Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechst. K. Von den Budsdo, oder der ausländis. heidnis. Religion.
5.
Onsju, das Verbot keine starke Getränke zu sich zu nehmen. Dieses
leztre ist von dem Saka besonders als das erste und vornehmste Gebot an seine
Schüler recommandirt worden.

Auf diese vornehmste und algemeine Regeln folgen nun die Sikkai, d. i. zehn
Erinnerungen,
welche aber blos in genauerer Vertheilung der vorigen fünf Gebote und
deren Anwendung auf besondre Fälle bestehn.

Aus diesen sind nun noch immer mehr Abtheilungen für gelehrtere und tugendhaf-
tere Menschen gemacht, und daraus ist eine immer genauere Specifikation besondrer Tugen-
den und Untugenden (nach der Einrichtung einer ordentlichen Ethik) entstanden, und diese
sind immer mehr in Classen und zu höherer Anzahl gebracht worden, bis daraus endlich
entstanden:

Go Fiak Kai d. i. fünfhundert Warnungen. Zu diesen verbinden sich allein
die Geistlichen, die einen ganz vorzüglichen Rang der Seligkeit zu erlangen suchen. Diese
beobachten eine so strenge und so genau abgetheilte Diät; eine solche Bezwingung aller Af-
fekten und eine so ausnehmende Enthaltsamkeit, daß auch nur wenige Priester zur höch-
sten Volkommenheit in Beobachtung aller dieser strengen Regeln gelangen können.

Ein jeder, (er sey geistlichen oder weltlichen Standes) wer durch ein sündliches Le-
ben sich des Himmels und seiner Freuden unfähig gemacht hat, der empfängt seinen Lohn in
einem höllischen Lande, Dsigokf genant, doch allemal nur auf eine gewisse nach Verhältnis
bestimte Zeit. Diese japanische Hölle ist auch in verschiedne Classen der Pein und der
Plagen eingetheilt, damit ein Jeder nach Verschiedenheit seiner Sünde, Alters, Gewerbe
und Verbrechen möge können gestraft werden. Ueber dieses Reich der Missethäter und
Verbrecher hat die oberste Aufsicht der Jemma, oder gemeiniglich mit einem hinzugefüg-
ten majestätischen Character, Jemma O genant, welchen Höllenrichter die Brahma-
ner, Siamer, Sineser
mit eben diesem Character ausdrücken.

Zur Erleichterung der höllischen Plagen und Verkürzung der Periode der Ver-
damnis, in welcher sich die Seelen der Verstorbnen befinden, können die Andachtsübungen
und guten Werke der nachgebliebnen Verwandten und Freunde sehr vieles beitragen; das
Meiste aber die Vorbitten der Priester. Diese müssen an den Gott Amida gerichtet wer-
den, welcher dann durch seine Vorsprache bey dem obersten Richter der höllischen Justiz
es dahin vermittelt, daß er von der Strenge seiner Gesetze etwas nachläst, die Verdamten
so gelinde, wie möglich, behandelt, und sie, sobald es sich thun läst, wieder in diese Welt
zurükkehren läst.

Wenn
P p 2
Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion.
5.
Onsju, das Verbot keine ſtarke Getraͤnke zu ſich zu nehmen. Dieſes
leztre iſt von dem Saka beſonders als das erſte und vornehmſte Gebot an ſeine
Schuͤler recommandirt worden.

Auf dieſe vornehmſte und algemeine Regeln folgen nun die Sikkai, d. i. zehn
Erinnerungen,
welche aber blos in genauerer Vertheilung der vorigen fuͤnf Gebote und
deren Anwendung auf beſondre Faͤlle beſtehn.

