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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Drittes Buch.

Wenn nun die Seelen der Verdamten eine Zeitlang in diesen Gefängnissen der
Finsternis gewesen sind, und ihre Sünden genug gebüst haben; so werden sie durch das
gerechte Urtheil des Jemma O wieder in die Welt geschikt, um von neuem Körper, und
zwar nicht der Menschen, sondern der Thiere zu bewohnen. Es werden hiezu auch allemal
solche Thiere ausgewählt, welche eine gewisse Aehnlichkeit mit ihrem vorigen sündlichen Le-
ben und Verbrechen haben; als Schlangen, Kröten, Jnsekten, Fische, Vögel oder häs-
liche und verachtete vierfüßige Thiere. Wenn sie sich in diesen Leibern eine gewisse Zeit
aufgehalten haben; so gehen sie wieder in volkomnere und bessere Thiere über, bis sie end-
lich wieder als Menschen geboren werden. Nun kömt es wieder auf das Verhalten dieser
Seelen an, ob sie zur ewigen Seeligkeit gelangen werden, oder durch Sünde so verfallen,
daß sie den unglüklichen Zirkel noch einmal durchlaufen müssen?

Sjaka hatte, (wie ich schon gesagt habe) eine große Menge Schüler, unter de-
nen verschiedne gelehrte und heilige Männer waren, die zur immer weitern Ausbreitung
dieser Lehre Vieles gethan haben, und immer neue Nachfolger und Eiferer nachzogen, bis
endlich ganz Asien und auch dieser entfernteste Osten mit der neuen Lehre angefült war.

Für die Vornehmsten dieser Lehrer hält man Annan und Kasja, oder wie sie
mit Hinzusetzung ihres Titels geschrieben werden, Annan Sonsja und Kasja Sonsja.
Diese haben die mündlichen Lehren des Sjaka, und was sie unter seinen nachgelaßnen
Baumblättern als Mascpte fanden, in ein Buch zusammengefast, welches seiner Sau-
berkeit wegen, und da man es mit der heiligen Tarate-Blume vergleicht, -- Foke
Kio d. i. schöner Blumen Buch
genant wird. Dies ist die algemeine Bibel aller Lehren
und Religionen am östlichen Ufer des Ganges. Diese Samler haben sich dadurch auch
die Ehre erworben, daß sie neben dem Sjaka verehrt, und ihre Bilder in den Tempeln
und auf den Altären neben des Bild des großen Lehrers, der eine zur Linken, der andre zur
Rechten, gestelt sind.

Ehe diese neue Religion sich durch Sina und Korea bis nach den japanischen
Eylanden
verbreitete, behalf man sich hier mit der einheimischen und ursprünglichen
Sinsju oder Camereligion, in welcher der hauptsächlichste und wesentlichste Weg der
Seligkeit blos in der Walfart zu ihrem Tensjo Daisin in Jsje bestand, denen nachher
nur noch einige apokryphische Fabeln der ältesten Götterzeiten, die Verehrung verschiedner
Cametempel und religiöse Feste zugesezt wurden, welches Alles dann sich mit der zuneh-
menden Politur in Künsten und Wissenschaften nach den Zeiten des Symmo Tenno
d. i. dem Jahr 662 vor Christo auch immer vermehrte. Vorher hatten diese Länder
(Sina und Japan) nur eine simple und einfältige Tugendlehre, die sie von ihrem Tee Gjo
d. i. Kaiser Gjo
(der nach ihrer Chronologie 2359 Jahr vor Christi Geburt regierte) und

dessen
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.

Wenn nun die Seelen der Verdamten eine Zeitlang in dieſen Gefaͤngniſſen der
Finſternis geweſen ſind, und ihre Suͤnden genug gebuͤſt haben; ſo werden ſie durch das
gerechte Urtheil des Jemma O wieder in die Welt geſchikt, um von neuem Koͤrper, und
zwar nicht der Menſchen, ſondern der Thiere zu bewohnen. Es werden hiezu auch allemal
ſolche Thiere ausgewaͤhlt, welche eine gewiſſe Aehnlichkeit mit ihrem vorigen ſuͤndlichen Le-
ben und Verbrechen haben; als Schlangen, Kroͤten, Jnſekten, Fiſche, Voͤgel oder haͤs-
liche und verachtete vierfuͤßige Thiere. Wenn ſie ſich in dieſen Leibern eine gewiſſe Zeit
aufgehalten haben; ſo gehen ſie wieder in volkomnere und beſſere Thiere uͤber, bis ſie end-
lich wieder als Menſchen geboren werden. Nun koͤmt es wieder auf das Verhalten dieſer
Seelen an, ob ſie zur ewigen Seeligkeit gelangen werden, oder durch Suͤnde ſo verfallen,
daß ſie den ungluͤklichen Zirkel noch einmal durchlaufen muͤſſen?

Sjaka hatte, (wie ich ſchon geſagt habe) eine große Menge Schuͤler, unter de-
nen verſchiedne gelehrte und heilige Maͤnner waren, die zur immer weitern Ausbreitung
dieſer Lehre Vieles gethan haben, und immer neue Nachfolger und Eiferer nachzogen, bis
endlich ganz Aſien und auch dieſer entfernteſte Oſten mit der neuen Lehre angefuͤlt war.

