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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
der Vorstellung des Guten ganz unabhängig sey, weil
das letztere eine objective Zweckmäßigkeit, d. i. die Be-
ziehung des Gegenstandes auf einen bestimmten Zweck,
voraussetzt.

Die objective Zweckmäßigkeit ist entweder die äußere,
d. i. die Nützlichkeit, oder die innere, d. i. die Voll-
kommenheit
des Gegenstandes. Daß das Wohlge-
fallen an einem Gegenstande, weshalb wir ihn schön
nennen, nicht auf der Vorstellung seiner Nützlichkeit be-
ruhen könne, ist aus beiden vorigen Hauptstücken hinrei-
chend zu ersehen; weil es alsdenn nicht ein unmittelba-
res Wohlgefallen an dem Gegenstande seyn würde, wel-
ches letztere die wesentliche Bedingung des Urtheils über
Schönheit ist. Aber eine objective Zweckmäßigkeit, d. i.
Vollkommenheit, kommt dem Prädikate der Schönheit
schon näher und ist daher auch von nahmhaften Philoso-
phen, doch mit dem Beysatze, wenn sie verworren
gedacht wird,
für einerley mit der Schönheit gehal-
ten worden. Es ist von der größten Wichtigkeit, in ei-
ner Critik des Geschmacks zu entscheiden, ob sich auch
die Schönheit wirklich in den Begrif der Vollkommenheit
auflösen lasse.

Die objective Zweckmäßigkeit zu beurtheilen, bedür-
fen wir jederzeit den Begrif eines Zwecks, und [wenn
jene Zweckmäßigkeit nicht eine äußere (Nützlichkeit) son-
dern eine innere seyn soll] den Begrif eines innern Zwecks,
der den Grund der innern Möglichkeit des Gegenstandes

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
der Vorſtellung des Guten ganz unabhaͤngig ſey, weil
das letztere eine objective Zweckmaͤßigkeit, d. i. die Be-
ziehung des Gegenſtandes auf einen beſtimmten Zweck,
vorausſetzt.

Die objective Zweckmaͤßigkeit iſt entweder die aͤußere,
d. i. die Nuͤtzlichkeit, oder die innere, d. i. die Voll-
kommenheit
des Gegenſtandes. Daß das Wohlge-
fallen an einem Gegenſtande, weshalb wir ihn ſchoͤn
nennen, nicht auf der Vorſtellung ſeiner Nuͤtzlichkeit be-
ruhen koͤnne, iſt aus beiden vorigen Hauptſtuͤcken hinrei-
chend zu erſehen; weil es alsdenn nicht ein unmittelba-
res Wohlgefallen an dem Gegenſtande ſeyn wuͤrde, wel-
ches letztere die weſentliche Bedingung des Urtheils uͤber
Schoͤnheit iſt. Aber eine objective Zweckmaͤßigkeit, d. i.
Vollkommenheit, kommt dem Praͤdikate der Schoͤnheit
ſchon naͤher und iſt daher auch von nahmhaften Philoſo-
phen, doch mit dem Beyſatze, wenn ſie verworren
gedacht wird,
fuͤr einerley mit der Schoͤnheit gehal-
ten worden. Es iſt von der groͤßten Wichtigkeit, in ei-
ner Critik des Geſchmacks zu entſcheiden, ob ſich auch
die Schoͤnheit wirklich in den Begrif der Vollkommenheit
aufloͤſen laſſe.

Die objective Zweckmaͤßigkeit zu beurtheilen, beduͤr-
fen wir jederzeit den Begrif eines Zwecks, und [wenn
jene Zweckmaͤßigkeit nicht eine aͤußere (Nuͤtzlichkeit) ſon-
dern eine innere ſeyn ſoll] den Begrif eines innern Zwecks,
der den Grund der innern Moͤglichkeit des Gegenſtandes

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[44/0108] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. der Vorſtellung des Guten ganz unabhaͤngig ſey, weil das letztere eine objective Zweckmaͤßigkeit, d. i. die Be- ziehung des Gegenſtandes auf einen beſtimmten Zweck, vorausſetzt. Die objective Zweckmaͤßigkeit iſt entweder die aͤußere, d. i. die Nuͤtzlichkeit, oder die innere, d. i. die Voll- kommenheit des Gegenſtandes. Daß das Wohlge- fallen an einem Gegenſtande, weshalb wir ihn ſchoͤn nennen, nicht auf der Vorſtellung ſeiner Nuͤtzlichkeit be- ruhen koͤnne, iſt aus beiden vorigen Hauptſtuͤcken hinrei- chend zu erſehen; weil es alsdenn nicht ein unmittelba- res Wohlgefallen an dem Gegenſtande ſeyn wuͤrde, wel- ches letztere die weſentliche Bedingung des Urtheils uͤber Schoͤnheit iſt. Aber eine objective Zweckmaͤßigkeit, d. i. Vollkommenheit, kommt dem Praͤdikate der Schoͤnheit ſchon naͤher und iſt daher auch von nahmhaften Philoſo- phen, doch mit dem Beyſatze, wenn ſie verworren gedacht wird, fuͤr einerley mit der Schoͤnheit gehal- ten worden. Es iſt von der groͤßten Wichtigkeit, in ei- ner Critik des Geſchmacks zu entſcheiden, ob ſich auch die Schoͤnheit wirklich in den Begrif der Vollkommenheit aufloͤſen laſſe. Die objective Zweckmaͤßigkeit zu beurtheilen, beduͤr- fen wir jederzeit den Begrif eines Zwecks, und [wenn jene Zweckmaͤßigkeit nicht eine aͤußere (Nuͤtzlichkeit) ſon- dern eine innere ſeyn ſoll] den Begrif eines innern Zwecks, der den Grund der innern Moͤglichkeit des Gegenſtandes

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/108>, abgerufen am 25.11.2024.