Daher sind die leztere mehr eine Nothhülfe, als ein Ver- fahren, welches allen Absichten der Vernunft ein Gnüge thut. Doch haben diese einen Vorzug der Evidenz vor den directen Beweisen, darin: daß der Widerspruch alle- mal mehr Klarheit in der Vorstellung bey sich führt, als die beste Verknüpfung und sich dadurch dem anschaulichen einer Demonstration mehr nähert.
Die eigentliche Ursache des Gebrauchs apogogischer Beweise in verschiedenen Wissenschaften ist wol diese. Wenn die Gründe von denen eine gewisse Erkentniß abgeleitet werden soll, zu mannigfaltig oder zu tief verborgen liegen: so versucht man, ob sie nicht durch die Folgen zu erreichen sey. Nun wäre der modus ponens, auf die Wahrheit einer Erkentniß aus der Wahrheit ihrer Folgen zu schlies- sen, nur alsdenn erlaubt, wenn alle mögliche Folgen daraus wahr sind; denn alsdenn ist zu diesem nur ein ein- ziger Grund möglich, der also auch der wahre ist. Die- ses Verfahren aber ist unthunlich, weil es über unsere Kräfte geht, alle mögliche Folgen von irgend einem ange- nommenen Satze einzusehen; doch bedient man sich dieser Art zu schliessen, obzwar freilich mit einer gewissen Nach- sicht, wenn es darum zu thun ist, um etwas blos als Hypothese zu beweisen, indem man den Schluß nach der Analogie einräumt: daß, wenn so viele Folgen, als man nur immer versucht hat, mit einem angenommenen Grun- de wol zusammenstimmen, alle übrige mögliche auch dar- auf einstimmen werden. Um deswillen kan durch diesen
Weg
Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch.
Daher ſind die leztere mehr eine Nothhuͤlfe, als ein Ver- fahren, welches allen Abſichten der Vernunft ein Gnuͤge thut. Doch haben dieſe einen Vorzug der Evidenz vor den directen Beweiſen, darin: daß der Widerſpruch alle- mal mehr Klarheit in der Vorſtellung bey ſich fuͤhrt, als die beſte Verknuͤpfung und ſich dadurch dem anſchaulichen einer Demonſtration mehr naͤhert.
Die eigentliche Urſache des Gebrauchs apogogiſcher Beweiſe in verſchiedenen Wiſſenſchaften iſt wol dieſe. Wenn die Gruͤnde von denen eine gewiſſe Erkentniß abgeleitet werden ſoll, zu mannigfaltig oder zu tief verborgen liegen: ſo verſucht man, ob ſie nicht durch die Folgen zu erreichen ſey. Nun waͤre der modus ponens, auf die Wahrheit einer Erkentniß aus der Wahrheit ihrer Folgen zu ſchlieſ- ſen, nur alsdenn erlaubt, wenn alle moͤgliche Folgen daraus wahr ſind; denn alsdenn iſt zu dieſem nur ein ein- ziger Grund moͤglich, der alſo auch der wahre iſt. Die- ſes Verfahren aber iſt unthunlich, weil es uͤber unſere Kraͤfte geht, alle moͤgliche Folgen von irgend einem ange- nommenen Satze einzuſehen; doch bedient man ſich dieſer Art zu ſchlieſſen, obzwar freilich mit einer gewiſſen Nach- ſicht, wenn es darum zu thun iſt, um etwas blos als Hypotheſe zu beweiſen, indem man den Schluß nach der Analogie einraͤumt: daß, wenn ſo viele Folgen, als man nur immer verſucht hat, mit einem angenommenen Grun- de wol zuſammenſtimmen, alle uͤbrige moͤgliche auch dar- auf einſtimmen werden. Um deswillen kan durch dieſen
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Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch.
Daher ſind die leztere mehr eine Nothhuͤlfe, als ein Ver-
fahren, welches allen Abſichten der Vernunft ein Gnuͤge
thut. Doch haben dieſe einen Vorzug der Evidenz vor
den directen Beweiſen, darin: daß der Widerſpruch alle-
mal mehr Klarheit in der Vorſtellung bey ſich fuͤhrt, als
die beſte Verknuͤpfung und ſich dadurch dem anſchaulichen
einer Demonſtration mehr naͤhert.
Die eigentliche Urſache des Gebrauchs apogogiſcher
Beweiſe in verſchiedenen Wiſſenſchaften iſt wol dieſe. Wenn
die Gruͤnde von denen eine gewiſſe Erkentniß abgeleitet
werden ſoll, zu mannigfaltig oder zu tief verborgen liegen:
ſo verſucht man, ob ſie nicht durch die Folgen zu erreichen
ſey. Nun waͤre der modus ponens, auf die Wahrheit
einer Erkentniß aus der Wahrheit ihrer Folgen zu ſchlieſ-
ſen, nur alsdenn erlaubt, wenn alle moͤgliche Folgen
daraus wahr ſind; denn alsdenn iſt zu dieſem nur ein ein-
ziger Grund moͤglich, der alſo auch der wahre iſt. Die-
ſes Verfahren aber iſt unthunlich, weil es uͤber unſere
Kraͤfte geht, alle moͤgliche Folgen von irgend einem ange-
nommenen Satze einzuſehen; doch bedient man ſich dieſer
Art zu ſchlieſſen, obzwar freilich mit einer gewiſſen Nach-
ſicht, wenn es darum zu thun iſt, um etwas blos als
Hypotheſe zu beweiſen, indem man den Schluß nach der
Analogie einraͤumt: daß, wenn ſo viele Folgen, als man
nur immer verſucht hat, mit einem angenommenen Grun-
de wol zuſammenſtimmen, alle uͤbrige moͤgliche auch dar-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 790. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/820>, abgerufen am 23.11.2024.
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