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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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Funfzehntes Kap. Rükreise von Jedo bis Nagasacki.

Was sich noch alhier bis zu unserer Abreise nach Batavia und Europa anmerkens-
werthes begeben hat, wird nun den Beschlus dieser Geschichte ausmachen.

Das erste, was wir bei unserer Ankunft auf Desima veränderliches wahrnahmen,
war, daß alle sonst öffentliche Buden mit Geflügelvieh verschlossen gehalten wurden, weil
vor 10 Tagen der Kaiserliche Befehl von Jedo gekommen, daß, außer Fischen, nichts
von Thieren ums Leben gebracht werden solte, es wäre denn, daß es für die Holländer oder
Sinesen wäre; nur vor dem Hause, nicht aber auf der öffentlichen Straße, konte man
davon etwas zu Kaufe bekommen.

Einige Tage nach unserer Ankunft hatte man drei ertapte Japaner auf der Tor-
tur, welche bekanten, daß sie höchstens für 1000 Tail der Wurzel Nisj oder Nindsin,
auch Calamback und Moschus von den Sinesern durch die Huren und anderwärts erhandelt
hätten. Diese Huren und Hehler wurden in ihren Häusern zugenagelt*), der Sino Ca-
mi
eine neue Torturbank erfunden, woraus kurze spitze Stacheln hervorstechen, über wel-
che die Missethäter nackend gezogen werden**), und dieses Mittel sol die Folge haben,
daß alle Verbrechen gleich zur Bekentnis kommen.

Den 31 Mai begab sich unser Kapitain, Dubbels und ich in das Haus des Gou-
verneurs, um das Danksagungskompliment abzulegen. Die Audienz geschahe auf eben die
Weise, als bei den Großen in Jedo.

Am 1 Junius fand man drei Selbstmörder: einer hatte sich wegen begangenem
Schleichhandels, und der andere, der ein Hauspfaffe war, aus unbekanten Ursachen in
der Nacht erhängt, der dritte aber aus Noth und Armuth den Bauch aufgeschnitten.

Am 14 Junius brachen die ersten Sinesischen Jonken von hier auf, deren 24
dermalen beysammen waren, wovon 17 ihre erste Camban oder Verkaufzeit gehalten
hatten.

Seit heute bis zum 16 Junius wurde der Hafen mit einem Fahrzeuge vol ge-
pfropfter Menschen umfahren, die nichts als Nembutz, d. i. Namanda schrien. Ein
solches Fahrzeug wird von einer Gasse oder Wiecke ausgerüstet, in welcher eine rasende
Pestseuche zu wüten anfängt, und glaubt man, durch das Rufen und Schreien den bösen
Geist, insgemein Jekire genant, welcher der Urheber des Unglüks seyn sol, wegzubannen.
Das Fiak man ben, oder das hundert Tausend herum, ein aus 108 großen Knöpfen be-

stehender
*) [Spaltenumbruch] Dieses hat Scheuchzer nicht.
**) Scheuchzer hat noch den Zusaz: daß diese
Torturbänke denen gleich wären, die man ehedem
zu Lemgo gebraucht hätte, um die Heren zum Be-[Spaltenumbruch]
kentniffe zu bewegen, und daß auch der Unschuldigste
darauf Verbrechen bekennen müsse, die er nie
begangen.
Zweiter Band. B b b
Funfzehntes Kap. Ruͤkreiſe von Jedo bis Nagaſacki.

Was ſich noch alhier bis zu unſerer Abreiſe nach Batavia und Europa anmerkens-
werthes begeben hat, wird nun den Beſchlus dieſer Geſchichte ausmachen.

Das erſte, was wir bei unſerer Ankunft auf Deſima veraͤnderliches wahrnahmen,
war, daß alle ſonſt oͤffentliche Buden mit Gefluͤgelvieh verſchloſſen gehalten wurden, weil
vor 10 Tagen der Kaiſerliche Befehl von Jedo gekommen, daß, außer Fiſchen, nichts
von Thieren ums Leben gebracht werden ſolte, es waͤre denn, daß es fuͤr die Hollaͤnder oder
Sineſen waͤre; nur vor dem Hauſe, nicht aber auf der oͤffentlichen Straße, konte man
davon etwas zu Kaufe bekommen.

Einige Tage nach unſerer Ankunft hatte man drei ertapte Japaner auf der Tor-
tur, welche bekanten, daß ſie hoͤchſtens fuͤr 1000 Tail der Wurzel Niſj oder Nindſin,
auch Calamback und Moſchus von den Sineſern durch die Huren und anderwaͤrts erhandelt
haͤtten. Dieſe Huren und Hehler wurden in ihren Haͤuſern zugenagelt*), der Sino Ca-
mi
eine neue Torturbank erfunden, woraus kurze ſpitze Stacheln hervorſtechen, uͤber wel-
che die Miſſethaͤter nackend gezogen werden**), und dieſes Mittel ſol die Folge haben,
daß alle Verbrechen gleich zur Bekentnis kommen.

Den 31 Mai begab ſich unſer Kapitain, Dubbels und ich in das Haus des Gou-
verneurs, um das Dankſagungskompliment abzulegen. Die Audienz geſchahe auf eben die
Weiſe, als bei den Großen in Jedo.

