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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Drittes Buch.

Jn der That scheint mir diese uralte und väterliche Religion der Japaner ganz aus-
nehmend simpel und einfältig, da sie gar keine heilige Bücher und Traditionen hat, welche
außer den abentheuerlichen und abgeschmakten Geschichten ihrer Götter und Helden, auch
noch irgend etwas von der Regierung der Götter oder dem Zustande der Seelen nach diesem
Leben zu erzählen wüste, über welche wichtige Dinge doch fast alle andre Religionen in der
Welt ihre Anhänger zu unterrichten und zu beruhigen gesucht haben. Es war also ganz
natürlich, als die ausländische oder Budsdo Religion herüber kam, daß die Sinto häufig
von ihren Anhängern verlassen wurde, welche der neuen Lehre zufielen. Es entstand auch
hiedurch ein Zwiespalt in der Sinto selbst, die sich endlich in zwei Sekten endigte.

Die erste derselben heist Juitz, und besteht aus Orthodoxen, welche die uralte
ererbte Glaubens-und Lebenslehre ihrer Väter strenge beibehalten, und kein Haarbreit von
der alten Finsternis abweichen. Dieser sind aber so wenig, daß die Canusj selbst den grö-
sten Theil der Anhänger dieser Sekte ausmachen. Die von der andern Sekte, Riobu ge-
nant, sind Synkretisten, welche, um mehreres Licht in ihren Glauben zu bringen und das
Heil ihrer Seele auf jeden Fal zu sichern, ein Gemisch von der alten und neuen Religion
ausgedacht haben. Dieses besteht ohngefehr darin: die Seele des Amida (der Seligma-
cher aller Budseisten, auf dem der Glaube aller Sekten von der Budsdoreligion beruht)
hat den vornehmsten und grösten Gott, den Tens jo Dai sin, den Kern des Lichts und der
Sonne bewohnt. Die Cami sind Beherscher aller Dinge, die in dem Tenka oder der un-
terhimlischen Welt enthalten sind. Der höhere Himmel aber ist den Seelen zugeeignet.

Die meisten Sintoisten bekennen sich zu diesem Synkretismus der Sekte
Riobu. Auch selbst der Dairi d. i. der ganze Hof des mikaddoschen Geschlechts scheint
sich dahin zu neigen, und ist ohne Zweifel genug überzeugt, wie falsch ihre Religion und das
Vorgeben der heiligen Person des Regenten sey. Ja, diese Gleichgültigkeit des geistlichen
Hofes geht soweit, daß sogar die erzbischöfliche und zwei bischöfliche Stellen der Sekte
Jkosju (der reichsten und angesehensten Sekte der Budsdoer) mit Personen aus der kai-
serlichen Familie besezt sind.

Der jezt regierende weltliche Kaiser behält die Religionsgebräuche bei, und legt
jährlich seine Devotionsbezeugungen ab, zwar nicht wie ehmals in eigner Person, sondern
durch eine Gesandschaft an Sr. Heiligkeit den Mikaddo; in eigner Person aber an die
Götzen und Tempel seiner Vorfahren. Bei allem diesem hat er aber doch auch zu meiner
Zeit dem sinesischen Philosophen Koosju oder Confucius (der, wie Sokrates, seine
Philosophie vornemlich zum Dienst der Regenten vom Himmel herab gezogen haben sol)
zwei kostbare Mia's nach sintoscher Sitte errichtet. Zugleich hört eben dieser Monarch

auch
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.

Jn der That ſcheint mir dieſe uralte und vaͤterliche Religion der Japaner ganz aus-
nehmend ſimpel und einfaͤltig, da ſie gar keine heilige Buͤcher und Traditionen hat, welche
außer den abentheuerlichen und abgeſchmakten Geſchichten ihrer Goͤtter und Helden, auch
noch irgend etwas von der Regierung der Goͤtter oder dem Zuſtande der Seelen nach dieſem
Leben zu erzaͤhlen wuͤſte, uͤber welche wichtige Dinge doch faſt alle andre Religionen in der
Welt ihre Anhaͤnger zu unterrichten und zu beruhigen geſucht haben. Es war alſo ganz
natuͤrlich, als die auslaͤndiſche oder Budsdo Religion heruͤber kam, daß die Sinto haͤufig
von ihren Anhaͤngern verlaſſen wurde, welche der neuen Lehre zufielen. Es entſtand auch
hiedurch ein Zwieſpalt in der Sinto ſelbſt, die ſich endlich in zwei Sekten endigte.

Die erſte derſelben heiſt Juitz, und beſteht aus Orthodoxen, welche die uralte
ererbte Glaubens-und Lebenslehre ihrer Vaͤter ſtrenge beibehalten, und kein Haarbreit von
der alten Finſternis abweichen. Dieſer ſind aber ſo wenig, daß die Canuſj ſelbſt den groͤ-
ſten Theil der Anhaͤnger dieſer Sekte ausmachen. Die von der andern Sekte, Riobu ge-
nant, ſind Synkretiſten, welche, um mehreres Licht in ihren Glauben zu bringen und das
Heil ihrer Seele auf jeden Fal zu ſichern, ein Gemiſch von der alten und neuen Religion
ausgedacht haben. Dieſes beſteht ohngefehr darin: die Seele des Amida (der Seligma-
cher aller Budſeiſten, auf dem der Glaube aller Sekten von der Budſdoreligion beruht)
hat den vornehmſten und groͤſten Gott, den Tenſ jo Dai ſin, den Kern des Lichts und der
Sonne bewohnt. Die Cami ſind Beherſcher aller Dinge, die in dem Tenka oder der un-
terhimliſchen Welt enthalten ſind. Der hoͤhere Himmel aber iſt den Seelen zugeeignet.

