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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Das Gemälde der Familie Philipp IV.
noch nicht dagewesen, dass die Figur eines Malers (freilich eines
Schlossmarschalls!) in ein Bild des intimsten Familienkreises auf-
nommen worden. Da schien es passend, dass er noch etwas
höher geadelt werde.

Das wäre also die wahrscheinliche Entstehung der Meninas.
Hier ist, was paradox scheint, eine der originellsten Schöpfun-
gen der neueren Malerei mehr als irgendwo das Facsimile eines
Zufallsmoments. Es ist das Bild der Herstellung eines Bildes.
Die Originale dieses letztern stehn ausserhalb des Bildes, sie
würden, ins Bild aufgenommen uns den Rücken zukehren;
aber sie verrathen sich durch den Spiegel. Wir sehn was
diese, nicht was der Maler sah, der seine Meninas sehn würde
in einem ihm gegenüber hängenden Spiegel. Vielleicht hat
er sich in der That eines Spiegels bedient. Auch sonst noch
ist ein Ueberfluss von Rahmen in dem Bilde: viele, sämmtlich
schwarze Rahmen von Oelgemälden 1), Rahmen des Spiegels, der
Thür, der Staffelei. Und doch ist kein Bild geeigneter, das
Bild vergessen zu machen. Ou est donc le tableau? fragte Theo-
phile Gautier.

Natürlich wurde jener Augenblick zunächst in einer Skizze
festgehalten; diese noch vorhandene Skizze ist die einzige uns
bekannte zweifellose zu einem im grossen ausgeführten Gemälde.
Und auch diese verdankt ihre Existenz vielleicht nur dem Um-
stand, dass man zuerst eine Ausführung in bescheidenem Umfang
beabsichtigte.

Die Skizze besass zu Cean Bermudez' Zeit Don Gaspar
de Jovellanos; sie ist ohne Zweifel dieselbe, welche jetzt Mr.
Banks in Kingston Lacy gehört (56" x 48"). Die Uebereinstim-
mung mit der grossen Leinwand ist fast vollkommen. Man sieht
unter der Farbe die feinen und bestimmten Linien des Ovals der
Infantin, der Augen, der aufgelösten Haare, mit einem Stift ge-
zeichnet. Das Paar im Spiegel fehlt noch, doch ist der rothe
Vorhang schon darin.

Ueber diese Skizze sind die verschiedensten Meinungen ver-
lautet. Leichtsinn und Neid wollten sie für eine Kopie erklären.
Waagen (Treasures IV, 581) fand unglaublich, dass ein Gemälde
von so geistreicher Behandlung (zartem Silberton und klarem,

1) Nach den Inventaren waren zwischen den Fenstern Kopien Rubens'scher
Werke aufgehängt, Heraklit und Demokrit, Saturn und Diana, über den Fenstern
Thierstücke und Landschaften.

Das Gemälde der Familie Philipp IV.
noch nicht dagewesen, dass die Figur eines Malers (freilich eines
Schlossmarschalls!) in ein Bild des intimsten Familienkreises auf-
nommen worden. Da schien es passend, dass er noch etwas
höher geadelt werde.

Das wäre also die wahrscheinliche Entstehung der Meninas.
Hier ist, was paradox scheint, eine der originellsten Schöpfun-
gen der neueren Malerei mehr als irgendwo das Facsimile eines
Zufallsmoments. Es ist das Bild der Herstellung eines Bildes.
Die Originale dieses letztern stehn ausserhalb des Bildes, sie
würden, ins Bild aufgenommen uns den Rücken zukehren;
aber sie verrathen sich durch den Spiegel. Wir sehn was
diese, nicht was der Maler sah, der seine Meninas sehn würde
in einem ihm gegenüber hängenden Spiegel. Vielleicht hat
er sich in der That eines Spiegels bedient. Auch sonst noch
ist ein Ueberfluss von Rahmen in dem Bilde: viele, sämmtlich
schwarze Rahmen von Oelgemälden 1), Rahmen des Spiegels, der
Thür, der Staffelei. Und doch ist kein Bild geeigneter, das
Bild vergessen zu machen. Où est donc le tableau? fragte Théo-
phile Gautier.

