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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Das Gemälde der Familie Philipp IV.
wie im Anfang eine lichte Figur auf dunklem Grund, so steht
am Ende eine fast silhouettenartig dunkle auf sonnenhellem.
Die starkverkürzte Fensterwand mit den drei Reihen Tableaus
übereinander hilft den Raum messen; die vorstossende lang-
weilige Rückseite der grossen Leinwand stört passend das schein-
bar Arrangirte der Composition und begünstigt die Illusion. Der
dämmerig-leere Raum über den Gruppen, der weit mehr als die
Hälfte der Leinwand beansprucht, belebt jene durch den Kon-
trast. Uebrigens sieht man hier, wo er freie Hand hatte, wie
Velazquez zuletzt das Verhältniss der Höhe der Figuren zu der
der Bildfläche wünschte.

Damit die Fläche des Grunds nicht stumpf abschliesse und
das Auge einschränke, wurde die dunkle Wand gegenüber auf
zweierlei Weise durchbrochen. In diesem Motiv berührten sich
Velazquez und seine Schüler, Murillo eingeschlossen, mit dem
gleichzeitigen grössten Maler des Sonnenlichts, Peter de Hooghe.
Die Thür lässt das Tageslicht ein und in den Sonnenschein hinaus-
sehn; der Spiegel bringt zur Tiefe nach vorwärts gewisser-
maassen auch die Tiefe nach rückwärts in die Scene. Der
Spiegel kommt in dieser Rolle auch bei dem Holländer vor,
z. B. in dem Clavierspieler des Museums van der Hoop. Man
übersehe nicht die blinde Stelle links unten im Spiegelglas.

Licht und Dunkel helfen sich gegenseitig. Ein Sonnen-
licht wie das durch die Thür fallende wirkt blendend, dieser vier-
eckige weisse Fleck ruft seinen Eindruck so überzeugend hervor,
dass wir die Unbestimmtheit der Gegenstände auf der Wand,
z. B. jener unergründlichen Oelgemälde (Copien Rubens'scher My-
thologien, u. a. wie es scheint Apollo und Marsyas) als Wirkung
der Blendung nehmen und nun die Intensität jenes Lichts weit
stärker schätzen als sie die Farbe ausdrücken könnte. Hier sind
nicht bloss die Gegenstände gemalt, sondern auch die Mühe des
Auges sie zu erfassen im Kampf mit der Dämmerung. Bei guter
Beleuchtung erscheinen die Gruppen wie mit einem spinnweben-
artig zarten Lichtschleier umzogen: es ist jene Verstreuung der
Lichtstrahlen, welche die Nähe starken Lichts über einen licht-
schwachen Raum verursacht.

Das alles entdeckt das Auge nur allmählich. Wenige Bilder
verlangen eine so anhaltende Betrachtung, besonders da die
wunderlichen Figuren anfangs die Aufmerksamkeit zu sehr be-
schäftigen 1). Wie bei Rembrandt öfters, glaubt man anfangs

1) Las M., que tout le monde regarde et que personne ne voit, peinture qui

Das Gemälde der Familie Philipp IV.
wie im Anfang eine lichte Figur auf dunklem Grund, so steht
am Ende eine fast silhouettenartig dunkle auf sonnenhellem.
Die starkverkürzte Fensterwand mit den drei Reihen Tableaus
übereinander hilft den Raum messen; die vorstossende lang-
weilige Rückseite der grossen Leinwand stört passend das schein-
bar Arrangirte der Composition und begünstigt die Illusion. Der
dämmerig-leere Raum über den Gruppen, der weit mehr als die
Hälfte der Leinwand beansprucht, belebt jene durch den Kon-
trast. Uebrigens sieht man hier, wo er freie Hand hatte, wie
Velazquez zuletzt das Verhältniss der Höhe der Figuren zu der
der Bildfläche wünschte.

Damit die Fläche des Grunds nicht stumpf abschliesse und
das Auge einschränke, wurde die dunkle Wand gegenüber auf
zweierlei Weise durchbrochen. In diesem Motiv berührten sich
Velazquez und seine Schüler, Murillo eingeschlossen, mit dem
gleichzeitigen grössten Maler des Sonnenlichts, Peter de Hooghe.
Die Thür lässt das Tageslicht ein und in den Sonnenschein hinaus-
sehn; der Spiegel bringt zur Tiefe nach vorwärts gewisser-
maassen auch die Tiefe nach rückwärts in die Scene. Der
Spiegel kommt in dieser Rolle auch bei dem Holländer vor,
z. B. in dem Clavierspieler des Museums van der Hoop. Man
übersehe nicht die blinde Stelle links unten im Spiegelglas.