Aus dieſen ſind nun noch immer mehr Abtheilungen fuͤr gelehrtere und tugendhaf-
tere Menſchen gemacht, und daraus iſt eine immer genauere Specifikation beſondrer Tugen-
den und Untugenden (nach der Einrichtung einer ordentlichen Ethik) entſtanden, und dieſe
ſind immer mehr in Claſſen und zu hoͤherer Anzahl gebracht worden, bis daraus endlich
entſtanden:

Go Fiak Kai d. i. fuͤnfhundert Warnungen. Zu dieſen verbinden ſich allein
die Geiſtlichen, die einen ganz vorzuͤglichen Rang der Seligkeit zu erlangen ſuchen. Dieſe
beobachten eine ſo ſtrenge und ſo genau abgetheilte Diaͤt; eine ſolche Bezwingung aller Af-
fekten und eine ſo ausnehmende Enthaltſamkeit, daß auch nur wenige Prieſter zur hoͤch-
ſten Volkommenheit in Beobachtung aller dieſer ſtrengen Regeln gelangen koͤnnen.

Ein jeder, (er ſey geiſtlichen oder weltlichen Standes) wer durch ein ſuͤndliches Le-
ben ſich des Himmels und ſeiner Freuden unfaͤhig gemacht hat, der empfaͤngt ſeinen Lohn in
einem hoͤlliſchen Lande, Dſigokf genant, doch allemal nur auf eine gewiſſe nach Verhaͤltnis
beſtimte Zeit. Dieſe japaniſche Hoͤlle iſt auch in verſchiedne Claſſen der Pein und der
Plagen eingetheilt, damit ein Jeder nach Verſchiedenheit ſeiner Suͤnde, Alters, Gewerbe
und Verbrechen moͤge koͤnnen geſtraft werden. Ueber dieſes Reich der Miſſethaͤter und
Verbrecher hat die oberſte Aufſicht der Jemma, oder gemeiniglich mit einem hinzugefuͤg-
ten majeſtaͤtiſchen Character, Jemma O genant, welchen Hoͤllenrichter die Brahma-
ner, Siamer, Sineſer
mit eben dieſem Character ausdruͤcken.

Zur Erleichterung der hoͤlliſchen Plagen und Verkuͤrzung der Periode der Ver-
damnis, in welcher ſich die Seelen der Verſtorbnen befinden, koͤnnen die Andachtsuͤbungen
und guten Werke der nachgebliebnen Verwandten und Freunde ſehr vieles beitragen; das
Meiſte aber die Vorbitten der Prieſter. Dieſe muͤſſen an den Gott Amida gerichtet wer-
den, welcher dann durch ſeine Vorſprache bey dem oberſten Richter der hoͤlliſchen Juſtiz
es dahin vermittelt, daß er von der Strenge ſeiner Geſetze etwas nachlaͤſt, die Verdamten
ſo gelinde, wie moͤglich, behandelt, und ſie, ſobald es ſich thun laͤſt, wieder in dieſe Welt
zuruͤkkehren laͤſt.

