heit des Denkens zu bringen. Da ich ietzt von dieser ober- sten Erkentnißkraft eine Erklärung geben soll, so finde ich mich in einiger Verlegenheit. Es giebt von ihr, wie von dem Verstande, einen blos formalen, d. i. logischen Gebrauch, da die Vernunft von allem Inhalte der Erkentniß abstra- hirt, aber auch einen realen, da sie selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze enthält, die sie weder von den Sinnen, noch vom Verstande entlehnt. Das erstere Vermögen ist nun freilich vorlängst von den Logikern durch das Vermögen mittelbar zu schliessen (zum Unter- schiede von den unmittelbaren Schlüssen, consequentiis immediatis) erklärt worden, das zweite aber, welches selbst Begriffe erzeugt, wird dadurch noch nicht eingesehen. Da nun hier eine Eintheilung der Vernunft in ein logisches und transscendentales Vermögen vorkomt, so muß ein höherer Begriff von dieser Erkentnißquelle gesucht werden, welcher beide Begriffe unter sich befaßt, indessen wir nach der Analogie mit den Verstandesbegriffen erwarten können: daß der logische Begriff zugleich den Schlüssel zum trans- scendentalen, und die Tafel der Functionen der ersteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde.
Wir erkläreten, im erstern Theile unserer transscen- dentalen Logik, den Verstand durch das Vermögen der Regeln, hier unterscheiden wir die Vernunft von demsel- ben dadurch, daß wir sie das Vermögen der Principien nennen wollen.
Der
Einleitung.
heit des Denkens zu bringen. Da ich ietzt von dieſer ober- ſten Erkentnißkraft eine Erklaͤrung geben ſoll, ſo finde ich mich in einiger Verlegenheit. Es giebt von ihr, wie von dem Verſtande, einen blos formalen, d. i. logiſchen Gebrauch, da die Vernunft von allem Inhalte der Erkentniß abſtra- hirt, aber auch einen realen, da ſie ſelbſt den Urſprung gewiſſer Begriffe und Grundſaͤtze enthaͤlt, die ſie weder von den Sinnen, noch vom Verſtande entlehnt. Das erſtere Vermoͤgen iſt nun freilich vorlaͤngſt von den Logikern durch das Vermoͤgen mittelbar zu ſchlieſſen (zum Unter- ſchiede von den unmittelbaren Schluͤſſen, conſequentiis immediatis) erklaͤrt worden, das zweite aber, welches ſelbſt Begriffe erzeugt, wird dadurch noch nicht eingeſehen. Da nun hier eine Eintheilung der Vernunft in ein logiſches und transſcendentales Vermoͤgen vorkomt, ſo muß ein hoͤherer Begriff von dieſer Erkentnißquelle geſucht werden, welcher beide Begriffe unter ſich befaßt, indeſſen wir nach der Analogie mit den Verſtandesbegriffen erwarten koͤnnen: daß der logiſche Begriff zugleich den Schluͤſſel zum trans- ſcendentalen, und die Tafel der Functionen der erſteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde.
Wir erklaͤreten, im erſtern Theile unſerer transſcen- dentalen Logik, den Verſtand durch das Vermoͤgen der Regeln, hier unterſcheiden wir die Vernunft von demſel- ben dadurch, daß wir ſie das Vermoͤgen der Principien nennen wollen.
Der
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Einleitung.
heit des Denkens zu bringen. Da ich ietzt von dieſer ober-
ſten Erkentnißkraft eine Erklaͤrung geben ſoll, ſo finde ich
mich in einiger Verlegenheit. Es giebt von ihr, wie von
dem Verſtande, einen blos formalen, d. i. logiſchen Gebrauch,
da die Vernunft von allem Inhalte der Erkentniß abſtra-
hirt, aber auch einen realen, da ſie ſelbſt den Urſprung
gewiſſer Begriffe und Grundſaͤtze enthaͤlt, die ſie weder
von den Sinnen, noch vom Verſtande entlehnt. Das
erſtere Vermoͤgen iſt nun freilich vorlaͤngſt von den Logikern
durch das Vermoͤgen mittelbar zu ſchlieſſen (zum Unter-
ſchiede von den unmittelbaren Schluͤſſen, conſequentiis
immediatis) erklaͤrt worden, das zweite aber, welches
ſelbſt Begriffe erzeugt, wird dadurch noch nicht eingeſehen.
Da nun hier eine Eintheilung der Vernunft in ein logiſches
und transſcendentales Vermoͤgen vorkomt, ſo muß ein
hoͤherer Begriff von dieſer Erkentnißquelle geſucht werden,
welcher beide Begriffe unter ſich befaßt, indeſſen wir nach
der Analogie mit den Verſtandesbegriffen erwarten koͤnnen:
daß der logiſche Begriff zugleich den Schluͤſſel zum trans-
ſcendentalen, und die Tafel der Functionen der erſteren
zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand
geben werde.
Wir erklaͤreten, im erſtern Theile unſerer transſcen-
dentalen Logik, den Verſtand durch das Vermoͤgen der
Regeln, hier unterſcheiden wir die Vernunft von demſel-
ben dadurch, daß wir ſie das Vermoͤgen der Principien
nennen wollen.
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/329>, abgerufen am 22.11.2024.
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