d. i. das Beharrliche ist das Substratum der empirischen Vorstellung der Zeit selbst, an welchem alle Zeitbestimmung allein möglich ist. Die Beharrlichkeit drükt überhaupt die Zeit, als das beständige Correlatum alles Daseyns der Er- scheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung, aus. Denn der Wechsel trift die Zeit selbst nicht, sondern nur die Erscheinungen in der Zeit, (so wie das Zugleichseyn nicht ein modus der Zeit selbst ist, als in welcher gar keine Theile zugleich, sondern alle nach einander seyn). Wollte man der Zeit selbst eine Folge nach einander bey- legen, so müßte man noch eine andere Zeit denken, in welcher diese Folge möglich wäre. Durch das Beharrli- che allein bekömt das Daseyn in verschiedenen Theilen der Zeitreihe nach einander eine Grösse, die man Dauer nent. Denn in der blossen Folge allein ist das Daseyn immer verschwindend und anhebend, und hat niemals die mindeste Grösse. Ohne dieses Beharrliche ist also kein Zeit- verhältniß. Nun kan die Zeit an sich selbst nicht wahrge- nommen werden; mithin ist dieses Beharrliche an den Er- scheinungen das Substratum aller Zeitbestimmung, folg- lich auch die Bedingung der Möglichkeit aller synthetischen Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, und an diesem Beharrlichen kan alles Daseyn, und aller Wechsel in der Zeit nur als ein modus der Existenz dessen, was bleibt, und beharrt, angesehen werden. Also ist in allen Erscheinungen das Beharrliche der Gegenstand selbst, d. i. die Substanz (phaenomenon), alles aber, was wech-
selt,
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III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc.
d. i. das Beharrliche iſt das Subſtratum der empiriſchen Vorſtellung der Zeit ſelbſt, an welchem alle Zeitbeſtimmung allein moͤglich iſt. Die Beharrlichkeit druͤkt uͤberhaupt die Zeit, als das beſtaͤndige Correlatum alles Daſeyns der Er- ſcheinungen, alles Wechſels und aller Begleitung, aus. Denn der Wechſel trift die Zeit ſelbſt nicht, ſondern nur die Erſcheinungen in der Zeit, (ſo wie das Zugleichſeyn nicht ein modus der Zeit ſelbſt iſt, als in welcher gar keine Theile zugleich, ſondern alle nach einander ſeyn). Wollte man der Zeit ſelbſt eine Folge nach einander bey- legen, ſo muͤßte man noch eine andere Zeit denken, in welcher dieſe Folge moͤglich waͤre. Durch das Beharrli- che allein bekoͤmt das Daſeyn in verſchiedenen Theilen der Zeitreihe nach einander eine Groͤſſe, die man Dauer nent. Denn in der bloſſen Folge allein iſt das Daſeyn immer verſchwindend und anhebend, und hat niemals die mindeſte Groͤſſe. Ohne dieſes Beharrliche iſt alſo kein Zeit- verhaͤltniß. Nun kan die Zeit an ſich ſelbſt nicht wahrge- nommen werden; mithin iſt dieſes Beharrliche an den Er- ſcheinungen das Subſtratum aller Zeitbeſtimmung, folg- lich auch die Bedingung der Moͤglichkeit aller ſynthetiſchen Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, und an dieſem Beharrlichen kan alles Daſeyn, und aller Wechſel in der Zeit nur als ein modus der Exiſtenz deſſen, was bleibt, und beharrt, angeſehen werden. Alſo iſt in allen Erſcheinungen das Beharrliche der Gegenſtand ſelbſt, d. i. die Subſtanz (phænomenon), alles aber, was wech-
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III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc.
d. i. das Beharrliche iſt das Subſtratum der empiriſchen
Vorſtellung der Zeit ſelbſt, an welchem alle Zeitbeſtimmung
allein moͤglich iſt. Die Beharrlichkeit druͤkt uͤberhaupt die
Zeit, als das beſtaͤndige Correlatum alles Daſeyns der Er-
ſcheinungen, alles Wechſels und aller Begleitung, aus.
Denn der Wechſel trift die Zeit ſelbſt nicht, ſondern nur
die Erſcheinungen in der Zeit, (ſo wie das Zugleichſeyn
nicht ein modus der Zeit ſelbſt iſt, als in welcher gar
keine Theile zugleich, ſondern alle nach einander ſeyn).
Wollte man der Zeit ſelbſt eine Folge nach einander bey-
legen, ſo muͤßte man noch eine andere Zeit denken, in
welcher dieſe Folge moͤglich waͤre. Durch das Beharrli-
che allein bekoͤmt das Daſeyn in verſchiedenen Theilen der
Zeitreihe nach einander eine Groͤſſe, die man Dauer
nent. Denn in der bloſſen Folge allein iſt das Daſeyn
immer verſchwindend und anhebend, und hat niemals
die mindeſte Groͤſſe. Ohne dieſes Beharrliche iſt alſo kein Zeit-
verhaͤltniß. Nun kan die Zeit an ſich ſelbſt nicht wahrge-
nommen werden; mithin iſt dieſes Beharrliche an den Er-
ſcheinungen das Subſtratum aller Zeitbeſtimmung, folg-
lich auch die Bedingung der Moͤglichkeit aller ſynthetiſchen
Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, und
an dieſem Beharrlichen kan alles Daſeyn, und aller
Wechſel in der Zeit nur als ein modus der Exiſtenz deſſen,
was bleibt, und beharrt, angeſehen werden. Alſo iſt in
allen Erſcheinungen das Beharrliche der Gegenſtand ſelbſt,
d. i. die Subſtanz (phænomenon), alles aber, was wech-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/213>, abgerufen am 05.05.2024.
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