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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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oder das Stechen mit der Nadel.
braucht wird, wovon ich in der Abhandlung vom Brennen mit der Moxa handeln werde.
Der gemeine Mann wagt es sogar, sich blos auf die Erfahrung zu verlassen, und die Nadel
ohne die Vorschriften eines leitenden Tensasj zu gebrauchen, und hütet sich nur, daß es da-
bei nicht Sehnen, Nerven und große Adern durchstoße. Da ich nun einen algemeinen Be-
grif von der Akupunktur gegeben, wil ich nun noch mit wenigem melden, wie sie bei der
Kolik angewandt werde.

Die Japanischen Aerzte pflegen bei einem an der Kolik Kranken neun Nadelstiche
vorzuschreiben, welche auf dem Unterbauche geschehen müssen, und zwar so, daß die neun
gestochnen Punkte gerade ein Quadrat ausmachen, und allemal zwischen zwey derselben eines
umgekehrten doppelten Daumens Breite gelassen wird. (S. Tab. XLIII Fig. 6.) Jede
Reihe dieser Punktirungen hat bei den Lehrern der Kunst einen besondern Namen, und bei jeder
sind eigne Regeln zu beobachten. Die erste Reihe heist Sjoquan, und ist dicht unter den
Rippen, die andre Tsjuquan, in der Mitte zwischen dem Nabel und dem spitzigen Knor-
pel des Brustbeins; die dritte Gecquan, etwa einen halben Zol über dem Nabel. Wenn
in diesen drei Reihen nach der Ordnung und den Vorschriften des Meisters der Kunst in
gehöriger Tiefe gestochen ist; so hören die Schmerzen der Senki sogleich und oft in einem
Augenblick auf, als wenn sie weggezaubert wäre. Jch kan dies als Wahrheit versichern,
da ich sehr oft Augenzeuge davon gewesen bin.

Man hat auch mit dem andern vorher angeführten Universalmittel die Kolik zu
vertreiben gesucht, aber nicht mit so glüklichem Erfolg. Der Körper des Patienten wird
alsdenn an beiden Seiten des Nabels in der Entfernung von zwei Zol gebrant. Diese beiden
Orte heißen Tensu, und sind berühmt, weil man in den meisten Fällen hier zu brennen
pflegt, und daher auch denen wohl bekant, die nicht Kenner der Chirurgie sind. Jch werde
davon in der folgenden Abhandlung genauer reden.

Man hatte auch noch kurz vor meiner Ankunft ein Mittel wider die Kolik entdekt,
dem ganz ausnehmende Kräfte beigemessen werden, und das izt sehr häufig nicht nur in
der Krankheit, von der wir reden, gebraucht wird, sondern auch im cholerischen Uebel,
das hier sehr häufig ist und betrübte Folgen hervorbringt, wie auch in dem chronischen
Bauchschmerzen Saku, der gleichfals endemisch ist und mit der Kolik viel Aehnlichkeit hat,
und überhaupt in allen Bauchschmerzen, (deren Siz in den Därmen von Feuer und Metal
nicht leicht erreicht werden kann) und vielen andern Zufällen. Dies Mittel ist ein Pulver,
das in der Landessprache Dsjosei, in den Charaktern der Gelehrten aber Wadsusan heißt.
Es wird nur allein in dem Dorfe Menoki, in der Provinz Oomi unter dem Siegel des

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oder das Stechen mit der Nadel.
braucht wird, wovon ich in der Abhandlung vom Brennen mit der Moxa handeln werde.
Der gemeine Mann wagt es ſogar, ſich blos auf die Erfahrung zu verlaſſen, und die Nadel
ohne die Vorſchriften eines leitenden Tenſaſj zu gebrauchen, und huͤtet ſich nur, daß es da-
bei nicht Sehnen, Nerven und große Adern durchſtoße. Da ich nun einen algemeinen Be-
grif von der Akupunktur gegeben, wil ich nun noch mit wenigem melden, wie ſie bei der
Kolik angewandt werde.

Die Japaniſchen Aerzte pflegen bei einem an der Kolik Kranken neun Nadelſtiche
vorzuſchreiben, welche auf dem Unterbauche geſchehen muͤſſen, und zwar ſo, daß die neun
geſtochnen Punkte gerade ein Quadrat ausmachen, und allemal zwiſchen zwey derſelben eines
umgekehrten doppelten Daumens Breite gelaſſen wird. (S. Tab. XLIII Fig. 6.) Jede
Reihe dieſer Punktirungen hat bei den Lehrern der Kunſt einen beſondern Namen, und bei jeder
ſind eigne Regeln zu beobachten. Die erſte Reihe heiſt Sjoquan, und iſt dicht unter den
Rippen, die andre Tſjuquan, in der Mitte zwiſchen dem Nabel und dem ſpitzigen Knor-
pel des Bruſtbeins; die dritte Gecquan, etwa einen halben Zol uͤber dem Nabel. Wenn
in dieſen drei Reihen nach der Ordnung und den Vorſchriften des Meiſters der Kunſt in
gehoͤriger Tiefe geſtochen iſt; ſo hoͤren die Schmerzen der Senki ſogleich und oft in einem
Augenblick auf, als wenn ſie weggezaubert waͤre. Jch kan dies als Wahrheit verſichern,
da ich ſehr oft Augenzeuge davon geweſen bin.

