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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
so verdankt auch der Escorial seinen Bemühungen, dass er in
der Malerei so merkwürdig ist wie als Bauwerk. Er hat die
Sacristei, die Aulilla und das Kapitel des Priors eingerichtet,
ja die Gemälde, mit welchen er sie schmückte, hat er selbst in
verschiedenen Theilen Europa's zusammengebracht. Er war ein
Mann von vielgepriesenem Geschmack und Urtheil (de famoso
gusto y eleccion
), vorzüglich in Bildnissen; aber an diesem Gemälde
sieht man, dass er es nicht weniger war in allem was er angriff."
Hier meint man müsse ihm die Hand gezuckt haben hinzuzu-
setzen: vorzüglich sogar, wenn er den Pinsel mit der Feder ver-
tauschte, denn wir verdanken ihm schätzbare Winke für diess
Buch u. s. w. --

Gewiss ist kaum je eine Entdeckung im Bereich der Kunst-
literatur mit mehr Spannung aufgeschlagen worden, wie diese
Blätter des Velazquez über italienische Gemälde. Sie haben ein
höheres Interesse als das einer Reliquie oder Kuriosität. Wir
sollen hören, wie in einem solchen Malerkopfe Tizian und Cor-
reggio, Raphael und Andrea sich spiegelten. Ein Künstler der
eine fast vierzigjährige Praxis, Verwaltung eines Gemälde-
schatzes wie der königliche von Spanien, zwei Reisen in Italien
zum Zwecke von Studium und Ankäufen hinter sich hatte.

Schenken wir jedoch zuerst der Form der Schrift einen Blick.

Sie war nach Palomino ein Bericht an den König, der
amtliche Bericht seines Schlossmarschalls über die Erledigung
eines gewissermassen in seine Kompetenz fallenden Auftrags.

Dieser Schlossmarschall scheint sich indess aus bureaukra-
tischen Formalitäten wenig zu machen. Er beginnt seine Rede
etwas cavalierement, sogar ohne Anrede seines hohen Auftrag-
gebers an den er schreibt, ohne Bezeichnung des Befehls, den
zu erledigen er sich anschickt. Er fällt mit der Thür ins Haus.
Statt des Namens Philipp IV, den man erwartet, finden wir den
Namen Carlos Estuardo, des vor acht Jahren hingerichteten Kö-
nigs von England. Also ganz im Geschmack eines modernen
Essay, der gleich in medias res geht und des Lesers Aufmerk-
samkeit durch ein sensationelles Motiv zu fesseln trachtet.

Erst auf der Schlusseite kommt was eigentlich in den An-
fang gehörte. Es heisst da: "S. M. bemerkte, dass einige Räume
(des Escorial) zu dürftig mit Gemälden ausgestattet wären und
sie verschob die Abstellung dieses Mangels keinen Augenblick.
Eine Fürsorge (providencia) ohne Zweifel seines erhabenen Ahn-
herrn: denn wenn letztrer seiner grossen Frömmigkeit die Errich-

Siebentes Buch.
so verdankt auch der Escorial seinen Bemühungen, dass er in
der Malerei so merkwürdig ist wie als Bauwerk. Er hat die
Sacristei, die Aulilla und das Kapitel des Priors eingerichtet,
ja die Gemälde, mit welchen er sie schmückte, hat er selbst in
verschiedenen Theilen Europa’s zusammengebracht. Er war ein
Mann von vielgepriesenem Geschmack und Urtheil (de famoso
gusto y eleccion
), vorzüglich in Bildnissen; aber an diesem Gemälde
sieht man, dass er es nicht weniger war in allem was er angriff.“
Hier meint man müsse ihm die Hand gezuckt haben hinzuzu-
setzen: vorzüglich sogar, wenn er den Pinsel mit der Feder ver-
tauschte, denn wir verdanken ihm schätzbare Winke für diess
Buch u. s. w. —

Gewiss ist kaum je eine Entdeckung im Bereich der Kunst-
literatur mit mehr Spannung aufgeschlagen worden, wie diese
Blätter des Velazquez über italienische Gemälde. Sie haben ein
höheres Interesse als das einer Reliquie oder Kuriosität. Wir
sollen hören, wie in einem solchen Malerkopfe Tizian und Cor-
reggio, Raphael und Andrea sich spiegelten. Ein Künstler der
eine fast vierzigjährige Praxis, Verwaltung eines Gemälde-
schatzes wie der königliche von Spanien, zwei Reisen in Italien
zum Zwecke von Studium und Ankäufen hinter sich hatte.