Die meiſten Sintoiſten bekennen ſich zu dieſem Synkretismus der Sekte
Riobu. Auch ſelbſt der Dairi d. i. der ganze Hof des mikaddoſchen Geſchlechts ſcheint
ſich dahin zu neigen, und iſt ohne Zweifel genug uͤberzeugt, wie falſch ihre Religion und das
Vorgeben der heiligen Perſon des Regenten ſey. Ja, dieſe Gleichguͤltigkeit des geiſtlichen
Hofes geht ſoweit, daß ſogar die erzbiſchoͤfliche und zwei biſchoͤfliche Stellen der Sekte
Jkosju (der reichſten und angeſehenſten Sekte der Budsdoer) mit Perſonen aus der kai-
ſerlichen Familie beſezt ſind.

Der jezt regierende weltliche Kaiſer behaͤlt die Religionsgebraͤuche bei, und legt
jaͤhrlich ſeine Devotionsbezeugungen ab, zwar nicht wie ehmals in eigner Perſon, ſondern
durch eine Geſandſchaft an Sr. Heiligkeit den Mikaddo; in eigner Perſon aber an die
Goͤtzen und Tempel ſeiner Vorfahren. Bei allem dieſem hat er aber doch auch zu meiner
Zeit dem ſineſiſchen Philoſophen Koosju oder Confucius (der, wie Sokrates, ſeine
Philoſophie vornemlich zum Dienſt der Regenten vom Himmel herab gezogen haben ſol)
zwei koſtbare Mia’s nach ſintoſcher Sitte errichtet. Zugleich hoͤrt eben dieſer Monarch

auch
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[262/0368] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. Jn der That ſcheint mir dieſe uralte und vaͤterliche Religion der Japaner ganz aus- nehmend ſimpel und einfaͤltig, da ſie gar keine heilige Buͤcher und Traditionen hat, welche außer den abentheuerlichen und abgeſchmakten Geſchichten ihrer Goͤtter und Helden, auch noch irgend etwas von der Regierung der Goͤtter oder dem Zuſtande der Seelen nach dieſem Leben zu erzaͤhlen wuͤſte, uͤber welche wichtige Dinge doch faſt alle andre Religionen in der Welt ihre Anhaͤnger zu unterrichten und zu beruhigen geſucht haben. Es war alſo ganz natuͤrlich, als die auslaͤndiſche oder Budsdo Religion heruͤber kam, daß die Sinto haͤufig von ihren Anhaͤngern verlaſſen wurde, welche der neuen Lehre zufielen. Es entſtand auch hiedurch ein Zwieſpalt in der Sinto ſelbſt, die ſich endlich in zwei Sekten endigte. Die erſte derſelben heiſt Juitz, und beſteht aus Orthodoxen, welche die uralte ererbte Glaubens-und Lebenslehre ihrer Vaͤter ſtrenge beibehalten, und kein Haarbreit von der alten Finſternis abweichen. Dieſer ſind aber ſo wenig, daß die Canuſj ſelbſt den groͤ- ſten Theil der Anhaͤnger dieſer Sekte ausmachen. Die von der andern Sekte, Riobu ge- nant, ſind Synkretiſten, welche, um mehreres Licht in ihren Glauben zu bringen und das Heil ihrer Seele auf jeden Fal zu ſichern, ein Gemiſch von der alten und neuen Religion ausgedacht haben. Dieſes beſteht ohngefehr darin: die Seele des Amida (der Seligma- cher aller Budſeiſten, auf dem der Glaube aller Sekten von der Budſdoreligion beruht) hat den vornehmſten und groͤſten Gott, den Tenſ jo Dai ſin, den Kern des Lichts und der Sonne bewohnt. Die Cami ſind Beherſcher aller Dinge, die in dem Tenka oder der un- terhimliſchen Welt enthalten ſind. Der hoͤhere Himmel aber iſt den Seelen zugeeignet. Die meiſten Sintoiſten bekennen ſich zu dieſem Synkretismus der Sekte Riobu. Auch ſelbſt der Dairi d. i. der ganze Hof des mikaddoſchen Geſchlechts ſcheint ſich dahin zu neigen, und iſt ohne Zweifel genug uͤberzeugt, wie falſch ihre Religion und das Vorgeben der heiligen Perſon des Regenten ſey. Ja, dieſe Gleichguͤltigkeit des geiſtlichen Hofes geht ſoweit, daß ſogar die erzbiſchoͤfliche und zwei biſchoͤfliche Stellen der Sekte Jkosju (der reichſten und angeſehenſten Sekte der Budsdoer) mit Perſonen aus der kai- ſerlichen Familie beſezt ſind. Der jezt regierende weltliche Kaiſer behaͤlt die Religionsgebraͤuche bei, und legt jaͤhrlich ſeine Devotionsbezeugungen ab, zwar nicht wie ehmals in eigner Perſon, ſondern durch eine Geſandſchaft an Sr. Heiligkeit den Mikaddo; in eigner Perſon aber an die Goͤtzen und Tempel ſeiner Vorfahren. Bei allem dieſem hat er aber doch auch zu meiner Zeit dem ſineſiſchen Philoſophen Koosju oder Confucius (der, wie Sokrates, ſeine Philoſophie vornemlich zum Dienſt der Regenten vom Himmel herab gezogen haben ſol) zwei koſtbare Mia’s nach ſintoſcher Sitte errichtet. Zugleich hoͤrt eben dieſer Monarch auch

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/368>, abgerufen am 24.11.2024.