Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch.
empirisch, und dient gleichwol den Begriff, unbeschadet
seiner Allgemeinheit, auszudrücken, weil bey dieser empi-
rischen Anschauung, immer nur auf die Handlung der
Construction des Begriffs, welchem viele Bestimmungen,
z. E. der Grösse, der Seiten und der Winkel, ganz gleich-
gültig sind, gesehen und also von diesen Verschiedenheiten,
die den Begriff des Triangels nicht verändern, abstrahirt
wird.

Die philosophische Erkentniß betrachtet also das Be-
sondere nur im Allgemeinen, die mathematische das All-
gemeine im Besonderen, ia gar im Einzelnen, gleichwol
doch a priori und vermittelst der Vernunft, so daß, wie
dieses Einzelne unter gewissen allgemeinen Bedingungen
der Construction bestimt ist, eben so der Gegenstand des
Begriffs, dem dieses Einzelne nur als sein Schema corre-
spondirt, allgemein bestimt gedacht werden muß.

In dieser Form besteht also der wesentliche Unter-
schied dieser beiden Arten der Vernunfterkentniß, und be-
ruhet nicht auf dem Unterschiede ihrer Materie, oder Ge-
genstände. Dieienige, welche Philosophie von Mathema-
tik dadurch zu unterscheiden vermeineten, daß sie von iener
sagten, sie habe blos die Qualität, diese aber nur die
Quantität zum Obiect, haben die Wirkung vor die Ur-
sache genommen. Die Form der mathematischen Erkent-
niß ist die Ursache, daß diese lediglich auf Quanta gehen
kan. Denn nur der Begriff von Grössen läßt sich con-
struiren, d. i. a priori in der Anschauung darlegen, Qua-

litä-

Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch.
empiriſch, und dient gleichwol den Begriff, unbeſchadet
ſeiner Allgemeinheit, auszudruͤcken, weil bey dieſer empi-
riſchen Anſchauung, immer nur auf die Handlung der
Conſtruction des Begriffs, welchem viele Beſtimmungen,
z. E. der Groͤſſe, der Seiten und der Winkel, ganz gleich-
guͤltig ſind, geſehen und alſo von dieſen Verſchiedenheiten,
die den Begriff des Triangels nicht veraͤndern, abſtrahirt
wird.

Die philoſophiſche Erkentniß betrachtet alſo das Be-
ſondere nur im Allgemeinen, die mathematiſche das All-
gemeine im Beſonderen, ia gar im Einzelnen, gleichwol
doch a priori und vermittelſt der Vernunft, ſo daß, wie
dieſes Einzelne unter gewiſſen allgemeinen Bedingungen
der Conſtruction beſtimt iſt, eben ſo der Gegenſtand des
Begriffs, dem dieſes Einzelne nur als ſein Schema corre-
ſpondirt, allgemein beſtimt gedacht werden muß.

In dieſer Form beſteht alſo der weſentliche Unter-
ſchied dieſer beiden Arten der Vernunfterkentniß, und be-
ruhet nicht auf dem Unterſchiede ihrer Materie, oder Ge-
genſtaͤnde. Dieienige, welche Philoſophie von Mathema-
tik dadurch zu unterſcheiden vermeineten, daß ſie von iener
ſagten, ſie habe blos die Qualitaͤt, dieſe aber nur die
Quantitaͤt zum Obiect, haben die Wirkung vor die Ur-
ſache genommen. Die Form der mathematiſchen Erkent-
niß iſt die Urſache, daß dieſe lediglich auf Quanta gehen
kan. Denn nur der Begriff von Groͤſſen laͤßt ſich con-
ſtruiren, d. i. a priori in der Anſchauung darlegen, Qua-