Fuͤr die Vornehmſten dieſer Lehrer haͤlt man Annan und Kasja, oder wie ſie
mit Hinzuſetzung ihres Titels geſchrieben werden, Annan Sonsja und Kasja Sonsja.
Dieſe haben die muͤndlichen Lehren des Sjaka, und was ſie unter ſeinen nachgelaßnen
Baumblaͤttern als Maſcpte fanden, in ein Buch zuſammengefaſt, welches ſeiner Sau-
berkeit wegen, und da man es mit der heiligen Tarate-Blume vergleicht, — Foke
Kio d. i. ſchoͤner Blumen Buch
genant wird. Dies iſt die algemeine Bibel aller Lehren
und Religionen am oͤſtlichen Ufer des Ganges. Dieſe Samler haben ſich dadurch auch
die Ehre erworben, daß ſie neben dem Sjaka verehrt, und ihre Bilder in den Tempeln
und auf den Altaͤren neben des Bild des großen Lehrers, der eine zur Linken, der andre zur
Rechten, geſtelt ſind.

Ehe dieſe neue Religion ſich durch Sina und Korea bis nach den japaniſchen
Eylanden
verbreitete, behalf man ſich hier mit der einheimiſchen und urſpruͤnglichen
Sinsju oder Camereligion, in welcher der hauptſaͤchlichſte und weſentlichſte Weg der
Seligkeit blos in der Walfart zu ihrem Tenſjo Daiſin in Jsje beſtand, denen nachher
nur noch einige apokryphiſche Fabeln der aͤlteſten Goͤtterzeiten, die Verehrung verſchiedner
Cametempel und religioͤſe Feſte zugeſezt wurden, welches Alles dann ſich mit der zuneh-
menden Politur in Kuͤnſten und Wiſſenſchaften nach den Zeiten des Symmo Tenno
d. i. dem Jahr 662 vor Chriſto auch immer vermehrte. Vorher hatten dieſe Laͤnder
(Sina und Japan) nur eine ſimple und einfaͤltige Tugendlehre, die ſie von ihrem Tee Gjo
d. i. Kaiſer Gjo
(der nach ihrer Chronologie 2359 Jahr vor Chriſti Geburt regierte) und

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[300/0408] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. Wenn nun die Seelen der Verdamten eine Zeitlang in dieſen Gefaͤngniſſen der Finſternis geweſen ſind, und ihre Suͤnden genug gebuͤſt haben; ſo werden ſie durch das gerechte Urtheil des Jemma O wieder in die Welt geſchikt, um von neuem Koͤrper, und zwar nicht der Menſchen, ſondern der Thiere zu bewohnen. Es werden hiezu auch allemal ſolche Thiere ausgewaͤhlt, welche eine gewiſſe Aehnlichkeit mit ihrem vorigen ſuͤndlichen Le- ben und Verbrechen haben; als Schlangen, Kroͤten, Jnſekten, Fiſche, Voͤgel oder haͤs- liche und verachtete vierfuͤßige Thiere. Wenn ſie ſich in dieſen Leibern eine gewiſſe Zeit aufgehalten haben; ſo gehen ſie wieder in volkomnere und beſſere Thiere uͤber, bis ſie end- lich wieder als Menſchen geboren werden. Nun koͤmt es wieder auf das Verhalten dieſer Seelen an, ob ſie zur ewigen Seeligkeit gelangen werden, oder durch Suͤnde ſo verfallen, daß ſie den ungluͤklichen Zirkel noch einmal durchlaufen muͤſſen? Sjaka hatte, (wie ich ſchon geſagt habe) eine große Menge Schuͤler, unter de- nen verſchiedne gelehrte und heilige Maͤnner waren, die zur immer weitern Ausbreitung dieſer Lehre Vieles gethan haben, und immer neue Nachfolger und Eiferer nachzogen, bis endlich ganz Aſien und auch dieſer entfernteſte Oſten mit der neuen Lehre angefuͤlt war. Fuͤr die Vornehmſten dieſer Lehrer haͤlt man Annan und Kasja, oder wie ſie mit Hinzuſetzung ihres Titels geſchrieben werden, Annan Sonsja und Kasja Sonsja. Dieſe haben die muͤndlichen Lehren des Sjaka, und was ſie unter ſeinen nachgelaßnen Baumblaͤttern als Maſcpte fanden, in ein Buch zuſammengefaſt, welches ſeiner Sau- berkeit wegen, und da man es mit der heiligen Tarate-Blume vergleicht, — Foke Kio d. i. ſchoͤner Blumen Buch genant wird. Dies iſt die algemeine Bibel aller Lehren und Religionen am oͤſtlichen Ufer des Ganges. Dieſe Samler haben ſich dadurch auch die Ehre erworben, daß ſie neben dem Sjaka verehrt, und ihre Bilder in den Tempeln und auf den Altaͤren neben des Bild des großen Lehrers, der eine zur Linken, der andre zur Rechten, geſtelt ſind. Ehe dieſe neue Religion ſich durch Sina und Korea bis nach den japaniſchen Eylanden verbreitete, behalf man ſich hier mit der einheimiſchen und urſpruͤnglichen Sinsju oder Camereligion, in welcher der hauptſaͤchlichſte und weſentlichſte Weg der Seligkeit blos in der Walfart zu ihrem Tenſjo Daiſin in Jsje beſtand, denen nachher nur noch einige apokryphiſche Fabeln der aͤlteſten Goͤtterzeiten, die Verehrung verſchiedner Cametempel und religioͤſe Feſte zugeſezt wurden, welches Alles dann ſich mit der zuneh- menden Politur in Kuͤnſten und Wiſſenſchaften nach den Zeiten des Symmo Tenno d. i. dem Jahr 662 vor Chriſto auch immer vermehrte. Vorher hatten dieſe Laͤnder (Sina und Japan) nur eine ſimple und einfaͤltige Tugendlehre, die ſie von ihrem Tee Gjo d. i. Kaiſer Gjo (der nach ihrer Chronologie 2359 Jahr vor Chriſti Geburt regierte) und deſſen

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/408>, abgerufen am 25.11.2024.