Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie.
eines und desselben beharrlichen Wesens zu betrachten, und
alle Erscheinungen im Raume, als von den Handlungen
des Denkens ganz unterschieden vorzustellen. Jene Ein-
fachheit der Substanz etc. solte nur das Schema zu diesem
regulativen Princip seyn und wird nicht vorausgesezt, als
sey sie der wirkliche Grund der Seeleneigenschaften. Denn
diese können auch auf ganz anderen Gründen beruhen, die
wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele auch durch
diese angenommene Prädicate eigentlich nicht an sich selbst
erkennen könten, wenn wir sie gleich von ihr schlechthin
wolten gelten lassen, indem sie eine blosse Idee ausmachen,
die in concreto gar nicht vorgestellet werden kan. Aus
einer solchen psychologischen Idee kan nun nichts anders
als Vortheil entspringen, wenn man sich nur hütet, sie
vor etwas mehr als blosse Idee, d. i. blos relativisch auf
den systematischen Vernunftsgebrauch in Ansehung der Er-
scheinungen unserer Seele, gelten zu lassen. Denn, da
mengen sich keine empirische Gesetze körperlicher Erschei-
nungen, die ganz von anderer Art seyn, in die Erklärun-
gen dessen, was blos vor den inneren Sinn gehöret, da
werden keine windige Hypothesen, von Erzeugung, Zer-
stöhrung und Palingenesie der Seelen etc. zugelassen, also
die Betrachtung dieses Gegenstandes des inneren Sinnes
ganz rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigenschaf-
ten angestellet, überdem die Vernunftuntersuchung darauf
gerichtet, die Erklärungsgründe in diesem Subiecte, so
weit es möglich ist, auf ein einziges Princip hinaus zu

füh-

VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
eines und deſſelben beharrlichen Weſens zu betrachten, und
alle Erſcheinungen im Raume, als von den Handlungen
des Denkens ganz unterſchieden vorzuſtellen. Jene Ein-
fachheit der Subſtanz ꝛc. ſolte nur das Schema zu dieſem
regulativen Princip ſeyn und wird nicht vorausgeſezt, als
ſey ſie der wirkliche Grund der Seeleneigenſchaften. Denn
dieſe koͤnnen auch auf ganz anderen Gruͤnden beruhen, die
wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele auch durch
dieſe angenommene Praͤdicate eigentlich nicht an ſich ſelbſt
erkennen koͤnten, wenn wir ſie gleich von ihr ſchlechthin
wolten gelten laſſen, indem ſie eine bloſſe Idee ausmachen,
die in concreto gar nicht vorgeſtellet werden kan. Aus
einer ſolchen pſychologiſchen Idee kan nun nichts anders
als Vortheil entſpringen, wenn man ſich nur huͤtet, ſie
vor etwas mehr als bloſſe Idee, d. i. blos relativiſch auf
den ſyſtematiſchen Vernunftsgebrauch in Anſehung der Er-
ſcheinungen unſerer Seele, gelten zu laſſen. Denn, da
mengen ſich keine empiriſche Geſetze koͤrperlicher Erſchei-
nungen, die ganz von anderer Art ſeyn, in die Erklaͤrun-
gen deſſen, was blos vor den inneren Sinn gehoͤret, da
werden keine windige Hypotheſen, von Erzeugung, Zer-
ſtoͤhrung und Palingeneſie der Seelen ꝛc. zugelaſſen, alſo
die Betrachtung dieſes Gegenſtandes des inneren Sinnes
ganz rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigenſchaf-
ten angeſtellet, uͤberdem die Vernunftunterſuchung darauf
gerichtet, die Erklaͤrungsgruͤnde in dieſem Subiecte, ſo
weit es moͤglich iſt, auf ein einziges Princip hinaus zu