litaͤ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0744" n="714"/><fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. <hi rendition="#aq">I.</hi> Ab&#x017F;ch.</fw><lb/>
empiri&#x017F;ch, und dient gleichwol den Begriff, unbe&#x017F;chadet<lb/>
&#x017F;einer Allgemeinheit, auszudru&#x0364;cken, weil bey die&#x017F;er empi-<lb/>
ri&#x017F;chen An&#x017F;chauung, immer nur auf die Handlung der<lb/>
Con&#x017F;truction des <hi rendition="#fr">Begriffs</hi>, welchem viele Be&#x017F;timmungen,<lb/>
z. E. der Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, der Seiten und der Winkel, ganz gleich-<lb/>
gu&#x0364;ltig &#x017F;ind, ge&#x017F;ehen und al&#x017F;o von die&#x017F;en Ver&#x017F;chiedenheiten,<lb/>
die den Begriff des Triangels nicht vera&#x0364;ndern, ab&#x017F;trahirt<lb/>
wird.</p><lb/>
            <p>Die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Erkentniß betrachtet al&#x017F;o das Be-<lb/>
&#x017F;ondere nur im Allgemeinen, die mathemati&#x017F;che das All-<lb/>
gemeine im Be&#x017F;onderen, ia gar im Einzelnen, gleichwol<lb/>
doch <hi rendition="#aq">a priori</hi> und vermittel&#x017F;t der Vernunft, &#x017F;o daß, wie<lb/>
die&#x017F;es Einzelne unter gewi&#x017F;&#x017F;en allgemeinen Bedingungen<lb/>
der Con&#x017F;truction be&#x017F;timt i&#x017F;t, eben &#x017F;o der Gegen&#x017F;tand des<lb/>
Begriffs, dem die&#x017F;es Einzelne nur als &#x017F;ein Schema corre-<lb/>
&#x017F;pondirt, allgemein be&#x017F;timt gedacht werden muß.</p><lb/>
            <p>In die&#x017F;er Form be&#x017F;teht al&#x017F;o der we&#x017F;entliche Unter-<lb/>
&#x017F;chied die&#x017F;er beiden Arten der Vernunfterkentniß, und be-<lb/>
ruhet nicht auf dem Unter&#x017F;chiede ihrer Materie, oder Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde. Dieienige, welche Philo&#x017F;ophie von Mathema-<lb/>
tik dadurch zu unter&#x017F;cheiden vermeineten, daß &#x017F;ie von iener<lb/>
&#x017F;agten, &#x017F;ie habe blos die <hi rendition="#aq">Qualita&#x0364;t</hi>, die&#x017F;e aber nur die<lb/><hi rendition="#aq">Quantita&#x0364;t</hi> zum Obiect, haben die Wirkung vor die Ur-<lb/>
&#x017F;ache genommen. Die Form der mathemati&#x017F;chen Erkent-<lb/>
niß i&#x017F;t die Ur&#x017F;ache, daß die&#x017F;e lediglich auf Quanta gehen<lb/>
kan. Denn nur der Begriff von Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;ßt &#x017F;ich con-<lb/>
&#x017F;truiren, d. i. <hi rendition="#aq">a priori</hi> in der An&#x017F;chauung darlegen, Qua-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lita&#x0364;-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[714/0744] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. empiriſch, und dient gleichwol den Begriff, unbeſchadet ſeiner Allgemeinheit, auszudruͤcken, weil bey dieſer empi- riſchen Anſchauung, immer nur auf die Handlung der Conſtruction des Begriffs, welchem viele Beſtimmungen, z. E. der Groͤſſe, der Seiten und der Winkel, ganz gleich- guͤltig ſind, geſehen und alſo von dieſen Verſchiedenheiten, die den Begriff des Triangels nicht veraͤndern, abſtrahirt wird. Die philoſophiſche Erkentniß betrachtet alſo das Be- ſondere nur im Allgemeinen, die mathematiſche das All- gemeine im Beſonderen, ia gar im Einzelnen, gleichwol doch a priori und vermittelſt der Vernunft, ſo daß, wie dieſes Einzelne unter gewiſſen allgemeinen Bedingungen der Conſtruction beſtimt iſt, eben ſo der Gegenſtand des Begriffs, dem dieſes Einzelne nur als ſein Schema corre- ſpondirt, allgemein beſtimt gedacht werden muß. In dieſer Form beſteht alſo der weſentliche Unter- ſchied dieſer beiden Arten der Vernunfterkentniß, und be- ruhet nicht auf dem Unterſchiede ihrer Materie, oder Ge- genſtaͤnde. Dieienige, welche Philoſophie von Mathema- tik dadurch zu unterſcheiden vermeineten, daß ſie von iener ſagten, ſie habe blos die Qualitaͤt, dieſe aber nur die Quantitaͤt zum Obiect, haben die Wirkung vor die Ur- ſache genommen. Die Form der mathematiſchen Erkent- niß iſt die Urſache, daß dieſe lediglich auf Quanta gehen kan. Denn nur der Begriff von Groͤſſen laͤßt ſich con- ſtruiren, d. i. a priori in der Anſchauung darlegen, Qua- litaͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/744
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/744>, abgerufen am 23.11.2024.