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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
tiefem Helldunkel), eine Kopie, und gar eine sehr verkleinerte
Kopie sein könne. Bei der Ausstellung in Burlington House
(1864) hat sich das Urtheil für eine Originalskizze entschieden.
Damals wurde die Ansicht geäussert (Athenaeum I, 811), Velaz-
quez habe diese Skizze in der Absicht gemacht, sich des Königs
Beifall zu versichern und dadurch dessen Sanktion zu erlangen
für eine Ausführung im Grossen, als etwas Unerhörtes im Por-
trätfach. Sie hat die Farben einer Untermalung, also eine
erheblich hellere Haltung als das grosse Bild (S. S. 278). Run-
dung und Auseinandergehen der Flächen ist gleichwohl voll-
kommen erreicht. Der Lichteinfall erscheint weniger schroff;
die schwarze Figur des Malers, der bereits mit dem Orden ge-
schmückt ist, tritt auffallender zwischen den hellen und farbigen
Gestalten hervor; ebenso der graugrünliche Ton der Decke,
der gelbe des Fussbodens.

Dass man dem Einfall eines Augenblicks ein solches Bild
verdankt kommt natürlich daher, dass der dem Maler zufällig
entgegengeworfene Stoff vorzüglich geeignet war, seine eigenste
Kraft aufzureizen, Motive seiner Lieblingsbilder in der Erinne-
rung weckte, wie Tintoretto's Hochzeit zu Cana in der Salute
mit dem Seitenfall des Sonnenlichts auf blonde Köpfe, die Fuss-
waschung desselben mit dem bewunderten Auseinandergehen in
die Tiefe (I, 275).

Wahrlich, wol nie ist jenes Dogma des Leonardo la Vinci,
dass der Rilievo "die Seele der Malerei" sei, dass in dem Schein
des erhabenen, von der Fläche losgelösten Körpers "die Schön-
heit und das erste Wunder" dieser Kunst liege, mit soviel
Ueberzeugung verstanden, mit solcher Macht des Könnens be-
folgt und durch die Bewunderung der Künstler und Laien in
seiner Richtigkeit bewährt worden. Waagen sagte, man glaube
hier die Natur in einer Camera obscura zu beobachten, Stirling
erschien es wie "eine Anticipation der Erfindung Daguerre's",
Mengs nennt es "den Beweis, dass die vollendete Nachahmung
der Natur etwas ist, das alle Arten von Betrachtern in gleicher
Weise befriedigt".

Die neun Figuren, von welchen kaum zwei denselben Punkt
der Tiefe einnehmen, sind demgemäss abgetönt, und in stets
wechselnden Zufälligkeiten der Beleuchtung modellirt. Am vollsten
fällt das Licht auf das Kind, zurückgestrahlt von weissem Atlas,
goldnem Blond. Andre Gestalten sind zwischen Licht und Dunkel
getheilt, wieder andre tauchen ganz in die Dämmerung ein, und

Siebentes Buch.
tiefem Helldunkel), eine Kopie, und gar eine sehr verkleinerte
Kopie sein könne. Bei der Ausstellung in Burlington House
(1864) hat sich das Urtheil für eine Originalskizze entschieden.
Damals wurde die Ansicht geäussert (Athenæum I, 811), Velaz-
quez habe diese Skizze in der Absicht gemacht, sich des Königs
Beifall zu versichern und dadurch dessen Sanktion zu erlangen
für eine Ausführung im Grossen, als etwas Unerhörtes im Por-
trätfach. Sie hat die Farben einer Untermalung, also eine
erheblich hellere Haltung als das grosse Bild (S. S. 278). Run-
dung und Auseinandergehen der Flächen ist gleichwohl voll-
kommen erreicht. Der Lichteinfall erscheint weniger schroff;
die schwarze Figur des Malers, der bereits mit dem Orden ge-
schmückt ist, tritt auffallender zwischen den hellen und farbigen
Gestalten hervor; ebenso der graugrünliche Ton der Decke,
der gelbe des Fussbodens.

Dass man dem Einfall eines Augenblicks ein solches Bild
verdankt kommt natürlich daher, dass der dem Maler zufällig
entgegengeworfene Stoff vorzüglich geeignet war, seine eigenste
Kraft aufzureizen, Motive seiner Lieblingsbilder in der Erinne-
rung weckte, wie Tintoretto’s Hochzeit zu Cana in der Salute
mit dem Seitenfall des Sonnenlichts auf blonde Köpfe, die Fuss-
waschung desselben mit dem bewunderten Auseinandergehen in
die Tiefe (I, 275).