Licht und Dunkel helfen sich gegenseitig. Ein Sonnen-
licht wie das durch die Thür fallende wirkt blendend, dieser vier-
eckige weisse Fleck ruft seinen Eindruck so überzeugend hervor,
dass wir die Unbestimmtheit der Gegenstände auf der Wand,
z. B. jener unergründlichen Oelgemälde (Copien Rubens’scher My-
thologien, u. a. wie es scheint Apollo und Marsyas) als Wirkung
der Blendung nehmen und nun die Intensität jenes Lichts weit
stärker schätzen als sie die Farbe ausdrücken könnte. Hier sind
nicht bloss die Gegenstände gemalt, sondern auch die Mühe des
Auges sie zu erfassen im Kampf mit der Dämmerung. Bei guter
Beleuchtung erscheinen die Gruppen wie mit einem spinnweben-
artig zarten Lichtschleier umzogen: es ist jene Verstreuung der
Lichtstrahlen, welche die Nähe starken Lichts über einen licht-
schwachen Raum verursacht.

Das alles entdeckt das Auge nur allmählich. Wenige Bilder
verlangen eine so anhaltende Betrachtung, besonders da die
wunderlichen Figuren anfangs die Aufmerksamkeit zu sehr be-
schäftigen 1). Wie bei Rembrandt öfters, glaubt man anfangs

1) Las M., que tout le monde regarde et que personne ne voit, peinture qui
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[317/0339] Das Gemälde der Familie Philipp IV. wie im Anfang eine lichte Figur auf dunklem Grund, so steht am Ende eine fast silhouettenartig dunkle auf sonnenhellem. Die starkverkürzte Fensterwand mit den drei Reihen Tableaus übereinander hilft den Raum messen; die vorstossende lang- weilige Rückseite der grossen Leinwand stört passend das schein- bar Arrangirte der Composition und begünstigt die Illusion. Der dämmerig-leere Raum über den Gruppen, der weit mehr als die Hälfte der Leinwand beansprucht, belebt jene durch den Kon- trast. Uebrigens sieht man hier, wo er freie Hand hatte, wie Velazquez zuletzt das Verhältniss der Höhe der Figuren zu der der Bildfläche wünschte. Damit die Fläche des Grunds nicht stumpf abschliesse und das Auge einschränke, wurde die dunkle Wand gegenüber auf zweierlei Weise durchbrochen. In diesem Motiv berührten sich Velazquez und seine Schüler, Murillo eingeschlossen, mit dem gleichzeitigen grössten Maler des Sonnenlichts, Peter de Hooghe. Die Thür lässt das Tageslicht ein und in den Sonnenschein hinaus- sehn; der Spiegel bringt zur Tiefe nach vorwärts gewisser- maassen auch die Tiefe nach rückwärts in die Scene. Der Spiegel kommt in dieser Rolle auch bei dem Holländer vor, z. B. in dem Clavierspieler des Museums van der Hoop. Man übersehe nicht die blinde Stelle links unten im Spiegelglas. Licht und Dunkel helfen sich gegenseitig. Ein Sonnen- licht wie das durch die Thür fallende wirkt blendend, dieser vier- eckige weisse Fleck ruft seinen Eindruck so überzeugend hervor, dass wir die Unbestimmtheit der Gegenstände auf der Wand, z. B. jener unergründlichen Oelgemälde (Copien Rubens’scher My- thologien, u. a. wie es scheint Apollo und Marsyas) als Wirkung der Blendung nehmen und nun die Intensität jenes Lichts weit stärker schätzen als sie die Farbe ausdrücken könnte. Hier sind nicht bloss die Gegenstände gemalt, sondern auch die Mühe des Auges sie zu erfassen im Kampf mit der Dämmerung. Bei guter Beleuchtung erscheinen die Gruppen wie mit einem spinnweben- artig zarten Lichtschleier umzogen: es ist jene Verstreuung der Lichtstrahlen, welche die Nähe starken Lichts über einen licht- schwachen Raum verursacht. Das alles entdeckt das Auge nur allmählich. Wenige Bilder verlangen eine so anhaltende Betrachtung, besonders da die wunderlichen Figuren anfangs die Aufmerksamkeit zu sehr be- schäftigen 1). Wie bei Rembrandt öfters, glaubt man anfangs 1) Las M., que tout le monde regarde et que personne ne voit, peinture qui

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/339>, abgerufen am 29.03.2024.