig gemacht und dadurch ein-
geſchraͤnkt wird, ſo iſt jenes nicht mehr ein freyes und
reines Geſchmacksurtheil.

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[50/0114] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. ſchmacksurtheils verhinderte, ſo thut die Verbindung des Guten (wozu naͤmlich das Mannigfaltige dem Dinge ſelbſt, nach ſeinem Zwecke, gut iſt) mit der Schoͤnheit, der Reinigkeit deſſelben Abbruch. Man wuͤrde vieles unmittelbar in der Anſchauung gefallendes an einem Gebaͤude anbringen koͤnnen, wenn es nur nicht eine Kirche ſeyn ſollte, eine Geſtalt mit allerley Schnoͤrkeln und leichten doch regelmaͤßigen Zuͤ- gen, wie die Neuſeelaͤnder mit ihren Tettowiren thun, verſchoͤnern koͤnnen, wenn es nur nicht ein Menſch waͤre, und dieſer koͤnnte viel feinere Zuͤge und einen gefaͤlligeren ſanftern Umris der Geſichtsbildung haben, wenn er nur nicht einen Mann, oder gar einen kriegeriſchen vor- ſtellen ſollte. Nun iſt das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge in Beziehung auf den innern Zweck, der ſeine Moͤglichkeit beſtimmt, ein Wohlgefallen, das auf einem Begriffe gegruͤndet iſt; das an der Schoͤnheit aber iſt ein ſolches, welches keinen Begrif vorausſetzt, ſon- dern mit der Vorſtellellung, dadurch der Gegenſtand ge- geben (nicht wodurch er gedacht) wird, unmittelbar ver- bunden iſt. Wenn nun das Geſchmacksurtheil, in An- ſehung des letzteren, vom Zwecke in dem erſteren, als Vernunfturtheile, abhaͤngig gemacht und dadurch ein- geſchraͤnkt wird, ſo iſt jenes nicht mehr ein freyes und reines Geſchmacksurtheil.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/114>, abgerufen am 25.11.2024.