befindlich gedacht werden kan. Hieraus werde ich aber doch nicht schliessen: daß, wenn mir nichts, wie die be- wegende Kraft eines Cörpers, gegeben ist, der Cörper als einfache Substanz gedacht werden könne, darum, weil seine Vorstellung von aller Grösse des Raumesinhalts ab- strahirt und also einfach ist. Hiedurch nun, daß das Einfache in der Abstraction vom Einfachen im Obiect ganz unterschieden ist und daß das Ich, welches im ersteren Verstande gar keine Mannigfaltigkeit in sich faßt, im zwei- ten, da es die Seele selbst bedeutet, ein sehr complexer Be- griff seyn kan, nemlich sehr vieles unter sich zu enthalten und zu bezeichnen, entdecke ich einen Paralogism. Allein, um diesen vorher zu ahnden, (denn, ohne eine solche vor- läufige Vermuthung, würde man gar keinen Verdacht ge- gen den Beweis fassen) ist durchaus nöthig, ein immer- währendes Criterium der Möglichkeit solcher synthetischen Sätze, die mehr beweisen sollen, als Erfahrung geben kan, bey Hand zu haben, welches darin besteht: daß der Be- weis nicht geradezu auf das verlangte Prädicat, sondern nur vermittelst eines Princips der Möglichkeit, unseren ge- gebenen Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern und diese zu realisiren, geführt werde. Wenn diese Behut- samkeit immer gebraucht wird, wenn man, ehe der Be- weis noch versucht wird, zuvor weislich bey sich zu Rathe geht, wie und mit welchem Grunde der Hoffnung man wol eine solche Erweiterung durch reine Vernunft erwarten könne und woher man, in dergleichen Falle, diese Einsich-
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Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen.
befindlich gedacht werden kan. Hieraus werde ich aber doch nicht ſchlieſſen: daß, wenn mir nichts, wie die be- wegende Kraft eines Coͤrpers, gegeben iſt, der Coͤrper als einfache Subſtanz gedacht werden koͤnne, darum, weil ſeine Vorſtellung von aller Groͤſſe des Raumesinhalts ab- ſtrahirt und alſo einfach iſt. Hiedurch nun, daß das Einfache in der Abſtraction vom Einfachen im Obiect ganz unterſchieden iſt und daß das Ich, welches im erſteren Verſtande gar keine Mannigfaltigkeit in ſich faßt, im zwei- ten, da es die Seele ſelbſt bedeutet, ein ſehr complexer Be- griff ſeyn kan, nemlich ſehr vieles unter ſich zu enthalten und zu bezeichnen, entdecke ich einen Paralogism. Allein, um dieſen vorher zu ahnden, (denn, ohne eine ſolche vor- laͤufige Vermuthung, wuͤrde man gar keinen Verdacht ge- gen den Beweis faſſen) iſt durchaus noͤthig, ein immer- waͤhrendes Criterium der Moͤglichkeit ſolcher ſynthetiſchen Saͤtze, die mehr beweiſen ſollen, als Erfahrung geben kan, bey Hand zu haben, welches darin beſteht: daß der Be- weis nicht geradezu auf das verlangte Praͤdicat, ſondern nur vermittelſt eines Princips der Moͤglichkeit, unſeren ge- gebenen Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern und dieſe zu realiſiren, gefuͤhrt werde. Wenn dieſe Behut- ſamkeit immer gebraucht wird, wenn man, ehe der Be- weis noch verſucht wird, zuvor weislich bey ſich zu Rathe geht, wie und mit welchem Grunde der Hoffnung man wol eine ſolche Erweiterung durch reine Vernunft erwarten koͤnne und woher man, in dergleichen Falle, dieſe Einſich-
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Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen.
befindlich gedacht werden kan. Hieraus werde ich aber
doch nicht ſchlieſſen: daß, wenn mir nichts, wie die be-
wegende Kraft eines Coͤrpers, gegeben iſt, der Coͤrper als
einfache Subſtanz gedacht werden koͤnne, darum, weil
ſeine Vorſtellung von aller Groͤſſe des Raumesinhalts ab-
ſtrahirt und alſo einfach iſt. Hiedurch nun, daß das
Einfache in der Abſtraction vom Einfachen im Obiect ganz
unterſchieden iſt und daß das Ich, welches im erſteren
Verſtande gar keine Mannigfaltigkeit in ſich faßt, im zwei-
ten, da es die Seele ſelbſt bedeutet, ein ſehr complexer Be-
griff ſeyn kan, nemlich ſehr vieles unter ſich zu enthalten
und zu bezeichnen, entdecke ich einen Paralogism. Allein,
um dieſen vorher zu ahnden, (denn, ohne eine ſolche vor-
laͤufige Vermuthung, wuͤrde man gar keinen Verdacht ge-
gen den Beweis faſſen) iſt durchaus noͤthig, ein immer-
waͤhrendes Criterium der Moͤglichkeit ſolcher ſynthetiſchen
Saͤtze, die mehr beweiſen ſollen, als Erfahrung geben kan,
bey Hand zu haben, welches darin beſteht: daß der Be-
weis nicht geradezu auf das verlangte Praͤdicat, ſondern
nur vermittelſt eines Princips der Moͤglichkeit, unſeren ge-
gebenen Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern und
dieſe zu realiſiren, gefuͤhrt werde. Wenn dieſe Behut-
ſamkeit immer gebraucht wird, wenn man, ehe der Be-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 785. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/815>, abgerufen am 23.11.2024.
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