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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Memoria.
tung dieses heiligen Wunderwerks vorwegnahm: so liess er doch
noch hinlänglich Platz übrig, damit der königliche Geist des
Enkels durch dessen Ausschmückung und Bereicherung bewirke,
dass seine Mönche in geziemender Dankbarkeit unablässig Gott
bitten um Segnung und Verlängerung eines Lebens das so
wichtig ist."

Hier sorgt also Philipp II in prophetischer Voraussicht für
das Munificenzbedürfniss seines Enkels, dessen Geburt er nicht
erlebte, indem er ihm, der eigentlich selbst gern einen Escorial
gebaut hätte, wenigstens einige leere Plätze übrig lässt, welche
dieser jedoch erst entdeckt, nachdem er bereits 33 Jahre regiert
hat. Es mag hofmännischer Stil von damals sein, aber der Pater
de los Santos fand es passend, die Stelle mit dem Takt des ge-
sunden Menschenverstands zu vereinfachen1). Hofkaplan und
Maler scheinen hier ihre Rollen vertauscht zu haben: jener
schreibt schlicht und sachlich, dieser im schwülstig-absurden Stil
byzantinischer proskynesis. Wir werden noch eine zweite Stelle
der Art kennen lernen.

Gegenstand der Denkschrift war: das Inventar der 41 Ge-
mälde und deren Aufstellung in den neuen Räumen. Aber wir
erfahren weder vollständig noch deutlich, welches die 41 Gemälde
waren. Im ersten und Haupttheil werden 24 Stücke besprochen,
zum grössten Theil in der Reihenfolge der Geber, welche sie
dem Könige verehrt hatten; dann wird die Anordnung derselben
nachgeholt, im Zusammenhang mit den übrigen und einigen schon
früher dort befindlichen; man sieht hier nicht immer, welches
nun die neuen sind; fünf der kostbarsten, die noch nicht auf-
gehängt waren, werden gar nicht angegeben.

Betrachten wir nun den für uns allein interessanten Haupt-
theil: die Beschreibungen. Die 24 Artikel von ungleicher Länge
(3--25 Zeilen) bestehn aus knappen, ganz anschaulichen Skizzirun-
gen der Composition, durchflochten mit noch kürzern Bemer-
kungen über ihre Schönheit. Der Ton dieser Artikelchen ist
lobend, ja begeistert, festlich. Kurze, bewegte Sätze, oft ohne
copula. Die Terminologie, deren sich der Maler zur künst-
lerischen Charakteristik bedient, ist mehr ästhetisch als künst-
lerisch; sie giebt mehr den Eindruck, besonders den auf das an-

1) "Da sein königlicher Sinn überall da wo sein grosser Ahn in dieser er-
staunlichen Schöpfung seiner Frömmigkeit ihm noch Platz frei gelassen, dessen
Ausschmückung und Bereicherung sich zum Ziel setzte: so verschob er die Ab-
stellung dieses Mangels keinen Augenblick."

Die Memoria.
tung dieses heiligen Wunderwerks vorwegnahm: so liess er doch
noch hinlänglich Platz übrig, damit der königliche Geist des
Enkels durch dessen Ausschmückung und Bereicherung bewirke,
dass seine Mönche in geziemender Dankbarkeit unablässig Gott
bitten um Segnung und Verlängerung eines Lebens das so
wichtig ist.“

Hier sorgt also Philipp II in prophetischer Voraussicht für
das Munificenzbedürfniss seines Enkels, dessen Geburt er nicht
erlebte, indem er ihm, der eigentlich selbst gern einen Escorial
gebaut hätte, wenigstens einige leere Plätze übrig lässt, welche
dieser jedoch erst entdeckt, nachdem er bereits 33 Jahre regiert
hat. Es mag hofmännischer Stil von damals sein, aber der Pater
de los Santos fand es passend, die Stelle mit dem Takt des ge-
sunden Menschenverstands zu vereinfachen1). Hofkaplan und
Maler scheinen hier ihre Rollen vertauscht zu haben: jener
schreibt schlicht und sachlich, dieser im schwülstig-absurden Stil
byzantinischer proskynesis. Wir werden noch eine zweite Stelle
der Art kennen lernen.

