matische Religionsgegner, meiner Critik gewünschte Be- schäftigung und Anlaß zu mehrerer Berichtigung ihrer Grundsätze geben, ohne daß seinetwegen im mindesten et- was zu befürchten wäre.
Aber die Jugend, welche dem academischen Unter- richte anvertrauet ist, soll doch wenigstens vor dergleichen Schriften gewarnet, und von der frühen Kentniß so ge- fährlicher Sätze abgehalten werden, ehe ihre Urtheilskraft gereift, oder vielmehr die Lehre, welche man in ihnen gründen will, fest gewurzelt ist, um aller Ueberredung zum Gegentheil, woher sie auch kommen möge, kräftig zu widerstehen?
Müßte es bey dem dogmatischen Verfahren in Sa- chen der reinen Vernunft bleiben und die Abfertigung der Gegner eigentlich polemisch, d. i. so beschaffen seyn, daß man sich ins Gefechte einliesse, und mit Beweisgründen zu entgegengesezten Behauptungen bewaffnete, so wäre frei- lich nichts rathsamer vor der Hand, aber zugleich nichts eiteler und fruchtloser auf die Dauer, als die Vernunft der Jugend eine zeitlang unter Vormundschaft zu setzen, und wenigstens so lange vor Verführung zu bewahren. Wenn aber in der Folge entweder Neugierde, oder der Mo- deton des Zeitalters ihr dergleichen Schriften in die Hände spielen: wird alsdenn iene iugendliche Ueberredung noch Stich halten? Derienige, der nichts als dogmatische Waffen mitbringt, um den Angriffen seines Gegners zu widerstehen und die verborgene Dialectik, die nicht minder
in
Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
matiſche Religionsgegner, meiner Critik gewuͤnſchte Be- ſchaͤftigung und Anlaß zu mehrerer Berichtigung ihrer Grundſaͤtze geben, ohne daß ſeinetwegen im mindeſten et- was zu befuͤrchten waͤre.
Aber die Jugend, welche dem academiſchen Unter- richte anvertrauet iſt, ſoll doch wenigſtens vor dergleichen Schriften gewarnet, und von der fruͤhen Kentniß ſo ge- faͤhrlicher Saͤtze abgehalten werden, ehe ihre Urtheilskraft gereift, oder vielmehr die Lehre, welche man in ihnen gruͤnden will, feſt gewurzelt iſt, um aller Ueberredung zum Gegentheil, woher ſie auch kommen moͤge, kraͤftig zu widerſtehen?
Muͤßte es bey dem dogmatiſchen Verfahren in Sa- chen der reinen Vernunft bleiben und die Abfertigung der Gegner eigentlich polemiſch, d. i. ſo beſchaffen ſeyn, daß man ſich ins Gefechte einlieſſe, und mit Beweisgruͤnden zu entgegengeſezten Behauptungen bewaffnete, ſo waͤre frei- lich nichts rathſamer vor der Hand, aber zugleich nichts eiteler und fruchtloſer auf die Dauer, als die Vernunft der Jugend eine zeitlang unter Vormundſchaft zu ſetzen, und wenigſtens ſo lange vor Verfuͤhrung zu bewahren. Wenn aber in der Folge entweder Neugierde, oder der Mo- deton des Zeitalters ihr dergleichen Schriften in die Haͤnde ſpielen: wird alsdenn iene iugendliche Ueberredung noch Stich halten? Derienige, der nichts als dogmatiſche Waffen mitbringt, um den Angriffen ſeines Gegners zu widerſtehen und die verborgene Dialectik, die nicht minder
in
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Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
matiſche Religionsgegner, meiner Critik gewuͤnſchte Be-
ſchaͤftigung und Anlaß zu mehrerer Berichtigung ihrer
Grundſaͤtze geben, ohne daß ſeinetwegen im mindeſten et-
was zu befuͤrchten waͤre.
Aber die Jugend, welche dem academiſchen Unter-
richte anvertrauet iſt, ſoll doch wenigſtens vor dergleichen
Schriften gewarnet, und von der fruͤhen Kentniß ſo ge-
faͤhrlicher Saͤtze abgehalten werden, ehe ihre Urtheilskraft
gereift, oder vielmehr die Lehre, welche man in ihnen
gruͤnden will, feſt gewurzelt iſt, um aller Ueberredung
zum Gegentheil, woher ſie auch kommen moͤge, kraͤftig
zu widerſtehen?
Muͤßte es bey dem dogmatiſchen Verfahren in Sa-
chen der reinen Vernunft bleiben und die Abfertigung der
Gegner eigentlich polemiſch, d. i. ſo beſchaffen ſeyn, daß
man ſich ins Gefechte einlieſſe, und mit Beweisgruͤnden zu
entgegengeſezten Behauptungen bewaffnete, ſo waͤre frei-
lich nichts rathſamer vor der Hand, aber zugleich nichts
eiteler und fruchtloſer auf die Dauer, als die Vernunft
der Jugend eine zeitlang unter Vormundſchaft zu ſetzen,
und wenigſtens ſo lange vor Verfuͤhrung zu bewahren.
Wenn aber in der Folge entweder Neugierde, oder der Mo-
deton des Zeitalters ihr dergleichen Schriften in die Haͤnde
ſpielen: wird alsdenn iene iugendliche Ueberredung noch
Stich halten? Derienige, der nichts als dogmatiſche
Waffen mitbringt, um den Angriffen ſeines Gegners zu
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/784>, abgerufen am 23.11.2024.
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