Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
thun kan, der, weil er mangelhaft und der Ergän- zung bedürftig ist, kein solches Merkmal der Unabhängig- keit von allen ferneren Bedingungen an sich zeigt. Es ist wahr, daß hieraus noch nicht sicher gefolgert werden kön- ne: daß, was nicht die höchste und in aller Absicht voll- ständige Bedingung in sich enthält, darum selbst seiner Existenz nach bedingt seyn müsse; aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen des Unbedingten Daseyns nicht an sich, dessen die Vernunft mächtig ist, um durch einen Begriff a priori irgend ein Wesen als unbedingt zu er- kennen.
Der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität würde sich also unter allen Begriffen möglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnothwendigen Wesens am be- sten schicken und, wenn er diesem auch nicht völlig gnug thut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen uns genöthigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Existenz eines nothwendigen Wesens nicht in den Wind schlagen dürfen; geben wir sie aber zu, doch in dem ganzen Felde der Möglichkeit nichts finden können, was auf einen solchen Vorzug im Daseyn einen gegründetern Anspruch machen könte.
So ist also der natürliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen. Zuerst überzeugt sie sich vom Da- seyn irgend eines nothwendigen Wesens. In diesem er- kennet sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den Begriff des Unabhängigen von aller Bedingung und findet
ihn
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
thun kan, der, weil er mangelhaft und der Ergaͤn- zung beduͤrftig iſt, kein ſolches Merkmal der Unabhaͤngig- keit von allen ferneren Bedingungen an ſich zeigt. Es iſt wahr, daß hieraus noch nicht ſicher gefolgert werden koͤn- ne: daß, was nicht die hoͤchſte und in aller Abſicht voll- ſtaͤndige Bedingung in ſich enthaͤlt, darum ſelbſt ſeiner Exiſtenz nach bedingt ſeyn muͤſſe; aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen des Unbedingten Daſeyns nicht an ſich, deſſen die Vernunft maͤchtig iſt, um durch einen Begriff a priori irgend ein Weſen als unbedingt zu er- kennen.
Der Begriff eines Weſens von der hoͤchſten Realitaͤt wuͤrde ſich alſo unter allen Begriffen moͤglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnothwendigen Weſens am be- ſten ſchicken und, wenn er dieſem auch nicht voͤllig gnug thut, ſo haben wir doch keine Wahl, ſondern ſehen uns genoͤthigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Exiſtenz eines nothwendigen Weſens nicht in den Wind ſchlagen duͤrfen; geben wir ſie aber zu, doch in dem ganzen Felde der Moͤglichkeit nichts finden koͤnnen, was auf einen ſolchen Vorzug im Daſeyn einen gegruͤndetern Anſpruch machen koͤnte.
So iſt alſo der natuͤrliche Gang der menſchlichen Vernunft beſchaffen. Zuerſt uͤberzeugt ſie ſich vom Da- ſeyn irgend eines nothwendigen Weſens. In dieſem er- kennet ſie eine unbedingte Exiſtenz. Nun ſucht ſie den Begriff des Unabhaͤngigen von aller Bedingung und findet
ihn
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
thun kan, der, weil er mangelhaft und der Ergaͤn-
zung beduͤrftig iſt, kein ſolches Merkmal der Unabhaͤngig-
keit von allen ferneren Bedingungen an ſich zeigt. Es iſt
wahr, daß hieraus noch nicht ſicher gefolgert werden koͤn-
ne: daß, was nicht die hoͤchſte und in aller Abſicht voll-
ſtaͤndige Bedingung in ſich enthaͤlt, darum ſelbſt ſeiner
Exiſtenz nach bedingt ſeyn muͤſſe; aber es hat denn doch
das einzige Merkzeichen des Unbedingten Daſeyns nicht
an ſich, deſſen die Vernunft maͤchtig iſt, um durch einen
Begriff a priori irgend ein Weſen als unbedingt zu er-
kennen.
Der Begriff eines Weſens von der hoͤchſten Realitaͤt
wuͤrde ſich alſo unter allen Begriffen moͤglicher Dinge zu
dem Begriffe eines unbedingtnothwendigen Weſens am be-
ſten ſchicken und, wenn er dieſem auch nicht voͤllig gnug
thut, ſo haben wir doch keine Wahl, ſondern ſehen uns
genoͤthigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Exiſtenz
eines nothwendigen Weſens nicht in den Wind ſchlagen
duͤrfen; geben wir ſie aber zu, doch in dem ganzen Felde
der Moͤglichkeit nichts finden koͤnnen, was auf einen ſolchen
Vorzug im Daſeyn einen gegruͤndetern Anſpruch machen
koͤnte.
So iſt alſo der natuͤrliche Gang der menſchlichen
Vernunft beſchaffen. Zuerſt uͤberzeugt ſie ſich vom Da-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/616>, abgerufen am 23.11.2024.
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