fuͤh-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0713" n="683"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Ab&#x017F;ch. Critik aller &#x017F;peculativen Theologie.</fw><lb/>
eines und de&#x017F;&#x017F;elben beharrlichen We&#x017F;ens zu betrachten, und<lb/>
alle Er&#x017F;cheinungen im Raume, als von den Handlungen<lb/>
des Denkens ganz unter&#x017F;chieden vorzu&#x017F;tellen. Jene Ein-<lb/>
fachheit der Sub&#x017F;tanz &#xA75B;c. &#x017F;olte nur das Schema zu die&#x017F;em<lb/>
regulativen Princip &#x017F;eyn und wird nicht vorausge&#x017F;ezt, als<lb/>
&#x017F;ey &#x017F;ie der wirkliche Grund der Seeleneigen&#x017F;chaften. Denn<lb/>
die&#x017F;e ko&#x0364;nnen auch auf ganz anderen Gru&#x0364;nden beruhen, die<lb/>
wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele auch durch<lb/>
die&#x017F;e angenommene Pra&#x0364;dicate eigentlich nicht an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
erkennen ko&#x0364;nten, wenn wir &#x017F;ie gleich von ihr &#x017F;chlechthin<lb/>
wolten gelten la&#x017F;&#x017F;en, indem &#x017F;ie eine blo&#x017F;&#x017F;e Idee ausmachen,<lb/>
die <hi rendition="#aq">in concreto</hi> gar nicht vorge&#x017F;tellet werden kan. Aus<lb/>
einer &#x017F;olchen p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Idee kan nun nichts anders<lb/>
als Vortheil ent&#x017F;pringen, wenn man &#x017F;ich nur hu&#x0364;tet, &#x017F;ie<lb/>
vor etwas mehr als blo&#x017F;&#x017F;e Idee, d. i. blos relativi&#x017F;ch auf<lb/>
den &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Vernunftsgebrauch in An&#x017F;ehung der Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen un&#x017F;erer Seele, gelten zu la&#x017F;&#x017F;en. Denn, da<lb/>
mengen &#x017F;ich keine empiri&#x017F;che Ge&#x017F;etze ko&#x0364;rperlicher Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen, die ganz von anderer Art &#x017F;eyn, in die Erkla&#x0364;run-<lb/>
gen de&#x017F;&#x017F;en, was blos vor den inneren Sinn geho&#x0364;ret, da<lb/>
werden keine windige Hypothe&#x017F;en, von Erzeugung, Zer-<lb/>
&#x017F;to&#x0364;hrung und Palingene&#x017F;ie der Seelen &#xA75B;c. zugela&#x017F;&#x017F;en, al&#x017F;o<lb/>
die Betrachtung die&#x017F;es Gegen&#x017F;tandes des inneren Sinnes<lb/>
ganz rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigen&#x017F;chaf-<lb/>
ten ange&#x017F;tellet, u&#x0364;berdem die Vernunftunter&#x017F;uchung darauf<lb/>
gerichtet, die Erkla&#x0364;rungsgru&#x0364;nde in die&#x017F;em Subiecte, &#x017F;o<lb/>
weit es mo&#x0364;glich i&#x017F;t, auf ein einziges Princip hinaus zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;h-</fw><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[683/0713] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. eines und deſſelben beharrlichen Weſens zu betrachten, und alle Erſcheinungen im Raume, als von den Handlungen des Denkens ganz unterſchieden vorzuſtellen. Jene Ein- fachheit der Subſtanz ꝛc. ſolte nur das Schema zu dieſem regulativen Princip ſeyn und wird nicht vorausgeſezt, als ſey ſie der wirkliche Grund der Seeleneigenſchaften. Denn dieſe koͤnnen auch auf ganz anderen Gruͤnden beruhen, die wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele auch durch dieſe angenommene Praͤdicate eigentlich nicht an ſich ſelbſt erkennen koͤnten, wenn wir ſie gleich von ihr ſchlechthin wolten gelten laſſen, indem ſie eine bloſſe Idee ausmachen, die in concreto gar nicht vorgeſtellet werden kan. Aus einer ſolchen pſychologiſchen Idee kan nun nichts anders als Vortheil entſpringen, wenn man ſich nur huͤtet, ſie vor etwas mehr als bloſſe Idee, d. i. blos relativiſch auf den ſyſtematiſchen Vernunftsgebrauch in Anſehung der Er- ſcheinungen unſerer Seele, gelten zu laſſen. Denn, da mengen ſich keine empiriſche Geſetze koͤrperlicher Erſchei- nungen, die ganz von anderer Art ſeyn, in die Erklaͤrun- gen deſſen, was blos vor den inneren Sinn gehoͤret, da werden keine windige Hypotheſen, von Erzeugung, Zer- ſtoͤhrung und Palingeneſie der Seelen ꝛc. zugelaſſen, alſo die Betrachtung dieſes Gegenſtandes des inneren Sinnes ganz rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigenſchaf- ten angeſtellet, uͤberdem die Vernunftunterſuchung darauf gerichtet, die Erklaͤrungsgruͤnde in dieſem Subiecte, ſo weit es moͤglich iſt, auf ein einziges Princip hinaus zu fuͤh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/713
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/713>, abgerufen am 23.11.2024.