sind die Cörper veränderlich, so bin ich durch eine Reihe von Bedingungen (Prämissen) zu einer Erkentniß (Con- clusion) gelanget. Nun läßt sich eine iede Reihe, deren Exponent (des categorischen oder hypothetischen Urtheils) gegeben ist, fortsetzen, mithin führt eben dieselbe Vernunft- handlung zur ratiocinatio polysyllogistica, welches eine Reihe von Schlüssen ist, die entweder auf die Seite der Bedingungen (per prosyllogismos), oder des Beding- ten (per episyllogismos), in unbestimmte Weiten fort- gesetzet werden kan.
Man wird aber bald inne: daß die Kette, oder Reihe der Prosyllogismen, d. i. der gefolgerten Erkentnisse auf der Seite der Gründe, oder der Bedingungen zu einem gegebenen Erkentniß, mit andern Worten: die aufsteigen- de Reihe der Vernunftschlüsse sich gegen das Vernunft- vermögen doch anders verhalten müsse, als die absteigen- de Reihe, d. i. der Fortgang der Vernunft auf der Seite des Bedingten durch Episyllogismen. Denn, da im erste- ren Falle das Erkentniß (conclusio) nur als bedingt ge- geben ist: so kan man zu demselben vermittelst der Ver- nunft nicht anders gelangen, als wenigstens unter der Voraussetzung: daß alle Glieder der Reihe auf der Seite der Bedingungen gegeben sind, (Totalität in der Reihe der Prämissen) weil nur unter deren Voraussetzung das vor- liegende Urtheil a priori möglich ist; dagegen auf der Seite des Bedingten, oder der Folgerungen, nur eine werden-
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II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen.
ſind die Coͤrper veraͤnderlich, ſo bin ich durch eine Reihe von Bedingungen (Praͤmiſſen) zu einer Erkentniß (Con- cluſion) gelanget. Nun laͤßt ſich eine iede Reihe, deren Exponent (des categoriſchen oder hypothetiſchen Urtheils) gegeben iſt, fortſetzen, mithin fuͤhrt eben dieſelbe Vernunft- handlung zur ratiocinatio polyſyllogiſtica, welches eine Reihe von Schluͤſſen iſt, die entweder auf die Seite der Bedingungen (per proſyllogismos), oder des Beding- ten (per epiſyllogismos), in unbeſtimmte Weiten fort- geſetzet werden kan.
Man wird aber bald inne: daß die Kette, oder Reihe der Proſyllogismen, d. i. der gefolgerten Erkentniſſe auf der Seite der Gruͤnde, oder der Bedingungen zu einem gegebenen Erkentniß, mit andern Worten: die aufſteigen- de Reihe der Vernunftſchluͤſſe ſich gegen das Vernunft- vermoͤgen doch anders verhalten muͤſſe, als die abſteigen- de Reihe, d. i. der Fortgang der Vernunft auf der Seite des Bedingten durch Epiſyllogismen. Denn, da im erſte- ren Falle das Erkentniß (concluſio) nur als bedingt ge- geben iſt: ſo kan man zu demſelben vermittelſt der Ver- nunft nicht anders gelangen, als wenigſtens unter der Vorausſetzung: daß alle Glieder der Reihe auf der Seite der Bedingungen gegeben ſind, (Totalitaͤt in der Reihe der Praͤmiſſen) weil nur unter deren Vorausſetzung das vor- liegende Urtheil a priori moͤglich iſt; dagegen auf der Seite des Bedingten, oder der Folgerungen, nur eine werden-
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II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen.
ſind die Coͤrper veraͤnderlich, ſo bin ich durch eine Reihe
von Bedingungen (Praͤmiſſen) zu einer Erkentniß (Con-
cluſion) gelanget. Nun laͤßt ſich eine iede Reihe, deren
Exponent (des categoriſchen oder hypothetiſchen Urtheils)
gegeben iſt, fortſetzen, mithin fuͤhrt eben dieſelbe Vernunft-
handlung zur ratiocinatio polyſyllogiſtica, welches eine
Reihe von Schluͤſſen iſt, die entweder auf die Seite der
Bedingungen (per proſyllogismos), oder des Beding-
ten (per epiſyllogismos), in unbeſtimmte Weiten fort-
geſetzet werden kan.
Man wird aber bald inne: daß die Kette, oder Reihe
der Proſyllogismen, d. i. der gefolgerten Erkentniſſe auf
der Seite der Gruͤnde, oder der Bedingungen zu einem
gegebenen Erkentniß, mit andern Worten: die aufſteigen-
de Reihe der Vernunftſchluͤſſe ſich gegen das Vernunft-
vermoͤgen doch anders verhalten muͤſſe, als die abſteigen-
de Reihe, d. i. der Fortgang der Vernunft auf der Seite
des Bedingten durch Epiſyllogismen. Denn, da im erſte-
ren Falle das Erkentniß (concluſio) nur als bedingt ge-
geben iſt: ſo kan man zu demſelben vermittelſt der Ver-
nunft nicht anders gelangen, als wenigſtens unter der
Vorausſetzung: daß alle Glieder der Reihe auf der Seite
der Bedingungen gegeben ſind, (Totalitaͤt in der Reihe der
Praͤmiſſen) weil nur unter deren Vorausſetzung das vor-
liegende Urtheil a priori moͤglich iſt; dagegen auf der Seite
des Bedingten, oder der Folgerungen, nur eine werden-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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