Am 1 Junius fand man drei Selbſtmoͤrder: einer hatte ſich wegen begangenem
Schleichhandels, und der andere, der ein Hauspfaffe war, aus unbekanten Urſachen in
der Nacht erhaͤngt, der dritte aber aus Noth und Armuth den Bauch aufgeſchnitten.

Am 14 Junius brachen die erſten Sineſiſchen Jonken von hier auf, deren 24
dermalen beyſammen waren, wovon 17 ihre erſte Camban oder Verkaufzeit gehalten
hatten.

Seit heute bis zum 16 Junius wurde der Hafen mit einem Fahrzeuge vol ge-
pfropfter Menſchen umfahren, die nichts als Nembutz, d. i. Namanda ſchrien. Ein
ſolches Fahrzeug wird von einer Gaſſe oder Wiecke ausgeruͤſtet, in welcher eine raſende
Peſtſeuche zu wuͤten anfaͤngt, und glaubt man, durch das Rufen und Schreien den boͤſen
Geiſt, insgemein Jekire genant, welcher der Urheber des Ungluͤks ſeyn ſol, wegzubannen.
Das Fiak man ben, oder das hundert Tauſend herum, ein aus 108 großen Knoͤpfen be-

ſtehender
*) [Spaltenumbruch] Dieſes hat Scheuchzer nicht.
**) Scheuchzer hat noch den Zuſaz: daß dieſe
Torturbaͤnke denen gleich waͤren, die man ehedem
zu Lemgo gebraucht haͤtte, um die Heren zum Be-[Spaltenumbruch]
kentniffe zu bewegen, und daß auch der Unſchuldigſte
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Zweiter Band. B b b
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[377/0427] Funfzehntes Kap. Ruͤkreiſe von Jedo bis Nagaſacki. Was ſich noch alhier bis zu unſerer Abreiſe nach Batavia und Europa anmerkens- werthes begeben hat, wird nun den Beſchlus dieſer Geſchichte ausmachen. Das erſte, was wir bei unſerer Ankunft auf Deſima veraͤnderliches wahrnahmen, war, daß alle ſonſt oͤffentliche Buden mit Gefluͤgelvieh verſchloſſen gehalten wurden, weil vor 10 Tagen der Kaiſerliche Befehl von Jedo gekommen, daß, außer Fiſchen, nichts von Thieren ums Leben gebracht werden ſolte, es waͤre denn, daß es fuͤr die Hollaͤnder oder Sineſen waͤre; nur vor dem Hauſe, nicht aber auf der oͤffentlichen Straße, konte man davon etwas zu Kaufe bekommen. Einige Tage nach unſerer Ankunft hatte man drei ertapte Japaner auf der Tor- tur, welche bekanten, daß ſie hoͤchſtens fuͤr 1000 Tail der Wurzel Niſj oder Nindſin, auch Calamback und Moſchus von den Sineſern durch die Huren und anderwaͤrts erhandelt haͤtten. Dieſe Huren und Hehler wurden in ihren Haͤuſern zugenagelt *), der Sino Ca- mi eine neue Torturbank erfunden, woraus kurze ſpitze Stacheln hervorſtechen, uͤber wel- che die Miſſethaͤter nackend gezogen werden **), und dieſes Mittel ſol die Folge haben, daß alle Verbrechen gleich zur Bekentnis kommen. Den 31 Mai begab ſich unſer Kapitain, Dubbels und ich in das Haus des Gou- verneurs, um das Dankſagungskompliment abzulegen. Die Audienz geſchahe auf eben die Weiſe, als bei den Großen in Jedo. Am 1 Junius fand man drei Selbſtmoͤrder: einer hatte ſich wegen begangenem Schleichhandels, und der andere, der ein Hauspfaffe war, aus unbekanten Urſachen in der Nacht erhaͤngt, der dritte aber aus Noth und Armuth den Bauch aufgeſchnitten. Am 14 Junius brachen die erſten Sineſiſchen Jonken von hier auf, deren 24 dermalen beyſammen waren, wovon 17 ihre erſte Camban oder Verkaufzeit gehalten hatten. Seit heute bis zum 16 Junius wurde der Hafen mit einem Fahrzeuge vol ge- pfropfter Menſchen umfahren, die nichts als Nembutz, d. i. Namanda ſchrien. Ein ſolches Fahrzeug wird von einer Gaſſe oder Wiecke ausgeruͤſtet, in welcher eine raſende Peſtſeuche zu wuͤten anfaͤngt, und glaubt man, durch das Rufen und Schreien den boͤſen Geiſt, insgemein Jekire genant, welcher der Urheber des Ungluͤks ſeyn ſol, wegzubannen. Das Fiak man ben, oder das hundert Tauſend herum, ein aus 108 großen Knoͤpfen be- ſtehender *) Dieſes hat Scheuchzer nicht. **) Scheuchzer hat noch den Zuſaz: daß dieſe Torturbaͤnke denen gleich waͤren, die man ehedem zu Lemgo gebraucht haͤtte, um die Heren zum Be- kentniffe zu bewegen, und daß auch der Unſchuldigſte darauf Verbrechen bekennen muͤſſe, die er nie begangen. Zweiter Band. B b b

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/427>, abgerufen am 14.06.2024.