Wahrlich, wol nie ist jenes Dogma des Leonardo la Vinci,
dass der Rilievo „die Seele der Malerei“ sei, dass in dem Schein
des erhabenen, von der Fläche losgelösten Körpers „die Schön-
heit und das erste Wunder“ dieser Kunst liege, mit soviel
Ueberzeugung verstanden, mit solcher Macht des Könnens be-
folgt und durch die Bewunderung der Künstler und Laien in
seiner Richtigkeit bewährt worden. Waagen sagte, man glaube
hier die Natur in einer Camera obscura zu beobachten, Stirling
erschien es wie „eine Anticipation der Erfindung Daguerre’s“,
Mengs nennt es „den Beweis, dass die vollendete Nachahmung
der Natur etwas ist, das alle Arten von Betrachtern in gleicher
Weise befriedigt“.

Die neun Figuren, von welchen kaum zwei denselben Punkt
der Tiefe einnehmen, sind demgemäss abgetönt, und in stets
wechselnden Zufälligkeiten der Beleuchtung modellirt. Am vollsten
fällt das Licht auf das Kind, zurückgestrahlt von weissem Atlas,
goldnem Blond. Andre Gestalten sind zwischen Licht und Dunkel
getheilt, wieder andre tauchen ganz in die Dämmerung ein, und

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[316/0338] Siebentes Buch. tiefem Helldunkel), eine Kopie, und gar eine sehr verkleinerte Kopie sein könne. Bei der Ausstellung in Burlington House (1864) hat sich das Urtheil für eine Originalskizze entschieden. Damals wurde die Ansicht geäussert (Athenæum I, 811), Velaz- quez habe diese Skizze in der Absicht gemacht, sich des Königs Beifall zu versichern und dadurch dessen Sanktion zu erlangen für eine Ausführung im Grossen, als etwas Unerhörtes im Por- trätfach. Sie hat die Farben einer Untermalung, also eine erheblich hellere Haltung als das grosse Bild (S. S. 278). Run- dung und Auseinandergehen der Flächen ist gleichwohl voll- kommen erreicht. Der Lichteinfall erscheint weniger schroff; die schwarze Figur des Malers, der bereits mit dem Orden ge- schmückt ist, tritt auffallender zwischen den hellen und farbigen Gestalten hervor; ebenso der graugrünliche Ton der Decke, der gelbe des Fussbodens. Dass man dem Einfall eines Augenblicks ein solches Bild verdankt kommt natürlich daher, dass der dem Maler zufällig entgegengeworfene Stoff vorzüglich geeignet war, seine eigenste Kraft aufzureizen, Motive seiner Lieblingsbilder in der Erinne- rung weckte, wie Tintoretto’s Hochzeit zu Cana in der Salute mit dem Seitenfall des Sonnenlichts auf blonde Köpfe, die Fuss- waschung desselben mit dem bewunderten Auseinandergehen in die Tiefe (I, 275). Wahrlich, wol nie ist jenes Dogma des Leonardo la Vinci, dass der Rilievo „die Seele der Malerei“ sei, dass in dem Schein des erhabenen, von der Fläche losgelösten Körpers „die Schön- heit und das erste Wunder“ dieser Kunst liege, mit soviel Ueberzeugung verstanden, mit solcher Macht des Könnens be- folgt und durch die Bewunderung der Künstler und Laien in seiner Richtigkeit bewährt worden. Waagen sagte, man glaube hier die Natur in einer Camera obscura zu beobachten, Stirling erschien es wie „eine Anticipation der Erfindung Daguerre’s“, Mengs nennt es „den Beweis, dass die vollendete Nachahmung der Natur etwas ist, das alle Arten von Betrachtern in gleicher Weise befriedigt“. Die neun Figuren, von welchen kaum zwei denselben Punkt der Tiefe einnehmen, sind demgemäss abgetönt, und in stets wechselnden Zufälligkeiten der Beleuchtung modellirt. Am vollsten fällt das Licht auf das Kind, zurückgestrahlt von weissem Atlas, goldnem Blond. Andre Gestalten sind zwischen Licht und Dunkel getheilt, wieder andre tauchen ganz in die Dämmerung ein, und

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/338>, abgerufen am 29.03.2024.