Man hat auch mit dem andern vorher angefuͤhrten Univerſalmittel die Kolik zu
vertreiben geſucht, aber nicht mit ſo gluͤklichem Erfolg. Der Koͤrper des Patienten wird
alsdenn an beiden Seiten des Nabels in der Entfernung von zwei Zol gebrant. Dieſe beiden
Orte heißen Tenſu, und ſind beruͤhmt, weil man in den meiſten Faͤllen hier zu brennen
pflegt, und daher auch denen wohl bekant, die nicht Kenner der Chirurgie ſind. Jch werde
davon in der folgenden Abhandlung genauer reden.

Man hatte auch noch kurz vor meiner Ankunft ein Mittel wider die Kolik entdekt,
dem ganz ausnehmende Kraͤfte beigemeſſen werden, und das izt ſehr haͤufig nicht nur in
der Krankheit, von der wir reden, gebraucht wird, ſondern auch im choleriſchen Uebel,
das hier ſehr haͤufig iſt und betruͤbte Folgen hervorbringt, wie auch in dem chroniſchen
Bauchſchmerzen Saku, der gleichfals endemiſch iſt und mit der Kolik viel Aehnlichkeit hat,
und uͤberhaupt in allen Bauchſchmerzen, (deren Siz in den Daͤrmen von Feuer und Metal
nicht leicht erreicht werden kann) und vielen andern Zufaͤllen. Dies Mittel iſt ein Pulver,
das in der Landesſprache Dſjoſei, in den Charaktern der Gelehrten aber Wadſuſan heißt.
Es wird nur allein in dem Dorfe Menoki, in der Provinz Oomi unter dem Siegel des

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[427/0483] oder das Stechen mit der Nadel. braucht wird, wovon ich in der Abhandlung vom Brennen mit der Moxa handeln werde. Der gemeine Mann wagt es ſogar, ſich blos auf die Erfahrung zu verlaſſen, und die Nadel ohne die Vorſchriften eines leitenden Tenſaſj zu gebrauchen, und huͤtet ſich nur, daß es da- bei nicht Sehnen, Nerven und große Adern durchſtoße. Da ich nun einen algemeinen Be- grif von der Akupunktur gegeben, wil ich nun noch mit wenigem melden, wie ſie bei der Kolik angewandt werde. Die Japaniſchen Aerzte pflegen bei einem an der Kolik Kranken neun Nadelſtiche vorzuſchreiben, welche auf dem Unterbauche geſchehen muͤſſen, und zwar ſo, daß die neun geſtochnen Punkte gerade ein Quadrat ausmachen, und allemal zwiſchen zwey derſelben eines umgekehrten doppelten Daumens Breite gelaſſen wird. (S. Tab. XLIII Fig. 6.) Jede Reihe dieſer Punktirungen hat bei den Lehrern der Kunſt einen beſondern Namen, und bei jeder ſind eigne Regeln zu beobachten. Die erſte Reihe heiſt Sjoquan, und iſt dicht unter den Rippen, die andre Tſjuquan, in der Mitte zwiſchen dem Nabel und dem ſpitzigen Knor- pel des Bruſtbeins; die dritte Gecquan, etwa einen halben Zol uͤber dem Nabel. Wenn in dieſen drei Reihen nach der Ordnung und den Vorſchriften des Meiſters der Kunſt in gehoͤriger Tiefe geſtochen iſt; ſo hoͤren die Schmerzen der Senki ſogleich und oft in einem Augenblick auf, als wenn ſie weggezaubert waͤre. Jch kan dies als Wahrheit verſichern, da ich ſehr oft Augenzeuge davon geweſen bin. Man hat auch mit dem andern vorher angefuͤhrten Univerſalmittel die Kolik zu vertreiben geſucht, aber nicht mit ſo gluͤklichem Erfolg. Der Koͤrper des Patienten wird alsdenn an beiden Seiten des Nabels in der Entfernung von zwei Zol gebrant. Dieſe beiden Orte heißen Tenſu, und ſind beruͤhmt, weil man in den meiſten Faͤllen hier zu brennen pflegt, und daher auch denen wohl bekant, die nicht Kenner der Chirurgie ſind. Jch werde davon in der folgenden Abhandlung genauer reden. Man hatte auch noch kurz vor meiner Ankunft ein Mittel wider die Kolik entdekt, dem ganz ausnehmende Kraͤfte beigemeſſen werden, und das izt ſehr haͤufig nicht nur in der Krankheit, von der wir reden, gebraucht wird, ſondern auch im choleriſchen Uebel, das hier ſehr haͤufig iſt und betruͤbte Folgen hervorbringt, wie auch in dem chroniſchen Bauchſchmerzen Saku, der gleichfals endemiſch iſt und mit der Kolik viel Aehnlichkeit hat, und uͤberhaupt in allen Bauchſchmerzen, (deren Siz in den Daͤrmen von Feuer und Metal nicht leicht erreicht werden kann) und vielen andern Zufaͤllen. Dies Mittel iſt ein Pulver, das in der Landesſprache Dſjoſei, in den Charaktern der Gelehrten aber Wadſuſan heißt. Es wird nur allein in dem Dorfe Menoki, in der Provinz Oomi unter dem Siegel des Erfin- H h h 2

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/483>, abgerufen am 22.07.2024.