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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
erzbischöflichen Sekretär D. Sebastian de Herrera für die Ca-
pelle der Empfängniss in La Guardia.

Dort in Alcala malte er sieben grosse Altarbilder und zwei
für die Seitenwände der Capilla mayor. Da sieht man einen
Künstler, der sich alle Darstellungsmittel der Italiener nach
dem Recept der Caracci zu eigen gemacht hat. Die gelehrte
Zeichnung der römischen Schule verschmilzt mit den malerischen
Effekten der Norditaliener, dem starken Helldunkel und den
kühnen Verkürzungen Tintoretto's, der Pracht der Farben
und Kostüme Paolo's. Sein jugendlich schöner S. Sebastian,
sein gewaltiger gekreuzigter Petrus ragen unter vielen Akten
ähnlicher Art hervor. Sein heil. Laurentius, seine Asunta sind
voll von Studien nach Tizian. Abwechslung in der Erfin-
dung, Lebhaftigkeit der Erzählung, starke Bewegungsmotive
(das springende Pferd mehrmals) geben diesen Gemälden Inter-
esse. Vor allem bediente er sich mit Glück des Helldunkels zur
Markirung der Pläne, zur Hervordrängung oder Zurückschie-
bung seiner Hauptfiguren; endlich zu Nachtstücken und Glorien,
die ein wolberechnetes Oberlicht auf die Gruppen unten senden.

Der Erfolg dieses Werkes mag Philipp IV bestimmt haben,
ihn zum Hofmaler zu ernennen (am 4. Juni 1625), zunächst ohne
Gehalt. Denn er wollte die Saläre der Hofmaler in Zukunft
eingehen lassen und nur ihre Arbeiten einzeln bezahlen. Aber
im Jahre 1631 schuldete ihm der Hof bereits 22,536 Realen!
Dem König war seine Bildererfahrung willkommen für die Be-
stimmung der ihm von Italien geschickten Gemälde.

Der dritte und bedeutendste unter den "Malern des Königs"
(seit 1609) war Vicencio Carducho, ein geborener Florentiner,
dessen Bruder Bartolome dem Zuccaro an der Kuppel des
florentiner Doms geholfen hatte. Dieser war der Erzieher und
Lehrer Vicencio's. Seine wenigen hinterlassenen Gemälde (z. B.
das Abendmahl und die Kreuzabnahme im Museum) sind von
allen Werken dieser Escorialmaler die reinsten und gewissen-
haftesten, sie zeigen in der Farbe noch den Geschmack der
Schule des Andrea del Sarto. Man nannte Vicencio den Uni-
versalerben seiner Kunst: die Wahrheit ist, dass der Bruder
ungleich höher steht, so verschwindend die Zahl seiner Werke
ist neben denen des Jüngeren.

Vicencio hatte ganz die Constitution der grossen italieni-
schen Praktiker, ihre Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit,
ihre erstaunliche Arbeitskraft. Seine Bilder sind, was Zahl und

Zweites Buch.
erzbischöflichen Sekretär D. Sebastian de Herrera für die Ca-
pelle der Empfängniss in La Guardia.

Dort in Alcalá malte er sieben grosse Altarbilder und zwei
für die Seitenwände der Capilla mayor. Da sieht man einen
Künstler, der sich alle Darstellungsmittel der Italiener nach
dem Recept der Caracci zu eigen gemacht hat. Die gelehrte
Zeichnung der römischen Schule verschmilzt mit den malerischen
Effekten der Norditaliener, dem starken Helldunkel und den
kühnen Verkürzungen Tintoretto’s, der Pracht der Farben
und Kostüme Paolo’s. Sein jugendlich schöner S. Sebastian,
sein gewaltiger gekreuzigter Petrus ragen unter vielen Akten
ähnlicher Art hervor. Sein heil. Laurentius, seine Asunta sind
voll von Studien nach Tizian. Abwechslung in der Erfin-
dung, Lebhaftigkeit der Erzählung, starke Bewegungsmotive
(das springende Pferd mehrmals) geben diesen Gemälden Inter-
esse. Vor allem bediente er sich mit Glück des Helldunkels zur
Markirung der Pläne, zur Hervordrängung oder Zurückschie-
bung seiner Hauptfiguren; endlich zu Nachtstücken und Glorien,
die ein wolberechnetes Oberlicht auf die Gruppen unten senden.

