Weg niemals eine Hypothese in demonstrirte Wahrheit ver- wandelt werden. Der modus tollens der Vernunftschlüsse, die von den Folgen auf die Gründe schliessen, beweiset nicht allein ganz strenge, sondern auch überaus leicht. Denn, wenn auch nur eine einzige falsche Folge aus einem Satze gezogen werden kan, so ist dieser Satz falsch. An- statt nun die ganze Reihe der Gründe in einem ostensiven Beweise durchzulaufen, die auf die Wahrheit einer Er- kentniß, vermittelst der vollständigen Einsicht in ihre Mög- lichkeit, führen kan, darf man nur unter denen aus dem Gegentheil derselben fliessende Folgen eine einzige falsch finden, so ist dieses Gegentheil auch falsch, mithin die Erkentniß, welche man zu beweisen hatte, wahr.
Die apogogische Beweisart kan aber nur in denen Wissenschaften erlaubt seyn, wo es unmöglich ist, das Subiective unserer Vorstellungen dem Obiectiven, nem- lich der Erkentniß desienigen, was am Gegenstande ist, zu unterschieben. Wo dieses leztere aber herrschend ist, da muß es sich häufig zutragen, daß das Gegentheil eines gewissen Satzes entweder blos den subiectiven Bedingun- gen des Denkens widerspricht, aber nicht dem Gegenstande, oder daß beide Sätze nur unter einer subiectiven Bedin- gung, die, fälschlich vor obiectiv gehalten, einander wider- sprechen und da die Bedingung falsch ist, alle beide falsch seyn können, ohne daß von der Falschheit des einen auf die Wahrheit des andern geschlossen werden kan.
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Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen.
Weg niemals eine Hypotheſe in demonſtrirte Wahrheit ver- wandelt werden. Der modus tollens der Vernunftſchluͤſſe, die von den Folgen auf die Gruͤnde ſchlieſſen, beweiſet nicht allein ganz ſtrenge, ſondern auch uͤberaus leicht. Denn, wenn auch nur eine einzige falſche Folge aus einem Satze gezogen werden kan, ſo iſt dieſer Satz falſch. An- ſtatt nun die ganze Reihe der Gruͤnde in einem oſtenſiven Beweiſe durchzulaufen, die auf die Wahrheit einer Er- kentniß, vermittelſt der vollſtaͤndigen Einſicht in ihre Moͤg- lichkeit, fuͤhren kan, darf man nur unter denen aus dem Gegentheil derſelben flieſſende Folgen eine einzige falſch finden, ſo iſt dieſes Gegentheil auch falſch, mithin die Erkentniß, welche man zu beweiſen hatte, wahr.
Die apogogiſche Beweisart kan aber nur in denen Wiſſenſchaften erlaubt ſeyn, wo es unmoͤglich iſt, das Subiective unſerer Vorſtellungen dem Obiectiven, nem- lich der Erkentniß desienigen, was am Gegenſtande iſt, zu unterſchieben. Wo dieſes leztere aber herrſchend iſt, da muß es ſich haͤufig zutragen, daß das Gegentheil eines gewiſſen Satzes entweder blos den ſubiectiven Bedingun- gen des Denkens widerſpricht, aber nicht dem Gegenſtande, oder daß beide Saͤtze nur unter einer ſubiectiven Bedin- gung, die, faͤlſchlich vor obiectiv gehalten, einander wider- ſprechen und da die Bedingung falſch iſt, alle beide falſch ſeyn koͤnnen, ohne daß von der Falſchheit des einen auf die Wahrheit des andern geſchloſſen werden kan.
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Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen.
Weg niemals eine Hypotheſe in demonſtrirte Wahrheit ver-
wandelt werden. Der modus tollens der Vernunftſchluͤſſe,
die von den Folgen auf die Gruͤnde ſchlieſſen, beweiſet
nicht allein ganz ſtrenge, ſondern auch uͤberaus leicht.
Denn, wenn auch nur eine einzige falſche Folge aus einem
Satze gezogen werden kan, ſo iſt dieſer Satz falſch. An-
ſtatt nun die ganze Reihe der Gruͤnde in einem oſtenſiven
Beweiſe durchzulaufen, die auf die Wahrheit einer Er-
kentniß, vermittelſt der vollſtaͤndigen Einſicht in ihre Moͤg-
lichkeit, fuͤhren kan, darf man nur unter denen aus dem
Gegentheil derſelben flieſſende Folgen eine einzige falſch
finden, ſo iſt dieſes Gegentheil auch falſch, mithin die
Erkentniß, welche man zu beweiſen hatte, wahr.
Die apogogiſche Beweisart kan aber nur in denen
Wiſſenſchaften erlaubt ſeyn, wo es unmoͤglich iſt, das
Subiective unſerer Vorſtellungen dem Obiectiven, nem-
lich der Erkentniß desienigen, was am Gegenſtande iſt, zu
unterſchieben. Wo dieſes leztere aber herrſchend iſt, da
muß es ſich haͤufig zutragen, daß das Gegentheil eines
gewiſſen Satzes entweder blos den ſubiectiven Bedingun-
gen des Denkens widerſpricht, aber nicht dem Gegenſtande,
oder daß beide Saͤtze nur unter einer ſubiectiven Bedin-
gung, die, faͤlſchlich vor obiectiv gehalten, einander wider-
ſprechen und da die Bedingung falſch iſt, alle beide falſch
ſeyn koͤnnen, ohne daß von der Falſchheit des einen auf
die Wahrheit des andern geſchloſſen werden kan.
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 791. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/821>, abgerufen am 23.11.2024.
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