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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
angetroffen werde, wodurch wir, in einem solchen Falle,
nur eine Einheit mehr vermissen, aber nicht die Vernunft-
einheit in ihrem empirischen Gebrauche verderben. Aber
so gar dieser Querstrich kan das Gesetz selbst in allgemei-
ner und teleologischer Absicht überhaupt nicht treffen. Denn,
ob zwar ein Zergliederer eines Irrthumes überführt werden
kan, wenn er irgend ein Gliedmaas eines thierischen Cör-
pers auf einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich
zeigen kan, daß er daraus nicht erfolge: so ist es doch
gänzlich unmöglich, in einem Falle zu beweisen, daß eine
Natureinrichtung, es mag seyn welche da wolle, ganz
und gar keinen Zweck habe. Daher erweitert auch die
Physiologie (der Aerzte) ihre sehr eingeschränkte empiri-
sche Kentniß von den Zwecken des Gliederbaues eines or-
ganischen Cörpers durch einen Grundsatz, welchen blos
reine Vernunft eingab, so weit, daß man darin ganz
dreust und zugleich mit aller Verständigen Einstimmung
annimt, es habe alles an dem Thiere seinen Nutzen und
gute Absicht, welche Voraussetzung, wenn sie constitutiv
seyn solte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobach-
tung berechtigen kan, woraus denn zu ersehen ist: daß sie
nichts als ein regulatives Princip der Vernunft sey, um
zur höchsten systematischen Einheit, vermittelst der Idee
der zweckmässigen Caussalität der obersten Weltursache und,
als ob diese, als höchste Intelligenz nach der weisesten Ab-
sicht die Ursache von allem sey, zu gelangen.


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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
angetroffen werde, wodurch wir, in einem ſolchen Falle,
nur eine Einheit mehr vermiſſen, aber nicht die Vernunft-
einheit in ihrem empiriſchen Gebrauche verderben. Aber
ſo gar dieſer Querſtrich kan das Geſetz ſelbſt in allgemei-
ner und teleologiſcher Abſicht uͤberhaupt nicht treffen. Denn,
ob zwar ein Zergliederer eines Irrthumes uͤberfuͤhrt werden
kan, wenn er irgend ein Gliedmaas eines thieriſchen Coͤr-
pers auf einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich
zeigen kan, daß er daraus nicht erfolge: ſo iſt es doch
gaͤnzlich unmoͤglich, in einem Falle zu beweiſen, daß eine
Natureinrichtung, es mag ſeyn welche da wolle, ganz
und gar keinen Zweck habe. Daher erweitert auch die
Phyſiologie (der Aerzte) ihre ſehr eingeſchraͤnkte empiri-
ſche Kentniß von den Zwecken des Gliederbaues eines or-
ganiſchen Coͤrpers durch einen Grundſatz, welchen blos
reine Vernunft eingab, ſo weit, daß man darin ganz
dreuſt und zugleich mit aller Verſtaͤndigen Einſtimmung
annimt, es habe alles an dem Thiere ſeinen Nutzen und
gute Abſicht, welche Vorausſetzung, wenn ſie conſtitutiv
ſeyn ſolte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobach-
tung berechtigen kan, woraus denn zu erſehen iſt: daß ſie
nichts als ein regulatives Princip der Vernunft ſey, um
zur hoͤchſten ſyſtematiſchen Einheit, vermittelſt der Idee
der zweckmaͤſſigen Cauſſalitaͤt der oberſten Welturſache und,
als ob dieſe, als hoͤchſte Intelligenz nach der weiſeſten Ab-
ſicht die Urſache von allem ſey, zu gelangen.


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[688/0718] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. angetroffen werde, wodurch wir, in einem ſolchen Falle, nur eine Einheit mehr vermiſſen, aber nicht die Vernunft- einheit in ihrem empiriſchen Gebrauche verderben. Aber ſo gar dieſer Querſtrich kan das Geſetz ſelbſt in allgemei- ner und teleologiſcher Abſicht uͤberhaupt nicht treffen. Denn, ob zwar ein Zergliederer eines Irrthumes uͤberfuͤhrt werden kan, wenn er irgend ein Gliedmaas eines thieriſchen Coͤr- pers auf einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich zeigen kan, daß er daraus nicht erfolge: ſo iſt es doch gaͤnzlich unmoͤglich, in einem Falle zu beweiſen, daß eine Natureinrichtung, es mag ſeyn welche da wolle, ganz und gar keinen Zweck habe. Daher erweitert auch die Phyſiologie (der Aerzte) ihre ſehr eingeſchraͤnkte empiri- ſche Kentniß von den Zwecken des Gliederbaues eines or- ganiſchen Coͤrpers durch einen Grundſatz, welchen blos reine Vernunft eingab, ſo weit, daß man darin ganz dreuſt und zugleich mit aller Verſtaͤndigen Einſtimmung annimt, es habe alles an dem Thiere ſeinen Nutzen und gute Abſicht, welche Vorausſetzung, wenn ſie conſtitutiv ſeyn ſolte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobach- tung berechtigen kan, woraus denn zu erſehen iſt: daß ſie nichts als ein regulatives Princip der Vernunft ſey, um zur hoͤchſten ſyſtematiſchen Einheit, vermittelſt der Idee der zweckmaͤſſigen Cauſſalitaͤt der oberſten Welturſache und, als ob dieſe, als hoͤchſte Intelligenz nach der weiſeſten Ab- ſicht die Urſache von allem ſey, zu gelangen. Gehen

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/718>, abgerufen am 01.07.2024.