Auge Freude macht! Sie scheint zu strahlen in der ersten Wonne jener Feste, die ihr zu Ehren ohne Unterbrechung sich folgten.
Die erste Empfindung vor diesen Bildnissen ist wol das Erstaunen über Haarputz und Anzug. In der zweiten Hälfte der vierziger war eine neue Damenmode in Aufnahme gekommen. Das bisher noch wirksame Motiv der Erhöhung wurde gänzlich verdrängt von dem der Breite. Die Horizontallinie wurde mit einer Consequenz durchgeführt, welche den guten Geschmack mit nie gesehener Kühnheit herausforderte. Hier ist es der Mühe werth einen Augenblick zu verweilen, um von dem Märtyrthum eine Vorstellung zu geben, das einem spanischen Damenmaler dieser Zeit beschieden war.
Der hohe Schopf und die traubenförmigen in die Wangen vorgedrängten Seitenlocken verschwanden; aber wenn schon bei diesen gelegentlich die Perrücke eintreten musste, so war jetzt an eine Herstellung des Gebäudes bloss durch das natürliche Haar nicht mehr zu denken. Die künstlichen Haare, von Seide oder Wolle (cabellos postizos, monos) sind glatt herabgestrichen, und zu beiden Seiten in fünf bis sechs senkrechten, symmetrisch an- einandergereihten Locken tressirt, mit erschütternder Regel- mässigkeit durch Bänder, Rosen, Juwelen geschmückt und in der Höhe des Kinns horizontal abgeschnitten. Eine Reihe von Edelsteingehängen nahm sich wie eine Versechsfachung der Ohr- ringe aus. Hinten legten sich als Abschluss noch grosse Straus- senfedern über diese mit einem geöffneten Altarschrein vergleich- bare Haarzier. Unter der blonden Perrücke sehen die An- fänge des natürlichen Haares hervor, z. B. die breite Querlocke der Stirn. Wenn das Kleid ausgeschnitten ist, läuft dessen Saum ebenfalls waagerecht um Brust und Schulter, wie die Linie der Wasserfläche bei einer Badenden; ebenso die Hals- ketten.
Das schmale gradlinige Leibchen setzt mit seiner keilförmi- gen Schneppe in den ungeheuren Reifrock ein, der immer mehr von der Kegel- in die Walzenform überging. Auf die gänz- liche Unterdrückung der natürlichen Rundung folgte hier eine erstaunliche Anschwellung. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts gebrauchten die Damen einen Reif am untern Ende der Kleider. Jetzt wurden noch zwei bis vier Reifen von Spartgras, später Mes- singdraht, mit Leinwand überzogen, an den obern Theil gelegt. Der Rock ging nun aus der Gestalt einer Glocke in die eines Kleider-
Siebentes Buch.
Auge Freude macht! Sie scheint zu strahlen in der ersten Wonne jener Feste, die ihr zu Ehren ohne Unterbrechung sich folgten.
Die erste Empfindung vor diesen Bildnissen ist wol das Erstaunen über Haarputz und Anzug. In der zweiten Hälfte der vierziger war eine neue Damenmode in Aufnahme gekommen. Das bisher noch wirksame Motiv der Erhöhung wurde gänzlich verdrängt von dem der Breite. Die Horizontallinie wurde mit einer Consequenz durchgeführt, welche den guten Geschmack mit nie gesehener Kühnheit herausforderte. Hier ist es der Mühe werth einen Augenblick zu verweilen, um von dem Märtyrthum eine Vorstellung zu geben, das einem spanischen Damenmaler dieser Zeit beschieden war.