Wenn
P p 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0407" n="299"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sech&#x017F;t. K. Von den Budsdo, oder der ausla&#x0364;ndi&#x017F;. heidni&#x017F;. Religion.</hi> </fw><lb/>
          <list>
            <item> <hi rendition="#c">5.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Onsju, das Verbot keine &#x017F;tarke Getra&#x0364;nke zu &#x017F;ich zu nehmen. Die&#x017F;es<lb/>
leztre i&#x017F;t von dem Saka be&#x017F;onders als das er&#x017F;te und vornehm&#x017F;te Gebot an &#x017F;eine<lb/>
Schu&#x0364;ler recommandirt worden.</hi> </item>
          </list><lb/>
          <p>Auf die&#x017F;e vornehm&#x017F;te und algemeine Regeln folgen nun die <hi rendition="#fr">Sikkai,</hi> d. i. <hi rendition="#fr">zehn<lb/>
Erinnerungen,</hi> welche aber blos in genauerer Vertheilung der vorigen fu&#x0364;nf Gebote und<lb/>
deren Anwendung auf be&#x017F;ondre Fa&#x0364;lle be&#x017F;tehn.</p><lb/>
          <p>Aus die&#x017F;en &#x017F;ind nun noch immer mehr Abtheilungen fu&#x0364;r gelehrtere und tugendhaf-<lb/>
tere Men&#x017F;chen gemacht, und daraus i&#x017F;t eine immer genauere Specifikation be&#x017F;ondrer Tugen-<lb/>
den und Untugenden (nach der Einrichtung einer ordentlichen <hi rendition="#fr">Ethik</hi>) ent&#x017F;tanden, und die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ind immer mehr in Cla&#x017F;&#x017F;en und zu ho&#x0364;herer Anzahl gebracht worden, bis daraus endlich<lb/>
ent&#x017F;tanden:</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Go Fiak Kai d. i. fu&#x0364;nfhundert Warnungen.</hi> Zu die&#x017F;en verbinden &#x017F;ich allein<lb/>
die Gei&#x017F;tlichen, die einen ganz vorzu&#x0364;glichen Rang der Seligkeit zu erlangen &#x017F;uchen. Die&#x017F;e<lb/>
beobachten eine &#x017F;o &#x017F;trenge und &#x017F;o genau abgetheilte Dia&#x0364;t; eine &#x017F;olche Bezwingung aller Af-<lb/>
fekten und eine &#x017F;o ausnehmende Enthalt&#x017F;amkeit, daß auch nur wenige Prie&#x017F;ter zur ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Volkommenheit in Beobachtung aller die&#x017F;er &#x017F;trengen Regeln gelangen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Ein jeder, (er &#x017F;ey gei&#x017F;tlichen oder weltlichen Standes) wer durch ein &#x017F;u&#x0364;ndliches Le-<lb/>
ben &#x017F;ich des Himmels und &#x017F;einer Freuden unfa&#x0364;hig gemacht hat, der empfa&#x0364;ngt &#x017F;einen Lohn in<lb/>
einem ho&#x0364;lli&#x017F;chen Lande, <hi rendition="#fr">D&#x017F;igokf</hi> genant, doch allemal nur auf eine gewi&#x017F;&#x017F;e nach Verha&#x0364;ltnis<lb/>
be&#x017F;timte Zeit. Die&#x017F;e <hi rendition="#fr">japani&#x017F;che Ho&#x0364;lle</hi> i&#x017F;t auch in ver&#x017F;chiedne Cla&#x017F;&#x017F;en der Pein und der<lb/>
Plagen eingetheilt, damit ein Jeder nach Ver&#x017F;chiedenheit &#x017F;einer Su&#x0364;nde, Alters, Gewerbe<lb/>
und Verbrechen mo&#x0364;ge ko&#x0364;nnen ge&#x017F;traft werden. Ueber die&#x017F;es Reich der Mi&#x017F;&#x017F;etha&#x0364;ter und<lb/>
Verbrecher hat die ober&#x017F;te Auf&#x017F;icht der <hi rendition="#fr">Jemma,</hi> oder gemeiniglich mit einem hinzugefu&#x0364;g-<lb/>
ten maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;chen Character, <hi rendition="#fr">Jemma O</hi> genant, welchen Ho&#x0364;llenrichter die <hi rendition="#fr">Brahma-<lb/>
ner, Siamer, Sine&#x017F;er</hi> mit eben die&#x017F;em Character ausdru&#x0364;cken.</p><lb/>
          <p>Zur Erleichterung der ho&#x0364;lli&#x017F;chen Plagen und Verku&#x0364;rzung der Periode der Ver-<lb/>
damnis, in welcher &#x017F;ich die Seelen der Ver&#x017F;torbnen befinden, ko&#x0364;nnen die Andachtsu&#x0364;bungen<lb/>
