Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
wenn diese irgend ein Daseyn, als die Bedingung der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft, nothwendig vor- aussetzen, dieses Daseyn postulirt werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf diese bestimte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdingsnoth- wendig erkant wird. Wir werden künftig von den mo- ralischen Gesetzen zeigen: daß sie das Daseyn eines höch- sten Wesens nicht blos voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger Betrachtung schlechterdings nothwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur practisch, postuli- ren; iezt setzen wir diese Schlußart noch bey Seite.
Da, wenn blos von dem, was da ist (nicht, was seyn soll), die Rede ist, das Bedingte, welches uns in der Er- fahrung gegeben wird, iederzeit auch als zufällig gedacht wird, so kan die zu ihm gehörige Bedingung daraus nicht als schle[ch]thinnothwendig erkant werden, sondern dient nur als eine respectivnothwendige, oder vielmehr nöthige, an sich selbst aber und a priori willkührliche Voraussetzung zum Vernunfterkentniß des Bedingten. Soll also die ab- solute Nothwendigkeit eines Dinges im theoretischen Er- kentnisse erkant werden, so könte dieses allein aus Begrif- fen a priori geschehen, niemals aber als einer Ursache, in Beziehung auf ein Daseyn, das durch Erfahrung ge- geben ist.
Eine theoretische Erkentniß ist speculativ, wenn sie auf einen Gegenstand, oder solche Begriffe von einem Gegen- stande, geht, zu welchem man in keiner Erfahrung ge-
langen
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
wenn dieſe irgend ein Daſeyn, als die Bedingung der Moͤglichkeit ihrer verbindenden Kraft, nothwendig vor- ausſetzen, dieſes Daſeyn poſtulirt werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf dieſe beſtimte Bedingung geht, ſelbſt a priori als ſchlechterdingsnoth- wendig erkant wird. Wir werden kuͤnftig von den mo- raliſchen Geſetzen zeigen: daß ſie das Daſeyn eines hoͤch- ſten Weſens nicht blos vorausſetzen, ſondern auch, da ſie in anderweitiger Betrachtung ſchlechterdings nothwendig ſind, es mit Recht, aber freilich nur practiſch, poſtuli- ren; iezt ſetzen wir dieſe Schlußart noch bey Seite.
Da, wenn blos von dem, was da iſt (nicht, was ſeyn ſoll), die Rede iſt, das Bedingte, welches uns in der Er- fahrung gegeben wird, iederzeit auch als zufaͤllig gedacht wird, ſo kan die zu ihm gehoͤrige Bedingung daraus nicht als ſchle[ch]thinnothwendig erkant werden, ſondern dient nur als eine reſpectivnothwendige, oder vielmehr noͤthige, an ſich ſelbſt aber und a priori willkuͤhrliche Vorausſetzung zum Vernunfterkentniß des Bedingten. Soll alſo die ab- ſolute Nothwendigkeit eines Dinges im theoretiſchen Er- kentniſſe erkant werden, ſo koͤnte dieſes allein aus Begrif- fen a priori geſchehen, niemals aber als einer Urſache, in Beziehung auf ein Daſeyn, das durch Erfahrung ge- geben iſt.
Eine theoretiſche Erkentniß iſt ſpeculativ, wenn ſie auf einen Gegenſtand, oder ſolche Begriffe von einem Gegen- ſtande, geht, zu welchem man in keiner Erfahrung ge-
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
wenn dieſe irgend ein Daſeyn, als die Bedingung der
Moͤglichkeit ihrer verbindenden Kraft, nothwendig vor-
ausſetzen, dieſes Daſeyn poſtulirt werden, darum, weil
das Bedingte, von welchem der Schluß auf dieſe beſtimte
Bedingung geht, ſelbſt a priori als ſchlechterdingsnoth-
wendig erkant wird. Wir werden kuͤnftig von den mo-
raliſchen Geſetzen zeigen: daß ſie das Daſeyn eines hoͤch-
ſten Weſens nicht blos vorausſetzen, ſondern auch, da ſie
in anderweitiger Betrachtung ſchlechterdings nothwendig
ſind, es mit Recht, aber freilich nur practiſch, poſtuli-
ren; iezt ſetzen wir dieſe Schlußart noch bey Seite.
Da, wenn blos von dem, was da iſt (nicht, was ſeyn
ſoll), die Rede iſt, das Bedingte, welches uns in der Er-
fahrung gegeben wird, iederzeit auch als zufaͤllig gedacht
wird, ſo kan die zu ihm gehoͤrige Bedingung daraus nicht
als ſchlechthinnothwendig erkant werden, ſondern dient nur
als eine reſpectivnothwendige, oder vielmehr noͤthige, an
ſich ſelbſt aber und a priori willkuͤhrliche Vorausſetzung
zum Vernunfterkentniß des Bedingten. Soll alſo die ab-
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kentniſſe erkant werden, ſo koͤnte dieſes allein aus Begrif-
fen a priori geſchehen, niemals aber als einer Urſache,
in Beziehung auf ein Daſeyn, das durch Erfahrung ge-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/664>, abgerufen am 23.11.2024.
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