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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie.
auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft
ganz neue Aussichten nach telologischen Gesetzen die Dinge
der Welt zu verknüpfen, und dadurch zu der größten systema-
tischen Einheit derselben zu gelangen. Die Voraussetzung
einer obersten Intelligenz, als der alleinigen Ursache des
Weltganzen, aber freilich blos in der Idee, kan also ie-
derzeit der Vernunft nutzen und dabey doch niemals schaden.
Denn, wenn wir in Ansehung der Figur der Erde (der runden
doch etwas abgeplatteten*), der Gebirge und Meere etc.
lauter weise Absichten eines Urhebers zum voraus anneh-
men, so können wir auf diesem Wege eine Menge von
Entdeckungen machen. Bleiben wir nur bey dieser Vor-
aussetzung, als einem blos regulativen Princip, so kan
selbst der Irrthum uns nicht schaden. Denn es kan allen-
falls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen
teleologischen Zusammenhang (nexus finalis) erwarteten,
ein blos mechanischer oder physischer (nexus effectiuus)

ange-
*) Der Vortheil, den eine kugelichte Erdgestalt schaft, ist be-
kant gnug; aber wenige wissen: daß ihre Abplattung,
als eines Sphäroids, es allein verhindert, daß nicht die
Hervorragungen des festen Landes, oder auch kleinerer,
vielleicht durch Erdbeben aufgeworfener Berge, die Achse
der Erde continuirlich und in nicht eben langer Zeit an-
sehnlich verrücke, wäre nicht die Aufschwellung der Erde
unter der Linie ein so gewaltiger Berg, den der Schwung
iedes andern Berges niemals merklich aus seiner Lage in
Ansehung der Achse bringen kan. Und doch erklärt man
diese weise Anstalt ohne Bedenken aus dem Gleichgewicht
der ehmals flüssigen Erdmasse.

VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft
ganz neue Ausſichten nach telologiſchen Geſetzen die Dinge
der Welt zu verknuͤpfen, und dadurch zu der groͤßten ſyſtema-
tiſchen Einheit derſelben zu gelangen. Die Vorausſetzung
einer oberſten Intelligenz, als der alleinigen Urſache des
Weltganzen, aber freilich blos in der Idee, kan alſo ie-
derzeit der Vernunft nutzen und dabey doch niemals ſchaden.
Denn, wenn wir in Anſehung der Figur der Erde (der runden
doch etwas abgeplatteten*), der Gebirge und Meere ꝛc.
lauter weiſe Abſichten eines Urhebers zum voraus anneh-
men, ſo koͤnnen wir auf dieſem Wege eine Menge von
Entdeckungen machen. Bleiben wir nur bey dieſer Vor-
ausſetzung, als einem blos regulativen Princip, ſo kan
ſelbſt der Irrthum uns nicht ſchaden. Denn es kan allen-
falls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen
teleologiſchen Zuſammenhang (nexus finalis) erwarteten,
ein blos mechaniſcher oder phyſiſcher (nexus effectiuus)

ange-
*) Der Vortheil, den eine kugelichte Erdgeſtalt ſchaft, iſt be-
kant gnug; aber wenige wiſſen: daß ihre Abplattung,
als eines Sphaͤroids, es allein verhindert, daß nicht die
Hervorragungen des feſten Landes, oder auch kleinerer,
vielleicht durch Erdbeben aufgeworfener Berge, die Achſe
der Erde continuirlich und in nicht eben langer Zeit an-
ſehnlich verruͤcke, waͤre nicht die Aufſchwellung der Erde
unter der Linie ein ſo gewaltiger Berg, den der Schwung
iedes andern Berges niemals merklich aus ſeiner Lage in
Anſehung der Achſe bringen kan. Und doch erklaͤrt man
dieſe weiſe Anſtalt ohne Bedenken aus dem Gleichgewicht
der ehmals fluͤſſigen Erdmaſſe.
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[687/0717] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Ausſichten nach telologiſchen Geſetzen die Dinge der Welt zu verknuͤpfen, und dadurch zu der groͤßten ſyſtema- tiſchen Einheit derſelben zu gelangen. Die Vorausſetzung einer oberſten Intelligenz, als der alleinigen Urſache des Weltganzen, aber freilich blos in der Idee, kan alſo ie- derzeit der Vernunft nutzen und dabey doch niemals ſchaden. Denn, wenn wir in Anſehung der Figur der Erde (der runden doch etwas abgeplatteten *), der Gebirge und Meere ꝛc. lauter weiſe Abſichten eines Urhebers zum voraus anneh- men, ſo koͤnnen wir auf dieſem Wege eine Menge von Entdeckungen machen. Bleiben wir nur bey dieſer Vor- ausſetzung, als einem blos regulativen Princip, ſo kan ſelbſt der Irrthum uns nicht ſchaden. Denn es kan allen- falls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen teleologiſchen Zuſammenhang (nexus finalis) erwarteten, ein blos mechaniſcher oder phyſiſcher (nexus effectiuus) ange- *) Der Vortheil, den eine kugelichte Erdgeſtalt ſchaft, iſt be- kant gnug; aber wenige wiſſen: daß ihre Abplattung, als eines Sphaͤroids, es allein verhindert, daß nicht die Hervorragungen des feſten Landes, oder auch kleinerer, vielleicht durch Erdbeben aufgeworfener Berge, die Achſe der Erde continuirlich und in nicht eben langer Zeit an- ſehnlich verruͤcke, waͤre nicht die Aufſchwellung der Erde unter der Linie ein ſo gewaltiger Berg, den der Schwung iedes andern Berges niemals merklich aus ſeiner Lage in Anſehung der Achſe bringen kan. Und doch erklaͤrt man dieſe weiſe Anſtalt ohne Bedenken aus dem Gleichgewicht der ehmals fluͤſſigen Erdmaſſe.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/717>, abgerufen am 23.11.2024.