Der Erfolg dieses Werkes mag Philipp IV bestimmt haben,
ihn zum Hofmaler zu ernennen (am 4. Juni 1625), zunächst ohne
Gehalt. Denn er wollte die Saläre der Hofmaler in Zukunft
eingehen lassen und nur ihre Arbeiten einzeln bezahlen. Aber
im Jahre 1631 schuldete ihm der Hof bereits 22,536 Realen!
Dem König war seine Bildererfahrung willkommen für die Be-
stimmung der ihm von Italien geschickten Gemälde.

Der dritte und bedeutendste unter den „Malern des Königs“
(seit 1609) war Vicencio Carducho, ein geborener Florentiner,
dessen Bruder Bartolomé dem Zuccaro an der Kuppel des
florentiner Doms geholfen hatte. Dieser war der Erzieher und
Lehrer Vicencio’s. Seine wenigen hinterlassenen Gemälde (z. B.
das Abendmahl und die Kreuzabnahme im Museum) sind von
allen Werken dieser Escorialmaler die reinsten und gewissen-
haftesten, sie zeigen in der Farbe noch den Geschmack der
Schule des Andrea del Sarto. Man nannte Vicencio den Uni-
versalerben seiner Kunst: die Wahrheit ist, dass der Bruder
ungleich höher steht, so verschwindend die Zahl seiner Werke
ist neben denen des Jüngeren.

Vicencio hatte ganz die Constitution der grossen italieni-
schen Praktiker, ihre Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit,
ihre erstaunliche Arbeitskraft. Seine Bilder sind, was Zahl und

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[220/0242] Zweites Buch. erzbischöflichen Sekretär D. Sebastian de Herrera für die Ca- pelle der Empfängniss in La Guardia. Dort in Alcalá malte er sieben grosse Altarbilder und zwei für die Seitenwände der Capilla mayor. Da sieht man einen Künstler, der sich alle Darstellungsmittel der Italiener nach dem Recept der Caracci zu eigen gemacht hat. Die gelehrte Zeichnung der römischen Schule verschmilzt mit den malerischen Effekten der Norditaliener, dem starken Helldunkel und den kühnen Verkürzungen Tintoretto’s, der Pracht der Farben und Kostüme Paolo’s. Sein jugendlich schöner S. Sebastian, sein gewaltiger gekreuzigter Petrus ragen unter vielen Akten ähnlicher Art hervor. Sein heil. Laurentius, seine Asunta sind voll von Studien nach Tizian. Abwechslung in der Erfin- dung, Lebhaftigkeit der Erzählung, starke Bewegungsmotive (das springende Pferd mehrmals) geben diesen Gemälden Inter- esse. Vor allem bediente er sich mit Glück des Helldunkels zur Markirung der Pläne, zur Hervordrängung oder Zurückschie- bung seiner Hauptfiguren; endlich zu Nachtstücken und Glorien, die ein wolberechnetes Oberlicht auf die Gruppen unten senden. Der Erfolg dieses Werkes mag Philipp IV bestimmt haben, ihn zum Hofmaler zu ernennen (am 4. Juni 1625), zunächst ohne Gehalt. Denn er wollte die Saläre der Hofmaler in Zukunft eingehen lassen und nur ihre Arbeiten einzeln bezahlen. Aber im Jahre 1631 schuldete ihm der Hof bereits 22,536 Realen! Dem König war seine Bildererfahrung willkommen für die Be- stimmung der ihm von Italien geschickten Gemälde. Der dritte und bedeutendste unter den „Malern des Königs“ (seit 1609) war Vicencio Carducho, ein geborener Florentiner, dessen Bruder Bartolomé dem Zuccaro an der Kuppel des florentiner Doms geholfen hatte. Dieser war der Erzieher und Lehrer Vicencio’s. Seine wenigen hinterlassenen Gemälde (z. B. das Abendmahl und die Kreuzabnahme im Museum) sind von allen Werken dieser Escorialmaler die reinsten und gewissen- haftesten, sie zeigen in der Farbe noch den Geschmack der Schule des Andrea del Sarto. Man nannte Vicencio den Uni- versalerben seiner Kunst: die Wahrheit ist, dass der Bruder ungleich höher steht, so verschwindend die Zahl seiner Werke ist neben denen des Jüngeren. Vicencio hatte ganz die Constitution der grossen italieni- schen Praktiker, ihre Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit, ihre erstaunliche Arbeitskraft. Seine Bilder sind, was Zahl und

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/242>, abgerufen am 22.11.2024.