und guten Werke der nachgebliebnen Verwandten und Freunde &#x017F;ehr vieles beitragen; das<lb/>
Mei&#x017F;te aber die Vorbitten der Prie&#x017F;ter. Die&#x017F;e mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en an den Gott <hi rendition="#fr">Amida</hi> gerichtet wer-<lb/>
den, welcher dann durch &#x017F;eine Vor&#x017F;prache bey dem ober&#x017F;ten Richter der ho&#x0364;lli&#x017F;chen Ju&#x017F;tiz<lb/>
es dahin vermittelt, daß er von der Strenge &#x017F;einer Ge&#x017F;etze etwas nachla&#x0364;&#x017F;t, die Verdamten<lb/>
&#x017F;o gelinde, wie mo&#x0364;glich, behandelt, und &#x017F;ie, &#x017F;obald es &#x017F;ich thun la&#x0364;&#x017F;t, wieder in die&#x017F;e Welt<lb/>
zuru&#x0364;kkehren la&#x0364;&#x017F;t.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">P p 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0407] Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion. 5. Onsju, das Verbot keine ſtarke Getraͤnke zu ſich zu nehmen. Dieſes leztre iſt von dem Saka beſonders als das erſte und vornehmſte Gebot an ſeine Schuͤler recommandirt worden. Auf dieſe vornehmſte und algemeine Regeln folgen nun die Sikkai, d. i. zehn Erinnerungen, welche aber blos in genauerer Vertheilung der vorigen fuͤnf Gebote und deren Anwendung auf beſondre Faͤlle beſtehn. Aus dieſen ſind nun noch immer mehr Abtheilungen fuͤr gelehrtere und tugendhaf- tere Menſchen gemacht, und daraus iſt eine immer genauere Specifikation beſondrer Tugen- den und Untugenden (nach der Einrichtung einer ordentlichen Ethik) entſtanden, und dieſe ſind immer mehr in Claſſen und zu hoͤherer Anzahl gebracht worden, bis daraus endlich entſtanden: Go Fiak Kai d. i. fuͤnfhundert Warnungen. Zu dieſen verbinden ſich allein die Geiſtlichen, die einen ganz vorzuͤglichen Rang der Seligkeit zu erlangen ſuchen. Dieſe beobachten eine ſo ſtrenge und ſo genau abgetheilte Diaͤt; eine ſolche Bezwingung aller Af- fekten und eine ſo ausnehmende Enthaltſamkeit, daß auch nur wenige Prieſter zur hoͤch- ſten Volkommenheit in Beobachtung aller dieſer ſtrengen Regeln gelangen koͤnnen. Ein jeder, (er ſey geiſtlichen oder weltlichen Standes) wer durch ein ſuͤndliches Le- ben ſich des Himmels und ſeiner Freuden unfaͤhig gemacht hat, der empfaͤngt ſeinen Lohn in einem hoͤlliſchen Lande, Dſigokf genant, doch allemal nur auf eine gewiſſe nach Verhaͤltnis beſtimte Zeit. Dieſe japaniſche Hoͤlle iſt auch in verſchiedne Claſſen der Pein und der Plagen eingetheilt, damit ein Jeder nach Verſchiedenheit ſeiner Suͤnde, Alters, Gewerbe und Verbrechen moͤge koͤnnen geſtraft werden. Ueber dieſes Reich der Miſſethaͤter und Verbrecher hat die oberſte Aufſicht der Jemma, oder gemeiniglich mit einem hinzugefuͤg- ten majeſtaͤtiſchen Character, Jemma O genant, welchen Hoͤllenrichter die Brahma- ner, Siamer, Sineſer mit eben dieſem Character ausdruͤcken. Zur Erleichterung der hoͤlliſchen Plagen und Verkuͤrzung der Periode der Ver- damnis, in welcher ſich die Seelen der Verſtorbnen befinden, koͤnnen die Andachtsuͤbungen und guten Werke der nachgebliebnen Verwandten und Freunde ſehr vieles beitragen; das Meiſte aber die Vorbitten der Prieſter. Dieſe muͤſſen an den Gott Amida gerichtet wer- den, welcher dann durch ſeine Vorſprache bey dem oberſten Richter der hoͤlliſchen Juſtiz es dahin vermittelt, daß er von der Strenge ſeiner Geſetze etwas nachlaͤſt, die Verdamten ſo gelinde, wie moͤglich, behandelt, und ſie, ſobald es ſich thun laͤſt, wieder in dieſe Welt zuruͤkkehren laͤſt. Wenn P p 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/407
Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/407>, abgerufen am 06.05.2024.