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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Königin Marianne.
trockners (asciugapanni) an. Man nannte diese Reifröcke guar-
dainfantes
, die Damen behaupteten, sie sähen interessant und
kokett darin aus (curiose e galanti); diese Röcke seien luftig
und bequem, da die Unterkleider weit und fliegend gemacht
werden könnten. Der guardainfante gewinnt also gleich unter
der Taille seine volle Breite, gleich als stände die Figur in einer
Tonne; nur war er nicht rund, sondern vorn abgeplattet. Er
stieg und sank beim Gehen; die Hände ruhten darauf wie auf
einer Logenbrüstung, und wie hier Zettel und Handschuhe, so
hängte man darauf Uhren, Spiegel, Porträts. Eine solche Dame
füllte die Seite eines Wagens ganz aus. Sie hatte Mühe durch
die Hausthür zu kommen, und die Komödianten verlangten
doppelte Eintrittspreise. Demgemäss nahmen auch die andern
Toilettenstücke einen imposanten Umfang an: Das Taschentuch
sah aus wie ein Tafeltuch, der Spitzenkragen von Tüll ging fast
bis über die Mitte der Brust, die Halskette, selbst die Gold-
fassung der Juwelen wird dick und schwer. Die Füsse blieben
natürlich ganz unsichtbar 1).

Was noch von der Arbeit des Schöpfers der Eva übrig
blieb wurde mit schreienden Farben bemalt, nicht blos das Ge-
sicht bis auf Augenlieder und Ohrläppchen, auch Schultern und
Hände. Aber es war mehr Maske als Zier.

Den Fremden (wie den Damen vom Hofe Ludwig XIV)
erschien diese Mode lächerlich, ja empörend, und bei sonst
sympathischen Personen wehethuend. Als sie zum erstenmale
in Rom auftauchte, bei der Ankunft des Vicekönigs von Neapel,
Duca de Arcos, erregte sie Anstoss und Spott 2).

Es wäre verlorene Mühe gewesen, eine solche Gestalt durch
gefällige Anmuth veredeln, diess barbarische Kostüm malerisch
gestalten zu wollen. Velazquez blieb auch hier dem spani-
schen Geschmack treu, der nichts vertuscht und vor keinen
Schrecken der Wirklichkeit zurückbebt. Dafür wirkte er durch

1) Als auf ihrer Reise nach Madrid eine städtische Deputation Proben des
Gewerbfleisses, u. a. seidene Strümpfe überreichte, warf der Majordomus die letzteren
dem Geber in's Gesicht, mit den Worten: "Ihr sollt wissen, dass spanische
Königinnen keine Füsse haben" (Abeis de saber que las reinas de Espanna no
tienen piernas
). Sie mag schon von den cosas de Espanna einen Geschmack gehabt
haben, denn sie glaubte wirklich in Madrid würden ihr die Füsse amputirt werden,
und brach in Thränen aus.
2) Roma resta maravigliata del brutto, e disonesto habito donnesco spagnuolo,
atteso massime a tempi passati ch'era tenuto honesto. Ameyden, Diario 31. März 1646.

Die Königin Marianne.
trockners (asciugapanni) an. Man nannte diese Reifröcke guar-
dainfantes
, die Damen behaupteten, sie sähen interessant und
kokett darin aus (curiose e galanti); diese Röcke seien luftig
und bequem, da die Unterkleider weit und fliegend gemacht
werden könnten. Der guardainfante gewinnt also gleich unter
der Taille seine volle Breite, gleich als stände die Figur in einer
Tonne; nur war er nicht rund, sondern vorn abgeplattet. Er
stieg und sank beim Gehen; die Hände ruhten darauf wie auf
einer Logenbrüstung, und wie hier Zettel und Handschuhe, so
hängte man darauf Uhren, Spiegel, Porträts. Eine solche Dame
füllte die Seite eines Wagens ganz aus. Sie hatte Mühe durch
die Hausthür zu kommen, und die Komödianten verlangten
doppelte Eintrittspreise. Demgemäss nahmen auch die andern
Toilettenstücke einen imposanten Umfang an: Das Taschentuch
sah aus wie ein Tafeltuch, der Spitzenkragen von Tüll ging fast
bis über die Mitte der Brust, die Halskette, selbst die Gold-
fassung der Juwelen wird dick und schwer. Die Füsse blieben
natürlich ganz unsichtbar 1).

Was noch von der Arbeit des Schöpfers der Eva übrig
blieb wurde mit schreienden Farben bemalt, nicht blos das Ge-
sicht bis auf Augenlieder und Ohrläppchen, auch Schultern und
Hände. Aber es war mehr Maske als Zier.