Gegenstand der Denkschrift war: das Inventar der 41 Ge-
mälde und deren Aufstellung in den neuen Räumen. Aber wir
erfahren weder vollständig noch deutlich, welches die 41 Gemälde
waren. Im ersten und Haupttheil werden 24 Stücke besprochen,
zum grössten Theil in der Reihenfolge der Geber, welche sie
dem Könige verehrt hatten; dann wird die Anordnung derselben
nachgeholt, im Zusammenhang mit den übrigen und einigen schon
früher dort befindlichen; man sieht hier nicht immer, welches
nun die neuen sind; fünf der kostbarsten, die noch nicht auf-
gehängt waren, werden gar nicht angegeben.

Betrachten wir nun den für uns allein interessanten Haupt-
theil: die Beschreibungen. Die 24 Artikel von ungleicher Länge
(3—25 Zeilen) bestehn aus knappen, ganz anschaulichen Skizzirun-
gen der Composition, durchflochten mit noch kürzern Bemer-
kungen über ihre Schönheit. Der Ton dieser Artikelchen ist
lobend, ja begeistert, festlich. Kurze, bewegte Sätze, oft ohne
copula. Die Terminologie, deren sich der Maler zur künst-
lerischen Charakteristik bedient, ist mehr ästhetisch als künst-
lerisch; sie giebt mehr den Eindruck, besonders den auf das an-

1) „Da sein königlicher Sinn überall da wo sein grosser Ahn in dieser er-
staunlichen Schöpfung seiner Frömmigkeit ihm noch Platz frei gelassen, dessen
Ausschmückung und Bereicherung sich zum Ziel setzte: so verschob er die Ab-
stellung dieses Mangels keinen Augenblick.“
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[251/0271] Die Memoria. tung dieses heiligen Wunderwerks vorwegnahm: so liess er doch noch hinlänglich Platz übrig, damit der königliche Geist des Enkels durch dessen Ausschmückung und Bereicherung bewirke, dass seine Mönche in geziemender Dankbarkeit unablässig Gott bitten um Segnung und Verlängerung eines Lebens das so wichtig ist.“ Hier sorgt also Philipp II in prophetischer Voraussicht für das Munificenzbedürfniss seines Enkels, dessen Geburt er nicht erlebte, indem er ihm, der eigentlich selbst gern einen Escorial gebaut hätte, wenigstens einige leere Plätze übrig lässt, welche dieser jedoch erst entdeckt, nachdem er bereits 33 Jahre regiert hat. Es mag hofmännischer Stil von damals sein, aber der Pater de los Santos fand es passend, die Stelle mit dem Takt des ge- sunden Menschenverstands zu vereinfachen 1). Hofkaplan und Maler scheinen hier ihre Rollen vertauscht zu haben: jener schreibt schlicht und sachlich, dieser im schwülstig-absurden Stil byzantinischer proskynesis. Wir werden noch eine zweite Stelle der Art kennen lernen. Gegenstand der Denkschrift war: das Inventar der 41 Ge- mälde und deren Aufstellung in den neuen Räumen. Aber wir erfahren weder vollständig noch deutlich, welches die 41 Gemälde waren. Im ersten und Haupttheil werden 24 Stücke besprochen, zum grössten Theil in der Reihenfolge der Geber, welche sie dem Könige verehrt hatten; dann wird die Anordnung derselben nachgeholt, im Zusammenhang mit den übrigen und einigen schon früher dort befindlichen; man sieht hier nicht immer, welches nun die neuen sind; fünf der kostbarsten, die noch nicht auf- gehängt waren, werden gar nicht angegeben. Betrachten wir nun den für uns allein interessanten Haupt- theil: die Beschreibungen. Die 24 Artikel von ungleicher Länge (3—25 Zeilen) bestehn aus knappen, ganz anschaulichen Skizzirun- gen der Composition, durchflochten mit noch kürzern Bemer- kungen über ihre Schönheit. Der Ton dieser Artikelchen ist lobend, ja begeistert, festlich. Kurze, bewegte Sätze, oft ohne copula. Die Terminologie, deren sich der Maler zur künst- lerischen Charakteristik bedient, ist mehr ästhetisch als künst- lerisch; sie giebt mehr den Eindruck, besonders den auf das an- 1) „Da sein königlicher Sinn überall da wo sein grosser Ahn in dieser er- staunlichen Schöpfung seiner Frömmigkeit ihm noch Platz frei gelassen, dessen Ausschmückung und Bereicherung sich zum Ziel setzte: so verschob er die Ab- stellung dieses Mangels keinen Augenblick.“

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/271>, abgerufen am 24.11.2024.