Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe ei- nes Wesens um, das sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte Nothwendigkeit, schicke, nicht so wol, um alsdenn von dem Begriffe desselben a priori auf sein Daseyn zu schliessen (denn getrauete sie sich dieses, so dürfte sie überhaupt nur unter blossen Begriffen forschen und hätte nicht nöthig, ein gegebenes Daseyn zum Grunde zu legen), sondern nur um unter allen Begriffen möglicher Dinge denienigen zu finden, der nichts der absoluten Nothwen- digkeit widerstreitendes in sich hat. Denn, daß doch irgend etwas schlechthin nothwendig existiren müsse, hält sie nach dem ersteren Schlusse schon vor ausgemacht. Wenn sie nun alles wegschaffen kan, was sich mit dieser Nothwen- digkeit nicht verträgt, ausser einem, so ist dieses das schlechthinnothwendige Wesen, man mag nun die Noth- wendigkeit desselben begreiffen, d. i. aus seinem Begriffe allein ableiten können, oder nicht.
Nun scheint dasienige, dessen Begriff zu allem War- um das Darum in sich enthält, das in keinem Stücke und in keiner Absicht defect ist, welches allerwerts als Bedin- gung hinreicht, eben darum das zur absoluten Nothwen- digkeit schickliche Wesen zu seyn, weil es, bey dem Selbst- besitz aller Bedingungen zu allem Möglichen, selbst kei- ner Bedingung bedarf, ia derselben nicht einmal fä- hig ist, folglich, wenigstens in einem Stücke, dem Begriffe der unbedingten Nothwendigkeit ein Günge thut, darin es kein anderer Begriff ihm gleich
thun
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III. Abſch. Von den Beweiſen des Daſeyns ꝛc.
Nun ſieht ſich die Vernunft nach dem Begriffe ei- nes Weſens um, das ſich zu einem ſolchen Vorzuge der Exiſtenz, als die unbedingte Nothwendigkeit, ſchicke, nicht ſo wol, um alsdenn von dem Begriffe deſſelben a priori auf ſein Daſeyn zu ſchlieſſen (denn getrauete ſie ſich dieſes, ſo duͤrfte ſie uͤberhaupt nur unter bloſſen Begriffen forſchen und haͤtte nicht noͤthig, ein gegebenes Daſeyn zum Grunde zu legen), ſondern nur um unter allen Begriffen moͤglicher Dinge denienigen zu finden, der nichts der abſoluten Nothwen- digkeit widerſtreitendes in ſich hat. Denn, daß doch irgend etwas ſchlechthin nothwendig exiſtiren muͤſſe, haͤlt ſie nach dem erſteren Schluſſe ſchon vor ausgemacht. Wenn ſie nun alles wegſchaffen kan, was ſich mit dieſer Nothwen- digkeit nicht vertraͤgt, auſſer einem, ſo iſt dieſes das ſchlechthinnothwendige Weſen, man mag nun die Noth- wendigkeit deſſelben begreiffen, d. i. aus ſeinem Begriffe allein ableiten koͤnnen, oder nicht.
Nun ſcheint dasienige, deſſen Begriff zu allem War- um das Darum in ſich enthaͤlt, das in keinem Stuͤcke und in keiner Abſicht defect iſt, welches allerwerts als Bedin- gung hinreicht, eben darum das zur abſoluten Nothwen- digkeit ſchickliche Weſen zu ſeyn, weil es, bey dem Selbſt- beſitz aller Bedingungen zu allem Moͤglichen, ſelbſt kei- ner Bedingung bedarf, ia derſelben nicht einmal faͤ- hig iſt, folglich, wenigſtens in einem Stuͤcke, dem Begriffe der unbedingten Nothwendigkeit ein Guͤnge thut, darin es kein anderer Begriff ihm gleich
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III. Abſch. Von den Beweiſen des Daſeyns ꝛc.
Nun ſieht ſich die Vernunft nach dem Begriffe ei-
nes Weſens um, das ſich zu einem ſolchen Vorzuge der
Exiſtenz, als die unbedingte Nothwendigkeit, ſchicke, nicht
ſo wol, um alsdenn von dem Begriffe deſſelben a priori
auf ſein Daſeyn zu ſchlieſſen (denn getrauete ſie ſich dieſes,
ſo duͤrfte ſie uͤberhaupt nur unter bloſſen Begriffen forſchen
und haͤtte nicht noͤthig, ein gegebenes Daſeyn zum Grunde
zu legen), ſondern nur um unter allen Begriffen moͤglicher
Dinge denienigen zu finden, der nichts der abſoluten Nothwen-
digkeit widerſtreitendes in ſich hat. Denn, daß doch irgend
etwas ſchlechthin nothwendig exiſtiren muͤſſe, haͤlt ſie nach
dem erſteren Schluſſe ſchon vor ausgemacht. Wenn ſie
nun alles wegſchaffen kan, was ſich mit dieſer Nothwen-
digkeit nicht vertraͤgt, auſſer einem, ſo iſt dieſes das
ſchlechthinnothwendige Weſen, man mag nun die Noth-
wendigkeit deſſelben begreiffen, d. i. aus ſeinem Begriffe
allein ableiten koͤnnen, oder nicht.
Nun ſcheint dasienige, deſſen Begriff zu allem War-
um das Darum in ſich enthaͤlt, das in keinem Stuͤcke und
in keiner Abſicht defect iſt, welches allerwerts als Bedin-
gung hinreicht, eben darum das zur abſoluten Nothwen-
digkeit ſchickliche Weſen zu ſeyn, weil es, bey dem Selbſt-
beſitz aller Bedingungen zu allem Moͤglichen, ſelbſt kei-
ner Bedingung bedarf, ia derſelben nicht einmal faͤ-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/615>, abgerufen am 23.11.2024.
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