Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Methodenlehre II. Hauptst. II. Absch.
können. Demnach haben die Principien der reinen Ver-
nunft in ihrem practischen, namentlich aber, dem morali-
schen Gebrauche, obiective Realität.

Ich nenne die Welt, so fern sie allen sittlichen Ge-
setzen gemäß wäre, (wie sie es denn, nach der Freiheit
der vernünftigen Wesen, seyn kan und, nach den noth-
wendigen Gesetzen der Sittlichkeit, seyn soll) eine mora-
lische Welt
. Diese wird so fern blos als intelligibele
Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe-
cken) und selbst von allen Hindernissen der Moralität in
derselben (Schwäche, oder Unlauterkeit der menschlichen
Natur) abstrahirt wird. So fern ist sie also eine blosse,
aber doch practische Idee, die wirklich ihren Einfluß auf
die Sinnenwelt haben kan und soll, um sie dieser Idee so
viel als möglich gemäß zu machen. Die Idee einer mo-
ralischen Welt hat daher obiective Realität, nicht als wenn
sie auf einen Gegenstand einer intelligibelen Anschauung
ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken können), son-
dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenstand der
reinen Vernunft in ihrem practischen Gebrauche und ein
corpus mysticum der vernünftigen Wesen in ihr, so fern
deren freie Willkühr unter moralischen Gesetzen sowol mit
sich selbst, als mit iedes anderen Freiheit durchgängige
systematische Einheit an sich hat.

Das war die Beantwortung der ersten von denen
zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practische In-
teresse betrafen: Thue das, wodurch du würdig wirst,

glück-

Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch.
koͤnnen. Demnach haben die Principien der reinen Ver-
nunft in ihrem practiſchen, namentlich aber, dem morali-
ſchen Gebrauche, obiective Realitaͤt.

Ich nenne die Welt, ſo fern ſie allen ſittlichen Ge-
ſetzen gemaͤß waͤre, (wie ſie es denn, nach der Freiheit
der vernuͤnftigen Weſen, ſeyn kan und, nach den noth-
wendigen Geſetzen der Sittlichkeit, ſeyn ſoll) eine mora-
liſche Welt
. Dieſe wird ſo fern blos als intelligibele
Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe-
cken) und ſelbſt von allen Hinderniſſen der Moralitaͤt in
derſelben (Schwaͤche, oder Unlauterkeit der menſchlichen
Natur) abſtrahirt wird. So fern iſt ſie alſo eine bloſſe,
aber doch practiſche Idee, die wirklich ihren Einfluß auf
die Sinnenwelt haben kan und ſoll, um ſie dieſer Idee ſo
viel als moͤglich gemaͤß zu machen. Die Idee einer mo-
raliſchen Welt hat daher obiective Realitaͤt, nicht als wenn
ſie auf einen Gegenſtand einer intelligibelen Anſchauung
ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken koͤnnen), ſon-
dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenſtand der
reinen Vernunft in ihrem practiſchen Gebrauche und ein
corpus myſticum der vernuͤnftigen Weſen in ihr, ſo fern
deren freie Willkuͤhr unter moraliſchen Geſetzen ſowol mit
ſich ſelbſt, als mit iedes anderen Freiheit durchgaͤngige
ſyſtematiſche Einheit an ſich hat.

Das war die Beantwortung der erſten von denen
zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practiſche In-
tereſſe betrafen: Thue das, wodurch du wuͤrdig wirſt,