Schenken wir jedoch zuerst der Form der Schrift einen Blick.

Sie war nach Palomino ein Bericht an den König, der
amtliche Bericht seines Schlossmarschalls über die Erledigung
eines gewissermassen in seine Kompetenz fallenden Auftrags.

Dieser Schlossmarschall scheint sich indess aus bureaukra-
tischen Formalitäten wenig zu machen. Er beginnt seine Rede
etwas cavalièrement, sogar ohne Anrede seines hohen Auftrag-
gebers an den er schreibt, ohne Bezeichnung des Befehls, den
zu erledigen er sich anschickt. Er fällt mit der Thür ins Haus.
Statt des Namens Philipp IV, den man erwartet, finden wir den
Namen Carlos Estuardo, des vor acht Jahren hingerichteten Kö-
nigs von England. Also ganz im Geschmack eines modernen
Essay, der gleich in medias res geht und des Lesers Aufmerk-
samkeit durch ein sensationelles Motiv zu fesseln trachtet.

Erst auf der Schlusseite kommt was eigentlich in den An-
fang gehörte. Es heisst da: „S. M. bemerkte, dass einige Räume
(des Escorial) zu dürftig mit Gemälden ausgestattet wären und
sie verschob die Abstellung dieses Mangels keinen Augenblick.
Eine Fürsorge (providencia) ohne Zweifel seines erhabenen Ahn-
herrn: denn wenn letztrer seiner grossen Frömmigkeit die Errich-

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[250/0270] Siebentes Buch. so verdankt auch der Escorial seinen Bemühungen, dass er in der Malerei so merkwürdig ist wie als Bauwerk. Er hat die Sacristei, die Aulilla und das Kapitel des Priors eingerichtet, ja die Gemälde, mit welchen er sie schmückte, hat er selbst in verschiedenen Theilen Europa’s zusammengebracht. Er war ein Mann von vielgepriesenem Geschmack und Urtheil (de famoso gusto y eleccion), vorzüglich in Bildnissen; aber an diesem Gemälde sieht man, dass er es nicht weniger war in allem was er angriff.“ Hier meint man müsse ihm die Hand gezuckt haben hinzuzu- setzen: vorzüglich sogar, wenn er den Pinsel mit der Feder ver- tauschte, denn wir verdanken ihm schätzbare Winke für diess Buch u. s. w. — Gewiss ist kaum je eine Entdeckung im Bereich der Kunst- literatur mit mehr Spannung aufgeschlagen worden, wie diese Blätter des Velazquez über italienische Gemälde. Sie haben ein höheres Interesse als das einer Reliquie oder Kuriosität. Wir sollen hören, wie in einem solchen Malerkopfe Tizian und Cor- reggio, Raphael und Andrea sich spiegelten. Ein Künstler der eine fast vierzigjährige Praxis, Verwaltung eines Gemälde- schatzes wie der königliche von Spanien, zwei Reisen in Italien zum Zwecke von Studium und Ankäufen hinter sich hatte. Schenken wir jedoch zuerst der Form der Schrift einen Blick. Sie war nach Palomino ein Bericht an den König, der amtliche Bericht seines Schlossmarschalls über die Erledigung eines gewissermassen in seine Kompetenz fallenden Auftrags. Dieser Schlossmarschall scheint sich indess aus bureaukra- tischen Formalitäten wenig zu machen. Er beginnt seine Rede etwas cavalièrement, sogar ohne Anrede seines hohen Auftrag- gebers an den er schreibt, ohne Bezeichnung des Befehls, den zu erledigen er sich anschickt. Er fällt mit der Thür ins Haus. Statt des Namens Philipp IV, den man erwartet, finden wir den Namen Carlos Estuardo, des vor acht Jahren hingerichteten Kö- nigs von England. Also ganz im Geschmack eines modernen Essay, der gleich in medias res geht und des Lesers Aufmerk- samkeit durch ein sensationelles Motiv zu fesseln trachtet. Erst auf der Schlusseite kommt was eigentlich in den An- fang gehörte. Es heisst da: „S. M. bemerkte, dass einige Räume (des Escorial) zu dürftig mit Gemälden ausgestattet wären und sie verschob die Abstellung dieses Mangels keinen Augenblick. Eine Fürsorge (providencia) ohne Zweifel seines erhabenen Ahn- herrn: denn wenn letztrer seiner grossen Frömmigkeit die Errich-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/270>, abgerufen am 24.11.2024.