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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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VI. Absch. Unmöglichkeit eines physicotheolog. etc.
ches Mittels bedient man sich also wol, über eine so weite
Kluft zu kommen?

Nachdem man bis zur Bewunderung der Grösse der
Weisheit, der Macht etc des Welturhebers gelanget ist
und nicht weiter kommen kan, so verläßt man auf ein-
mal dieses durch empirische Beweisgründe geführte Argu-
ment und geht zu der, gleich anfangs aus der Ordnung und
Zweckmässigkeit der Welt geschlossenen Zufälligkeit dersel-
ben. Von dieser Zufälligkeit allein geht man nun, le-
diglich durch transscendentale Begriffe, zum Daseyn eines
Schlechthinnothwendigen und von dem Begriffe der abso-
luten Nothwendigkeit der ersten Ursache auf den durch-
gängig bestimten, oder bestimmenden Begriff desselben,
nemlich einer allbefassenden Realität. Also blieb der
physischtheologische Beweis in seiner Unternehmung stecken,
sprang in dieser Verlegenheit plötzlich zu dem cosmologi-
schen Beweise über und, da dieser nur ein versteckter onto-
logischer Beweis ist, so vollführte er seine Absicht wirklich
blos durch reine Vernunft, ob er gleich anfänglich alle Ver-
wandschaft mit dieser abgeleugnet und alles auf einleuch-
tende Beweise aus Erfahrung ausgesezt hatte.

Die Physicotheologen haben also gar nicht Ursache
gegen die transscendentale Beweisart so spröde zu thun
und auf sie mit dem Eigendünkel hellsehender Naturkenner,
als auf das Spinnengewebe finsterer Grübler, herabzusehen.
Denn, wenn sie sich nur selbst prüfen wolten, so würden
sie finden: daß, nachdem sie eine gute Strecke auf dem

Boden
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VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc.
ches Mittels bedient man ſich alſo wol, uͤber eine ſo weite
Kluft zu kommen?

Nachdem man bis zur Bewunderung der Groͤſſe der
Weisheit, der Macht ꝛc des Welturhebers gelanget iſt
und nicht weiter kommen kan, ſo verlaͤßt man auf ein-
mal dieſes durch empiriſche Beweisgruͤnde gefuͤhrte Argu-
ment und geht zu der, gleich anfangs aus der Ordnung und
Zweckmaͤſſigkeit der Welt geſchloſſenen Zufaͤlligkeit derſel-
ben. Von dieſer Zufaͤlligkeit allein geht man nun, le-
diglich durch transſcendentale Begriffe, zum Daſeyn eines
Schlechthinnothwendigen und von dem Begriffe der abſo-
luten Nothwendigkeit der erſten Urſache auf den durch-
gaͤngig beſtimten, oder beſtimmenden Begriff deſſelben,
nemlich einer allbefaſſenden Realitaͤt. Alſo blieb der
phyſiſchtheologiſche Beweis in ſeiner Unternehmung ſtecken,
ſprang in dieſer Verlegenheit ploͤtzlich zu dem cosmologi-
ſchen Beweiſe uͤber und, da dieſer nur ein verſteckter onto-
logiſcher Beweis iſt, ſo vollfuͤhrte er ſeine Abſicht wirklich
blos durch reine Vernunft, ob er gleich anfaͤnglich alle Ver-
wandſchaft mit dieſer abgeleugnet und alles auf einleuch-
tende Beweiſe aus Erfahrung ausgeſezt hatte.

Die Phyſicotheologen haben alſo gar nicht Urſache
gegen die transſcendentale Beweisart ſo ſproͤde zu thun
und auf ſie mit dem Eigenduͤnkel hellſehender Naturkenner,
als auf das Spinnengewebe finſterer Gruͤbler, herabzuſehen.
Denn, wenn ſie ſich nur ſelbſt pruͤfen wolten, ſo wuͤrden
ſie finden: daß, nachdem ſie eine gute Strecke auf dem

Boden
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[629/0659] VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc. ches Mittels bedient man ſich alſo wol, uͤber eine ſo weite Kluft zu kommen? Nachdem man bis zur Bewunderung der Groͤſſe der Weisheit, der Macht ꝛc des Welturhebers gelanget iſt und nicht weiter kommen kan, ſo verlaͤßt man auf ein- mal dieſes durch empiriſche Beweisgruͤnde gefuͤhrte Argu- ment und geht zu der, gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmaͤſſigkeit der Welt geſchloſſenen Zufaͤlligkeit derſel- ben. Von dieſer Zufaͤlligkeit allein geht man nun, le- diglich durch transſcendentale Begriffe, zum Daſeyn eines Schlechthinnothwendigen und von dem Begriffe der abſo- luten Nothwendigkeit der erſten Urſache auf den durch- gaͤngig beſtimten, oder beſtimmenden Begriff deſſelben, nemlich einer allbefaſſenden Realitaͤt. Alſo blieb der phyſiſchtheologiſche Beweis in ſeiner Unternehmung ſtecken, ſprang in dieſer Verlegenheit ploͤtzlich zu dem cosmologi- ſchen Beweiſe uͤber und, da dieſer nur ein verſteckter onto- logiſcher Beweis iſt, ſo vollfuͤhrte er ſeine Abſicht wirklich blos durch reine Vernunft, ob er gleich anfaͤnglich alle Ver- wandſchaft mit dieſer abgeleugnet und alles auf einleuch- tende Beweiſe aus Erfahrung ausgeſezt hatte. Die Phyſicotheologen haben alſo gar nicht Urſache gegen die transſcendentale Beweisart ſo ſproͤde zu thun und auf ſie mit dem Eigenduͤnkel hellſehender Naturkenner, als auf das Spinnengewebe finſterer Gruͤbler, herabzuſehen. Denn, wenn ſie ſich nur ſelbſt pruͤfen wolten, ſo wuͤrden ſie finden: daß, nachdem ſie eine gute Strecke auf dem Boden R r 3

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/659>, abgerufen am 23.11.2024.