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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
sen, besizt. Denn die Prädicate von sehr grosser, von
erstaunlicher, von unermeßlicher Macht und Treflichkeit
geben gar keinen bestimten Begriff und sagen eigentlich
nicht, was das Ding an sich selbst sey, sondern sind nur
Verhältnißvorstellungen von der Grösse des Gegenstandes,
den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst und seiner
Fassungskraft vergleicht und die gleich hochpreisend ausfal-
len, man mag den Gegenstand vergrössern, oder das be-
obachtende Subiect in Verhältniß auf ihn kleiner machen.
Wo es auf Grösse (der Vollkommenheit) eines Dinges
überhaupt ankomt, da giebt es keinen bestimten Begriff,
als der, so die ganze mögliche Vollkommenheit begreift,
und nur das All (omnitudo) der Realität ist im Begriffe
durchgängig bestimt.

Nun will ich nicht hoffen, daß sich iemand unterwin-
den solte, das Verhältniß der von ihm beobachteten Welt-
grösse (nach Umfang so wol als Inhalt) zur Allmacht, der
Weltordnung zur höchsten Weisheit, der Welteinheit zur
absoluten Einheit des Urhebers etc einzusehen. Also kan
die Physicotheologie keinen bestimten Begriff von der ober-
sten Weltursache geben und daher zu einem Princip der
Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion
ausmachen soll, nicht hinreichend seyn.

Der Schritt zu der absoluten Totalität ist durch den
empirischen Weg ganz und gar unmöglich. Nun thut
man ihn doch aber im physischtheologischen Beweise. Wel-

ches

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
ſen, beſizt. Denn die Praͤdicate von ſehr groſſer, von
erſtaunlicher, von unermeßlicher Macht und Treflichkeit
geben gar keinen beſtimten Begriff und ſagen eigentlich
nicht, was das Ding an ſich ſelbſt ſey, ſondern ſind nur
Verhaͤltnißvorſtellungen von der Groͤſſe des Gegenſtandes,
den der Beobachter (der Welt) mit ſich ſelbſt und ſeiner
Faſſungskraft vergleicht und die gleich hochpreiſend ausfal-
len, man mag den Gegenſtand vergroͤſſern, oder das be-
obachtende Subiect in Verhaͤltniß auf ihn kleiner machen.
Wo es auf Groͤſſe (der Vollkommenheit) eines Dinges
uͤberhaupt ankomt, da giebt es keinen beſtimten Begriff,
als der, ſo die ganze moͤgliche Vollkommenheit begreift,
und nur das All (omnitudo) der Realitaͤt iſt im Begriffe
durchgaͤngig beſtimt.

Nun will ich nicht hoffen, daß ſich iemand unterwin-
den ſolte, das Verhaͤltniß der von ihm beobachteten Welt-
groͤſſe (nach Umfang ſo wol als Inhalt) zur Allmacht, der
Weltordnung zur hoͤchſten Weisheit, der Welteinheit zur
abſoluten Einheit des Urhebers ꝛc einzuſehen. Alſo kan
die Phyſicotheologie keinen beſtimten Begriff von der ober-
ſten Welturſache geben und daher zu einem Princip der
Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion
ausmachen ſoll, nicht hinreichend ſeyn.

Der Schritt zu der abſoluten Totalitaͤt iſt durch den
empiriſchen Weg ganz und gar unmoͤglich. Nun thut
man ihn doch aber im phyſiſchtheologiſchen Beweiſe. Wel-

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[628/0658] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſen, beſizt. Denn die Praͤdicate von ſehr groſſer, von erſtaunlicher, von unermeßlicher Macht und Treflichkeit geben gar keinen beſtimten Begriff und ſagen eigentlich nicht, was das Ding an ſich ſelbſt ſey, ſondern ſind nur Verhaͤltnißvorſtellungen von der Groͤſſe des Gegenſtandes, den der Beobachter (der Welt) mit ſich ſelbſt und ſeiner Faſſungskraft vergleicht und die gleich hochpreiſend ausfal- len, man mag den Gegenſtand vergroͤſſern, oder das be- obachtende Subiect in Verhaͤltniß auf ihn kleiner machen. Wo es auf Groͤſſe (der Vollkommenheit) eines Dinges uͤberhaupt ankomt, da giebt es keinen beſtimten Begriff, als der, ſo die ganze moͤgliche Vollkommenheit begreift, und nur das All (omnitudo) der Realitaͤt iſt im Begriffe durchgaͤngig beſtimt. Nun will ich nicht hoffen, daß ſich iemand unterwin- den ſolte, das Verhaͤltniß der von ihm beobachteten Welt- groͤſſe (nach Umfang ſo wol als Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur hoͤchſten Weisheit, der Welteinheit zur abſoluten Einheit des Urhebers ꝛc einzuſehen. Alſo kan die Phyſicotheologie keinen beſtimten Begriff von der ober- ſten Welturſache geben und daher zu einem Princip der Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion ausmachen ſoll, nicht hinreichend ſeyn. Der Schritt zu der abſoluten Totalitaͤt iſt durch den empiriſchen Weg ganz und gar unmoͤglich. Nun thut man ihn doch aber im phyſiſchtheologiſchen Beweiſe. Wel- ches

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/658>, abgerufen am 23.11.2024.