iederzeit beweiset, daß die Sache der Vernunft verzweifelt ist), als neue dogmatische Beweise versuchen wollen.
Ist aber der Satz, über den ein Beweis geführt werden soll, eine Behauptung der reinen Vernunft und will ich so gar vermittelst blosser Ideen über meine Erfah- rungsbegriffe hinausgehen, so müßte derselbe noch viel- mehr die Rechtfertigung eines solchen Schrittes der Syn- thesis (wenn er anders möglich wäre) als eine nothwen- dige Bedingung seiner Beweiskraft in sich enthalten. So scheinbar daher auch der vermeintliche Beweis der einfa- chen Natur unserer denkenden Substanz aus der Einheit der Apperception seyn mag, so steht ihm doch die Bedenk- lichkeit unabweislich entgegen: daß, da die absolute Ein- fachheit doch kein Begriff ist, der unmittelbar auf eine Wahrnehmung bezogen werden kan, sondern als Idee blos geschlossen werden muß, gar nicht einzusehen ist, wie mich das blosse Bewustseyn, welches in allem Denken ent- halten ist, oder wenigstens seyn kan, ob es zwar so fern eine einfache Vorstellung ist, zu dem Bewustseyn und der Kentniß eines Dinges überführen solle, in welchem das Denken allein enthalten seyn kan. Denn, wenn ich mir die Kraft meines Körpers in Bewegung vorstelle, so ist er so fern vor mich absolute Einheit und meine Vorstellung von ihm ist einfach, daher kan ich diese auch durch die Bewegung eines Puncts ausdrücken, weil sein Volumen hiebey nichts thut und, ohne Verminderung der Kraft, so klein, wie man will, und also auch als in einem Punct
befind-
Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch.
iederzeit beweiſet, daß die Sache der Vernunft verzweifelt iſt), als neue dogmatiſche Beweiſe verſuchen wollen.
Iſt aber der Satz, uͤber den ein Beweis gefuͤhrt werden ſoll, eine Behauptung der reinen Vernunft und will ich ſo gar vermittelſt bloſſer Ideen uͤber meine Erfah- rungsbegriffe hinausgehen, ſo muͤßte derſelbe noch viel- mehr die Rechtfertigung eines ſolchen Schrittes der Syn- theſis (wenn er anders moͤglich waͤre) als eine nothwen- dige Bedingung ſeiner Beweiskraft in ſich enthalten. So ſcheinbar daher auch der vermeintliche Beweis der einfa- chen Natur unſerer denkenden Subſtanz aus der Einheit der Apperception ſeyn mag, ſo ſteht ihm doch die Bedenk- lichkeit unabweislich entgegen: daß, da die abſolute Ein- fachheit doch kein Begriff iſt, der unmittelbar auf eine Wahrnehmung bezogen werden kan, ſondern als Idee blos geſchloſſen werden muß, gar nicht einzuſehen iſt, wie mich das bloſſe Bewuſtſeyn, welches in allem Denken ent- halten iſt, oder wenigſtens ſeyn kan, ob es zwar ſo fern eine einfache Vorſtellung iſt, zu dem Bewuſtſeyn und der Kentniß eines Dinges uͤberfuͤhren ſolle, in welchem das Denken allein enthalten ſeyn kan. Denn, wenn ich mir die Kraft meines Koͤrpers in Bewegung vorſtelle, ſo iſt er ſo fern vor mich abſolute Einheit und meine Vorſtellung von ihm iſt einfach, daher kan ich dieſe auch durch die Bewegung eines Puncts ausdruͤcken, weil ſein Volumen hiebey nichts thut und, ohne Verminderung der Kraft, ſo klein, wie man will, und alſo auch als in einem Punct
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Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch.
iederzeit beweiſet, daß die Sache der Vernunft verzweifelt
iſt), als neue dogmatiſche Beweiſe verſuchen wollen.
Iſt aber der Satz, uͤber den ein Beweis gefuͤhrt
werden ſoll, eine Behauptung der reinen Vernunft und
will ich ſo gar vermittelſt bloſſer Ideen uͤber meine Erfah-
rungsbegriffe hinausgehen, ſo muͤßte derſelbe noch viel-
mehr die Rechtfertigung eines ſolchen Schrittes der Syn-
theſis (wenn er anders moͤglich waͤre) als eine nothwen-
dige Bedingung ſeiner Beweiskraft in ſich enthalten. So
ſcheinbar daher auch der vermeintliche Beweis der einfa-
chen Natur unſerer denkenden Subſtanz aus der Einheit
der Apperception ſeyn mag, ſo ſteht ihm doch die Bedenk-
lichkeit unabweislich entgegen: daß, da die abſolute Ein-
fachheit doch kein Begriff iſt, der unmittelbar auf eine
Wahrnehmung bezogen werden kan, ſondern als Idee
blos geſchloſſen werden muß, gar nicht einzuſehen iſt, wie
mich das bloſſe Bewuſtſeyn, welches in allem Denken ent-
halten iſt, oder wenigſtens ſeyn kan, ob es zwar ſo fern
eine einfache Vorſtellung iſt, zu dem Bewuſtſeyn und der
Kentniß eines Dinges uͤberfuͤhren ſolle, in welchem das
Denken allein enthalten ſeyn kan. Denn, wenn ich mir die
Kraft meines Koͤrpers in Bewegung vorſtelle, ſo iſt er ſo
fern vor mich abſolute Einheit und meine Vorſtellung
von ihm iſt einfach, daher kan ich dieſe auch durch die
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 784. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/814>, abgerufen am 23.11.2024.
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