Natürlich wurde jener Augenblick zunächst in einer Skizze
festgehalten; diese noch vorhandene Skizze ist die einzige uns
bekannte zweifellose zu einem im grossen ausgeführten Gemälde.
Und auch diese verdankt ihre Existenz vielleicht nur dem Um-
stand, dass man zuerst eine Ausführung in bescheidenem Umfang
beabsichtigte.

Die Skizze besass zu Cean Bermudez’ Zeit Don Gaspar
de Jovellanos; sie ist ohne Zweifel dieselbe, welche jetzt Mr.
Banks in Kingston Lacy gehört (56″ × 48″). Die Uebereinstim-
mung mit der grossen Leinwand ist fast vollkommen. Man sieht
unter der Farbe die feinen und bestimmten Linien des Ovals der
Infantin, der Augen, der aufgelösten Haare, mit einem Stift ge-
zeichnet. Das Paar im Spiegel fehlt noch, doch ist der rothe
Vorhang schon darin.

Ueber diese Skizze sind die verschiedensten Meinungen ver-
lautet. Leichtsinn und Neid wollten sie für eine Kopie erklären.
Waagen (Treasures IV, 581) fand unglaublich, dass ein Gemälde
von so geistreicher Behandlung (zartem Silberton und klarem,

1) Nach den Inventaren waren zwischen den Fenstern Kopien Rubens’scher
Werke aufgehängt, Heraklit und Demokrit, Saturn und Diana, über den Fenstern
Thierstücke und Landschaften.
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[315/0337] Das Gemälde der Familie Philipp IV. noch nicht dagewesen, dass die Figur eines Malers (freilich eines Schlossmarschalls!) in ein Bild des intimsten Familienkreises auf- nommen worden. Da schien es passend, dass er noch etwas höher geadelt werde. Das wäre also die wahrscheinliche Entstehung der Meninas. Hier ist, was paradox scheint, eine der originellsten Schöpfun- gen der neueren Malerei mehr als irgendwo das Facsimile eines Zufallsmoments. Es ist das Bild der Herstellung eines Bildes. Die Originale dieses letztern stehn ausserhalb des Bildes, sie würden, ins Bild aufgenommen uns den Rücken zukehren; aber sie verrathen sich durch den Spiegel. Wir sehn was diese, nicht was der Maler sah, der seine Meninas sehn würde in einem ihm gegenüber hängenden Spiegel. Vielleicht hat er sich in der That eines Spiegels bedient. Auch sonst noch ist ein Ueberfluss von Rahmen in dem Bilde: viele, sämmtlich schwarze Rahmen von Oelgemälden 1), Rahmen des Spiegels, der Thür, der Staffelei. Und doch ist kein Bild geeigneter, das Bild vergessen zu machen. Où est donc le tableau? fragte Théo- phile Gautier. Natürlich wurde jener Augenblick zunächst in einer Skizze festgehalten; diese noch vorhandene Skizze ist die einzige uns bekannte zweifellose zu einem im grossen ausgeführten Gemälde. Und auch diese verdankt ihre Existenz vielleicht nur dem Um- stand, dass man zuerst eine Ausführung in bescheidenem Umfang beabsichtigte. Die Skizze besass zu Cean Bermudez’ Zeit Don Gaspar de Jovellanos; sie ist ohne Zweifel dieselbe, welche jetzt Mr. Banks in Kingston Lacy gehört (56″ × 48″). Die Uebereinstim- mung mit der grossen Leinwand ist fast vollkommen. Man sieht unter der Farbe die feinen und bestimmten Linien des Ovals der Infantin, der Augen, der aufgelösten Haare, mit einem Stift ge- zeichnet. Das Paar im Spiegel fehlt noch, doch ist der rothe Vorhang schon darin. Ueber diese Skizze sind die verschiedensten Meinungen ver- lautet. Leichtsinn und Neid wollten sie für eine Kopie erklären. Waagen (Treasures IV, 581) fand unglaublich, dass ein Gemälde von so geistreicher Behandlung (zartem Silberton und klarem, 1) Nach den Inventaren waren zwischen den Fenstern Kopien Rubens’scher Werke aufgehängt, Heraklit und Demokrit, Saturn und Diana, über den Fenstern Thierstücke und Landschaften.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/337>, abgerufen am 16.04.2024.