ten, die nicht aus Begriffen entwickelt und auch nicht in Beziehung auf mögliche Erfahrung anticipirt werden kön- nen, denn hernehmen wolle: so kan man sich viel schwere und dennoch fruchtlose Bemühungen ersparen, indem man der Vernunft nichts zumuthet, was offenbar über ihr Ver- mögen geht, oder vielmehr sie, die, bey Anwandlungen ihrer speculativen Erweiterungssucht, sich nicht gerne ein- schränken läßt, der Disciplin der Enthaltsamkeit un- terwirft.
Die erste Regel ist also diese: keine transscendentale Beweise zu versuchen, ohne zuvor überlegt und sich des- fals gerechtfertigt zu haben, woher man die Grundsätze nehmen wolle, auf welche man sie zu errichten gedenkt und mit welchem Rechte man von ihnen den guten Erfolg der Schlüsse erwarten könne. Sind es Grundsätze des Ver- standes (z. B. der Caussalität), so ist es umsonst, vermit- telst ihrer, zu Ideen der reinen Vernunft zu gelangen; denn iene gelten nur vor Gegenstände möglicher Erfahrung. Sollen es Grundsätze aus reiner Vernunft seyn, so ist wiederum alle Mühe umsonst. Denn die Vernunft hat deren zwar, aber als obiective Grundsätze sind sie insge- samt dialectisch und können allenfals nur wie regulative Principien des systematischzusammenhangenden Erfahrungs- gebrauchs gültig seyn. Sind aber dergleichen angebliche Beweise schon vorhanden: so setzet der trüglichen Ueber- zeugung das non liquet eurer gereiften Urtheilskraft ent-
gegen
Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch.
ten, die nicht aus Begriffen entwickelt und auch nicht in Beziehung auf moͤgliche Erfahrung anticipirt werden koͤn- nen, denn hernehmen wolle: ſo kan man ſich viel ſchwere und dennoch fruchtloſe Bemuͤhungen erſparen, indem man der Vernunft nichts zumuthet, was offenbar uͤber ihr Ver- moͤgen geht, oder vielmehr ſie, die, bey Anwandlungen ihrer ſpeculativen Erweiterungsſucht, ſich nicht gerne ein- ſchraͤnken laͤßt, der Diſciplin der Enthaltſamkeit un- terwirft.
Die erſte Regel iſt alſo dieſe: keine transſcendentale Beweiſe zu verſuchen, ohne zuvor uͤberlegt und ſich des- fals gerechtfertigt zu haben, woher man die Grundſaͤtze nehmen wolle, auf welche man ſie zu errichten gedenkt und mit welchem Rechte man von ihnen den guten Erfolg der Schluͤſſe erwarten koͤnne. Sind es Grundſaͤtze des Ver- ſtandes (z. B. der Cauſſalitaͤt), ſo iſt es umſonſt, vermit- telſt ihrer, zu Ideen der reinen Vernunft zu gelangen; denn iene gelten nur vor Gegenſtaͤnde moͤglicher Erfahrung. Sollen es Grundſaͤtze aus reiner Vernunft ſeyn, ſo iſt wiederum alle Muͤhe umſonſt. Denn die Vernunft hat deren zwar, aber als obiective Grundſaͤtze ſind ſie insge- ſamt dialectiſch und koͤnnen allenfals nur wie regulative Principien des ſyſtematiſchzuſammenhangenden Erfahrungs- gebrauchs guͤltig ſeyn. Sind aber dergleichen angebliche Beweiſe ſchon vorhanden: ſo ſetzet der truͤglichen Ueber- zeugung das non liquet eurer gereiften Urtheilskraft ent-
gegen
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Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch.
ten, die nicht aus Begriffen entwickelt und auch nicht in
Beziehung auf moͤgliche Erfahrung anticipirt werden koͤn-
nen, denn hernehmen wolle: ſo kan man ſich viel ſchwere
und dennoch fruchtloſe Bemuͤhungen erſparen, indem man
der Vernunft nichts zumuthet, was offenbar uͤber ihr Ver-
moͤgen geht, oder vielmehr ſie, die, bey Anwandlungen
ihrer ſpeculativen Erweiterungsſucht, ſich nicht gerne ein-
ſchraͤnken laͤßt, der Diſciplin der Enthaltſamkeit un-
terwirft.
Die erſte Regel iſt alſo dieſe: keine transſcendentale
Beweiſe zu verſuchen, ohne zuvor uͤberlegt und ſich des-
fals gerechtfertigt zu haben, woher man die Grundſaͤtze
nehmen wolle, auf welche man ſie zu errichten gedenkt und
mit welchem Rechte man von ihnen den guten Erfolg der
Schluͤſſe erwarten koͤnne. Sind es Grundſaͤtze des Ver-
ſtandes (z. B. der Cauſſalitaͤt), ſo iſt es umſonſt, vermit-
telſt ihrer, zu Ideen der reinen Vernunft zu gelangen; denn
iene gelten nur vor Gegenſtaͤnde moͤglicher Erfahrung.
Sollen es Grundſaͤtze aus reiner Vernunft ſeyn, ſo iſt
wiederum alle Muͤhe umſonſt. Denn die Vernunft hat
deren zwar, aber als obiective Grundſaͤtze ſind ſie insge-
ſamt dialectiſch und koͤnnen allenfals nur wie regulative
Principien des ſyſtematiſchzuſammenhangenden Erfahrungs-
gebrauchs guͤltig ſeyn. Sind aber dergleichen angebliche
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 786. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/816>, abgerufen am 23.11.2024.
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