[l]itäten aber lassen sich in keiner anderen, als empirischen Anschauung darstellen. Daher kan eine Vernunfterkent- niß derselben nur durch Begriffe möglich seyn. So kan niemand eine dem Begriff der Realität correspondirende Anschauung anders woher, als aus der Erfahrung neh- men, niemals aber a priori aus sich selbst und vor dem empirischen Bewustseyn derselben theilhaftig werden. Die conische Gestalt wird man ohne alle empirische Beihülfe, blos nach dem Begriffe, anschauend machen können, aber die Farbe dieses Kegels, wird in einer oder anderer Erfah- rung zuvor gegeben seyn müssen. Den Begriff einer Ur- sache überhaupt kan ich auf keine Weise in der Anschauung darstellen, als an einem Beispiele, das mir Erfahrung an die Hand giebt, u. s. w. Uebrigens handelt die Phi- losophie eben sowol von Grössen, als die Mathematik, z. B. von der Totalität, der Unendlichkeit u. s. w. Die Mathematik beschäftiget sich auch mit dem Unterschiede der Linien und Flächen, als Räumen, von verschiedener Quali- tät, mit der Continuität der Ausdehnung, als einer Qua- lität derselben. Aber, obgleich sie in solchen Fällen, einen gemeinschaftlichen Gegenstand haben, so ist die Art, ihn durch die Vernunft zu behandeln, doch ganz anders in der philosophischen, als mathematischen Betrachtung. Jene hält sich blos an allgemeinen Begriffen, diese kan mit dem blossen Begriffe nichts ausrichten, sondern eilt sogleich zur Anschauung, in welcher sie den Begriff in concreto be- trachtet, aber doch nicht empirisch, sondern blos in einer
sol-
Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc.
[l]itaͤten aber laſſen ſich in keiner anderen, als empiriſchen Anſchauung darſtellen. Daher kan eine Vernunfterkent- niß derſelben nur durch Begriffe moͤglich ſeyn. So kan niemand eine dem Begriff der Realitaͤt correſpondirende Anſchauung anders woher, als aus der Erfahrung neh- men, niemals aber a priori aus ſich ſelbſt und vor dem empiriſchen Bewuſtſeyn derſelben theilhaftig werden. Die coniſche Geſtalt wird man ohne alle empiriſche Beihuͤlfe, blos nach dem Begriffe, anſchauend machen koͤnnen, aber die Farbe dieſes Kegels, wird in einer oder anderer Erfah- rung zuvor gegeben ſeyn muͤſſen. Den Begriff einer Ur- ſache uͤberhaupt kan ich auf keine Weiſe in der Anſchauung darſtellen, als an einem Beiſpiele, das mir Erfahrung an die Hand giebt, u. ſ. w. Uebrigens handelt die Phi- loſophie eben ſowol von Groͤſſen, als die Mathematik, z. B. von der Totalitaͤt, der Unendlichkeit u. ſ. w. Die Mathematik beſchaͤftiget ſich auch mit dem Unterſchiede der Linien und Flaͤchen, als Raͤumen, von verſchiedener Quali- taͤt, mit der Continuitaͤt der Ausdehnung, als einer Qua- litaͤt derſelben. Aber, obgleich ſie in ſolchen Faͤllen, einen gemeinſchaftlichen Gegenſtand haben, ſo iſt die Art, ihn durch die Vernunft zu behandeln, doch ganz anders in der philoſophiſchen, als mathematiſchen Betrachtung. Jene haͤlt ſich blos an allgemeinen Begriffen, dieſe kan mit dem bloſſen Begriffe nichts ausrichten, ſondern eilt ſogleich zur Anſchauung, in welcher ſie den Begriff in concreto be- trachtet, aber doch nicht empiriſch, ſondern blos in einer
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc.
litaͤten aber laſſen ſich in keiner anderen, als empiriſchen
Anſchauung darſtellen. Daher kan eine Vernunfterkent-
niß derſelben nur durch Begriffe moͤglich ſeyn. So kan
niemand eine dem Begriff der Realitaͤt correſpondirende
Anſchauung anders woher, als aus der Erfahrung neh-
men, niemals aber a priori aus ſich ſelbſt und vor dem
empiriſchen Bewuſtſeyn derſelben theilhaftig werden. Die
coniſche Geſtalt wird man ohne alle empiriſche Beihuͤlfe,
blos nach dem Begriffe, anſchauend machen koͤnnen, aber
die Farbe dieſes Kegels, wird in einer oder anderer Erfah-
rung zuvor gegeben ſeyn muͤſſen. Den Begriff einer Ur-
ſache uͤberhaupt kan ich auf keine Weiſe in der Anſchauung
darſtellen, als an einem Beiſpiele, das mir Erfahrung
an die Hand giebt, u. ſ. w. Uebrigens handelt die Phi-
loſophie eben ſowol von Groͤſſen, als die Mathematik,
z. B. von der Totalitaͤt, der Unendlichkeit u. ſ. w. Die
Mathematik beſchaͤftiget ſich auch mit dem Unterſchiede der
Linien und Flaͤchen, als Raͤumen, von verſchiedener Quali-
taͤt, mit der Continuitaͤt der Ausdehnung, als einer Qua-
litaͤt derſelben. Aber, obgleich ſie in ſolchen Faͤllen, einen
gemeinſchaftlichen Gegenſtand haben, ſo iſt die Art, ihn
durch die Vernunft zu behandeln, doch ganz anders in der
philoſophiſchen, als mathematiſchen Betrachtung. Jene
haͤlt ſich blos an allgemeinen Begriffen, dieſe kan mit dem
bloſſen Begriffe nichts ausrichten, ſondern eilt ſogleich zur
Anſchauung, in welcher ſie den Begriff in concreto be-
trachtet, aber doch nicht empiriſch, ſondern blos in einer
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/745>, abgerufen am 23.11.2024.
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