Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
selt, oder wechseln kan, gehört nur zu der Art, wie die- se Substanz oder Substanzen existiren, mithin zu ihren Bestimmungen.
Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht blos der Philosoph, sondern selbst der gemeine Verstand diese Beharrlichkeit, als ein Substratum alles Wechsels der Erscheinungen, vor- ausgesezt haben, und auch iederzeit als ungezweifelt an- nehmen werden, nur daß der Philosoph sich hierüber et- was bestimter ausdrükt, indem er sagt: bey allen Verän- derungen in der Welt bleibt die Substanz, und nur die Accidenzen wechseln. Ich treffe aber von diesem so synthetischen Satze nirgends auch nur den Versuch von ei- nem Beweise, ia er steht auch nur selten, wie es ihm doch gebührt, an der Spitze der reinen und völlig a priori be- stehenden Gesetze der Natur. In der That ist der Satz: daß die Substanz beharrlich sey, tavtologisch. Denn blos diese Beharrlichkeit ist der Grund, warum wir auf die Erscheinung die Categorie der Substanz anwenden, und man hätte beweisen müssen: daß in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sey, an welchem das Wandelbare nichts als Bestimmung seines Daseyns ist. Da aber ein sol- cher Beweis niemals dogmatisch, d. i. aus Begriffen ge- führt werden kan, weil er einen synthetischen Satz a priori betrift, und man niemals daran dachte, daß dergleichen Sätze nur in Beziehung auf mögliche Erfahrung gültig seyn, mithin auch nur durch eine Deduction der Möglich-
keit
Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſelt, oder wechſeln kan, gehoͤrt nur zu der Art, wie die- ſe Subſtanz oder Subſtanzen exiſtiren, mithin zu ihren Beſtimmungen.
Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht blos der Philoſoph, ſondern ſelbſt der gemeine Verſtand dieſe Beharrlichkeit, als ein Subſtratum alles Wechſels der Erſcheinungen, vor- ausgeſezt haben, und auch iederzeit als ungezweifelt an- nehmen werden, nur daß der Philoſoph ſich hieruͤber et- was beſtimter ausdruͤkt, indem er ſagt: bey allen Veraͤn- derungen in der Welt bleibt die Subſtanz, und nur die Accidenzen wechſeln. Ich treffe aber von dieſem ſo ſynthetiſchen Satze nirgends auch nur den Verſuch von ei- nem Beweiſe, ia er ſteht auch nur ſelten, wie es ihm doch gebuͤhrt, an der Spitze der reinen und voͤllig a priori be- ſtehenden Geſetze der Natur. In der That iſt der Satz: daß die Subſtanz beharrlich ſey, tavtologiſch. Denn blos dieſe Beharrlichkeit iſt der Grund, warum wir auf die Erſcheinung die Categorie der Subſtanz anwenden, und man haͤtte beweiſen muͤſſen: daß in allen Erſcheinungen etwas Beharrliches ſey, an welchem das Wandelbare nichts als Beſtimmung ſeines Daſeyns iſt. Da aber ein ſol- cher Beweis niemals dogmatiſch, d. i. aus Begriffen ge- fuͤhrt werden kan, weil er einen ſynthetiſchen Satz a priori betrift, und man niemals daran dachte, daß dergleichen Saͤtze nur in Beziehung auf moͤgliche Erfahrung guͤltig ſeyn, mithin auch nur durch eine Deduction der Moͤglich-
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Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſelt, oder wechſeln kan, gehoͤrt nur zu der Art, wie die-
ſe Subſtanz oder Subſtanzen exiſtiren, mithin zu ihren
Beſtimmungen.
Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht blos der Philoſoph,
ſondern ſelbſt der gemeine Verſtand dieſe Beharrlichkeit,
als ein Subſtratum alles Wechſels der Erſcheinungen, vor-
ausgeſezt haben, und auch iederzeit als ungezweifelt an-
nehmen werden, nur daß der Philoſoph ſich hieruͤber et-
was beſtimter ausdruͤkt, indem er ſagt: bey allen Veraͤn-
derungen in der Welt bleibt die Subſtanz, und nur die
Accidenzen wechſeln. Ich treffe aber von dieſem ſo
ſynthetiſchen Satze nirgends auch nur den Verſuch von ei-
nem Beweiſe, ia er ſteht auch nur ſelten, wie es ihm doch
gebuͤhrt, an der Spitze der reinen und voͤllig a priori be-
ſtehenden Geſetze der Natur. In der That iſt der Satz:
daß die Subſtanz beharrlich ſey, tavtologiſch. Denn blos
dieſe Beharrlichkeit iſt der Grund, warum wir auf die
Erſcheinung die Categorie der Subſtanz anwenden, und
man haͤtte beweiſen muͤſſen: daß in allen Erſcheinungen
etwas Beharrliches ſey, an welchem das Wandelbare
nichts als Beſtimmung ſeines Daſeyns iſt. Da aber ein ſol-
cher Beweis niemals dogmatiſch, d. i. aus Begriffen ge-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/214>, abgerufen am 25.11.2024.
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