Den Fremden (wie den Damen vom Hofe Ludwig XIV)
erschien diese Mode lächerlich, ja empörend, und bei sonst
sympathischen Personen wehethuend. Als sie zum erstenmale
in Rom auftauchte, bei der Ankunft des Vicekönigs von Neapel,
Duca de Arcos, erregte sie Anstoss und Spott 2).

Es wäre verlorene Mühe gewesen, eine solche Gestalt durch
gefällige Anmuth veredeln, diess barbarische Kostüm malerisch
gestalten zu wollen. Velazquez blieb auch hier dem spani-
schen Geschmack treu, der nichts vertuscht und vor keinen
Schrecken der Wirklichkeit zurückbebt. Dafür wirkte er durch

1) Als auf ihrer Reise nach Madrid eine städtische Deputation Proben des
Gewerbfleisses, u. a. seidene Strümpfe überreichte, warf der Majordomus die letzteren
dem Geber in’s Gesicht, mit den Worten: „Ihr sollt wissen, dass spanische
Königinnen keine Füsse haben“ (Abeis de saber que las reinas de España no
tienen piernas
). Sie mag schon von den cosas de España einen Geschmack gehabt
haben, denn sie glaubte wirklich in Madrid würden ihr die Füsse amputirt werden,
und brach in Thränen aus.
2) Roma resta maravigliata del brutto, e disonesto habito donnesco spagnuolo,
atteso massime à tempi passati ch’era tenuto honesto. Ameyden, Diario 31. März 1646.
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[291/0311] Die Königin Marianne. trockners (asciugapanni) an. Man nannte diese Reifröcke guar- dainfantes, die Damen behaupteten, sie sähen interessant und kokett darin aus (curiose e galanti); diese Röcke seien luftig und bequem, da die Unterkleider weit und fliegend gemacht werden könnten. Der guardainfante gewinnt also gleich unter der Taille seine volle Breite, gleich als stände die Figur in einer Tonne; nur war er nicht rund, sondern vorn abgeplattet. Er stieg und sank beim Gehen; die Hände ruhten darauf wie auf einer Logenbrüstung, und wie hier Zettel und Handschuhe, so hängte man darauf Uhren, Spiegel, Porträts. Eine solche Dame füllte die Seite eines Wagens ganz aus. Sie hatte Mühe durch die Hausthür zu kommen, und die Komödianten verlangten doppelte Eintrittspreise. Demgemäss nahmen auch die andern Toilettenstücke einen imposanten Umfang an: Das Taschentuch sah aus wie ein Tafeltuch, der Spitzenkragen von Tüll ging fast bis über die Mitte der Brust, die Halskette, selbst die Gold- fassung der Juwelen wird dick und schwer. Die Füsse blieben natürlich ganz unsichtbar 1). Was noch von der Arbeit des Schöpfers der Eva übrig blieb wurde mit schreienden Farben bemalt, nicht blos das Ge- sicht bis auf Augenlieder und Ohrläppchen, auch Schultern und Hände. Aber es war mehr Maske als Zier. Den Fremden (wie den Damen vom Hofe Ludwig XIV) erschien diese Mode lächerlich, ja empörend, und bei sonst sympathischen Personen wehethuend. Als sie zum erstenmale in Rom auftauchte, bei der Ankunft des Vicekönigs von Neapel, Duca de Arcos, erregte sie Anstoss und Spott 2). Es wäre verlorene Mühe gewesen, eine solche Gestalt durch gefällige Anmuth veredeln, diess barbarische Kostüm malerisch gestalten zu wollen. Velazquez blieb auch hier dem spani- schen Geschmack treu, der nichts vertuscht und vor keinen Schrecken der Wirklichkeit zurückbebt. Dafür wirkte er durch 1) Als auf ihrer Reise nach Madrid eine städtische Deputation Proben des Gewerbfleisses, u. a. seidene Strümpfe überreichte, warf der Majordomus die letzteren dem Geber in’s Gesicht, mit den Worten: „Ihr sollt wissen, dass spanische Königinnen keine Füsse haben“ (Abeis de saber que las reinas de España no tienen piernas). Sie mag schon von den cosas de España einen Geschmack gehabt haben, denn sie glaubte wirklich in Madrid würden ihr die Füsse amputirt werden, und brach in Thränen aus. 2) Roma resta maravigliata del brutto, e disonesto habito donnesco spagnuolo, atteso massime à tempi passati ch’era tenuto honesto. Ameyden, Diario 31. März 1646.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/311>, abgerufen am 28.03.2024.