Der hohe Schopf und die traubenförmigen in die Wangen vorgedrängten Seitenlocken verschwanden; aber wenn schon bei diesen gelegentlich die Perrücke eintreten musste, so war jetzt an eine Herstellung des Gebäudes bloss durch das natürliche Haar nicht mehr zu denken. Die künstlichen Haare, von Seide oder Wolle (cabellos postizos, monos) sind glatt herabgestrichen, und zu beiden Seiten in fünf bis sechs senkrechten, symmetrisch an- einandergereihten Locken tressirt, mit erschütternder Regel- mässigkeit durch Bänder, Rosen, Juwelen geschmückt und in der Höhe des Kinns horizontal abgeschnitten. Eine Reihe von Edelsteingehängen nahm sich wie eine Versechsfachung der Ohr- ringe aus. Hinten legten sich als Abschluss noch grosse Straus- senfedern über diese mit einem geöffneten Altarschrein vergleich- bare Haarzier. Unter der blonden Perrücke sehen die An- fänge des natürlichen Haares hervor, z. B. die breite Querlocke der Stirn. Wenn das Kleid ausgeschnitten ist, läuft dessen Saum ebenfalls waagerecht um Brust und Schulter, wie die Linie der Wasserfläche bei einer Badenden; ebenso die Hals- ketten.
Das schmale gradlinige Leibchen setzt mit seiner keilförmi- gen Schneppe in den ungeheuren Reifrock ein, der immer mehr von der Kegel- in die Walzenform überging. Auf die gänz- liche Unterdrückung der natürlichen Rundung folgte hier eine erstaunliche Anschwellung. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts gebrauchten die Damen einen Reif am untern Ende der Kleider. Jetzt wurden noch zwei bis vier Reifen von Spartgras, später Mes- singdraht, mit Leinwand überzogen, an den obern Theil gelegt. Der Rock ging nun aus der Gestalt einer Glocke in die eines Kleider-
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Siebentes Buch.
Auge Freude macht! Sie scheint zu strahlen in der ersten
Wonne jener Feste, die ihr zu Ehren ohne Unterbrechung sich
folgten.
Die erste Empfindung vor diesen Bildnissen ist wol das
Erstaunen über Haarputz und Anzug. In der zweiten Hälfte
der vierziger war eine neue Damenmode in Aufnahme gekommen.
Das bisher noch wirksame Motiv der Erhöhung wurde gänzlich
verdrängt von dem der Breite. Die Horizontallinie wurde mit
einer Consequenz durchgeführt, welche den guten Geschmack
mit nie gesehener Kühnheit herausforderte. Hier ist es der Mühe
werth einen Augenblick zu verweilen, um von dem Märtyrthum
eine Vorstellung zu geben, das einem spanischen Damenmaler
dieser Zeit beschieden war.
Der hohe Schopf und die traubenförmigen in die Wangen
vorgedrängten Seitenlocken verschwanden; aber wenn schon bei
diesen gelegentlich die Perrücke eintreten musste, so war jetzt
an eine Herstellung des Gebäudes bloss durch das natürliche Haar
nicht mehr zu denken. Die künstlichen Haare, von Seide oder
Wolle (cabellos postizos, monos) sind glatt herabgestrichen, und
zu beiden Seiten in fünf bis sechs senkrechten, symmetrisch an-
einandergereihten Locken tressirt, mit erschütternder Regel-
mässigkeit durch Bänder, Rosen, Juwelen geschmückt und in
der Höhe des Kinns horizontal abgeschnitten. Eine Reihe von
Edelsteingehängen nahm sich wie eine Versechsfachung der Ohr-
ringe aus. Hinten legten sich als Abschluss noch grosse Straus-
senfedern über diese mit einem geöffneten Altarschrein vergleich-
bare Haarzier. Unter der blonden Perrücke sehen die An-
fänge des natürlichen Haares hervor, z. B. die breite Querlocke
der Stirn. Wenn das Kleid ausgeschnitten ist, läuft dessen
Saum ebenfalls waagerecht um Brust und Schulter, wie die
Linie der Wasserfläche bei einer Badenden; ebenso die Hals-
ketten.
Das schmale gradlinige Leibchen setzt mit seiner keilförmi-
gen Schneppe in den ungeheuren Reifrock ein, der immer mehr
von der Kegel- in die Walzenform überging. Auf die gänz-
liche Unterdrückung der natürlichen Rundung folgte hier eine
erstaunliche Anschwellung. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts
gebrauchten die Damen einen Reif am untern Ende der Kleider.
Jetzt wurden noch zwei bis vier Reifen von Spartgras, später Mes-
singdraht, mit Leinwand überzogen, an den obern Theil gelegt. Der
Rock ging nun aus der Gestalt einer Glocke in die eines Kleider-
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/310>, abgerufen am 22.11.2024.
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