gluͤck-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0838" n="808"/><fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t. <hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;ch.</fw><lb/>
ko&#x0364;nnen. Demnach haben die Principien der reinen Ver-<lb/>
nunft in ihrem practi&#x017F;chen, namentlich aber, dem morali-<lb/>
&#x017F;chen Gebrauche, obiective Realita&#x0364;t.</p><lb/>
            <p>Ich nenne die Welt, &#x017F;o fern &#x017F;ie allen &#x017F;ittlichen Ge-<lb/>
&#x017F;etzen gema&#x0364;ß wa&#x0364;re, (wie &#x017F;ie es denn, nach der Freiheit<lb/>
der vernu&#x0364;nftigen We&#x017F;en, &#x017F;eyn <hi rendition="#fr">kan</hi> und, nach den noth-<lb/>
wendigen Ge&#x017F;etzen der <hi rendition="#fr">Sittlichkeit, &#x017F;eyn &#x017F;oll</hi>) eine <hi rendition="#fr">mora-<lb/>
li&#x017F;che Welt</hi>. Die&#x017F;e wird &#x017F;o fern blos als intelligibele<lb/>
Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe-<lb/>
cken) und &#x017F;elb&#x017F;t von allen Hinderni&#x017F;&#x017F;en der Moralita&#x0364;t in<lb/>
der&#x017F;elben (Schwa&#x0364;che, oder Unlauterkeit der men&#x017F;chlichen<lb/>
Natur) ab&#x017F;trahirt wird. So fern i&#x017F;t &#x017F;ie al&#x017F;o eine blo&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
aber doch practi&#x017F;che Idee, die wirklich ihren Einfluß auf<lb/>
die Sinnenwelt haben kan und &#x017F;oll, um &#x017F;ie die&#x017F;er Idee &#x017F;o<lb/>
viel als mo&#x0364;glich gema&#x0364;ß zu machen. Die Idee einer mo-<lb/>
rali&#x017F;chen Welt hat daher obiective Realita&#x0364;t, nicht als wenn<lb/>
&#x017F;ie auf einen Gegen&#x017F;tand einer intelligibelen An&#x017F;chauung<lb/>
ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken ko&#x0364;nnen), &#x017F;on-<lb/>
dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegen&#x017F;tand der<lb/>
reinen Vernunft in ihrem practi&#x017F;chen Gebrauche und ein<lb/><hi rendition="#aq">corpus my&#x017F;ticum</hi> der vernu&#x0364;nftigen We&#x017F;en in ihr, &#x017F;o fern<lb/>
deren freie Willku&#x0364;hr unter morali&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen &#x017F;owol mit<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, als mit iedes anderen Freiheit durchga&#x0364;ngige<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Einheit an &#x017F;ich hat.</p><lb/>
            <p>Das war die Beantwortung der er&#x017F;ten von denen<lb/>
zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practi&#x017F;che In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e betrafen: <hi rendition="#fr">Thue das, wodurch du wu&#x0364;rdig wir&#x017F;t</hi>,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">glu&#x0364;ck-</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[808/0838] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. koͤnnen. Demnach haben die Principien der reinen Ver- nunft in ihrem practiſchen, namentlich aber, dem morali- ſchen Gebrauche, obiective Realitaͤt. Ich nenne die Welt, ſo fern ſie allen ſittlichen Ge- ſetzen gemaͤß waͤre, (wie ſie es denn, nach der Freiheit der vernuͤnftigen Weſen, ſeyn kan und, nach den noth- wendigen Geſetzen der Sittlichkeit, ſeyn ſoll) eine mora- liſche Welt. Dieſe wird ſo fern blos als intelligibele Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe- cken) und ſelbſt von allen Hinderniſſen der Moralitaͤt in derſelben (Schwaͤche, oder Unlauterkeit der menſchlichen Natur) abſtrahirt wird. So fern iſt ſie alſo eine bloſſe, aber doch practiſche Idee, die wirklich ihren Einfluß auf die Sinnenwelt haben kan und ſoll, um ſie dieſer Idee ſo viel als moͤglich gemaͤß zu machen. Die Idee einer mo- raliſchen Welt hat daher obiective Realitaͤt, nicht als wenn ſie auf einen Gegenſtand einer intelligibelen Anſchauung ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken koͤnnen), ſon- dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenſtand der reinen Vernunft in ihrem practiſchen Gebrauche und ein corpus myſticum der vernuͤnftigen Weſen in ihr, ſo fern deren freie Willkuͤhr unter moraliſchen Geſetzen ſowol mit ſich ſelbſt, als mit iedes anderen Freiheit durchgaͤngige ſyſtematiſche Einheit an ſich hat. Das war die Beantwortung der erſten von denen zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practiſche In- tereſſe betrafen: Thue das, wodurch du wuͤrdig wirſt, gluͤck-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/838
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/838>, abgerufen am 23.11.2024.