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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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riss: die überaus starke Zwischenwand, welche die beiden Folgen
von Gemächern im südlichen Flügel trennte, war die alte Aussen-
mauer. An der Kante des mächtigen, viereckigen, südwestlichen
Pavillons, des Thurms Philipp II, sieht man noch den alten
runden Eckthurm hervorragen, jetzt zurückgeschoben in die
Flucht der Westseite. Die Gemächer, welche in diesem neuen
Theil angelegt wurden, sind die grossen Prachtsäle, aposentos prin-
cipales
, wie sie Philipp II nannte, von denen bei der Aufstellung
der Gemälde so oft die Rede ist: der Südsaal oder Saal der
Königin über dem Garten der Kaiser, der "Neue" oder Spiegel-
saal über dem Hauptthor; der zuletzt erbaute achteckige oder
Kuppelsaal (Sala ochavada), die Tribuna.

Während dem von Westen der Hauptstadt sich Nähernden,
über dem steilen, wüsten, von Regenströmen zerrissenen Abhang
nach dem Mansanares und dem Park hin eine thurmreiche,
trotzige, mittelalterliche Bastille entgegenragte, sah der von der
Stadt aus, durch die Calle mayor über den Palastplatz (jetzt
plaza de armas) Kommende die vornehme, ganz regelmässige
Facade eines Cinquecento-Palastes, wie er passte für das Für-
stenhaus einer loyalen Residenz. Nur wenige Hellebardiere fand
man am Thor, denn der spanische König ist hinreichend geschützt
durch sein treues Volk. Jener grosse freie Platz war das Werk
Philipp II. Er hatte den bis dahin von engen Gassen, Privat-
gärten und zwei Kirchen eingeschlossenen Alcazar freigelegt.
Die Kirche S. Gil war anderswohin verpflanzt worden; S. Mi-
guel de la Sagra erstand neu in der Palastkapelle. Diesen Pa-
lastplatz begrenzten nach Süden die Marställe; der einzige von den
Bauten Philipp II noch übrige Rest, die heutige Rüstkammer
(Armeria) gehörte zu diesen Cavallerizas.

Diese moderne Front war aus weissen Hausteinen aufge-
führt, und von zwei mächtigen, viereckigen und vierstöckigen
Pavillons aus Ziegelsteinen flankirt, deren westlicher von dem
genannten König, der östliche (la Torre de la Reina) erst
zur Zeit der Minderjährigkeit Carl II aufgeführt wurde. Ein
breites, dreifenstriges Portalstück mit Giebel im Herrerastil
theilte die Facade in zwei zwölffenstrige Hälften. Ueber dem
Erdgeschoss mit kahlen Mauern und starkvergitterten Fenstern er-
hoben sich zwei Stockwerke, das obere das höhere, beide reich ge-
schmückt mit Pilastern, Fensterverkleidungen und -Verdachungen
von weissem Marmor, nebst vergoldeten Balkons, das Werk Phi-
lipp III? Da man indess von Räumlichkeiten eines zweiten, über

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riss: die überaus starke Zwischenwand, welche die beiden Folgen
von Gemächern im südlichen Flügel trennte, war die alte Aussen-
mauer. An der Kante des mächtigen, viereckigen, südwestlichen
Pavillons, des Thurms Philipp II, sieht man noch den alten
runden Eckthurm hervorragen, jetzt zurückgeschoben in die
Flucht der Westseite. Die Gemächer, welche in diesem neuen
Theil angelegt wurden, sind die grossen Prachtsäle, aposentos prin-
cipales
, wie sie Philipp II nannte, von denen bei der Aufstellung
der Gemälde so oft die Rede ist: der Südsaal oder Saal der
Königin über dem Garten der Kaiser, der „Neue“ oder Spiegel-
saal über dem Hauptthor; der zuletzt erbaute achteckige oder
Kuppelsaal (Sala ochavada), die Tribuna.

Während dem von Westen der Hauptstadt sich Nähernden,
über dem steilen, wüsten, von Regenströmen zerrissenen Abhang
nach dem Mansanares und dem Park hin eine thurmreiche,
trotzige, mittelalterliche Bastille entgegenragte, sah der von der
Stadt aus, durch die Calle mayor über den Palastplatz (jetzt
plaza de armas) Kommende die vornehme, ganz regelmässige
Façade eines Cinquecento-Palastes, wie er passte für das Für-
stenhaus einer loyalen Residenz. Nur wenige Hellebardiere fand
man am Thor, denn der spanische König ist hinreichend geschützt
durch sein treues Volk. Jener grosse freie Platz war das Werk
Philipp II. Er hatte den bis dahin von engen Gassen, Privat-
gärten und zwei Kirchen eingeschlossenen Alcazar freigelegt.
Die Kirche S. Gil war anderswohin verpflanzt worden; S. Mi-
guel de la Sagra erstand neu in der Palastkapelle. Diesen Pa-
lastplatz begrenzten nach Süden die Marställe; der einzige von den
Bauten Philipp II noch übrige Rest, die heutige Rüstkammer
(Armeria) gehörte zu diesen Cavallerizas.

Diese moderne Front war aus weissen Hausteinen aufge-
führt, und von zwei mächtigen, viereckigen und vierstöckigen
Pavillons aus Ziegelsteinen flankirt, deren westlicher von dem
genannten König, der östliche (la Torre de la Reina) erst
zur Zeit der Minderjährigkeit Carl II aufgeführt wurde. Ein
breites, dreifenstriges Portalstück mit Giebel im Herrerastil
theilte die Façade in zwei zwölffenstrige Hälften. Ueber dem
Erdgeschoss mit kahlen Mauern und starkvergitterten Fenstern er-
hoben sich zwei Stockwerke, das obere das höhere, beide reich ge-
schmückt mit Pilastern, Fensterverkleidungen und -Verdachungen
von weissem Marmor, nebst vergoldeten Balkons, das Werk Phi-
lipp III? Da man indess von Räumlichkeiten eines zweiten, über

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[182/0202] Zweites Buch. riss: die überaus starke Zwischenwand, welche die beiden Folgen von Gemächern im südlichen Flügel trennte, war die alte Aussen- mauer. An der Kante des mächtigen, viereckigen, südwestlichen Pavillons, des Thurms Philipp II, sieht man noch den alten runden Eckthurm hervorragen, jetzt zurückgeschoben in die Flucht der Westseite. Die Gemächer, welche in diesem neuen Theil angelegt wurden, sind die grossen Prachtsäle, aposentos prin- cipales, wie sie Philipp II nannte, von denen bei der Aufstellung der Gemälde so oft die Rede ist: der Südsaal oder Saal der Königin über dem Garten der Kaiser, der „Neue“ oder Spiegel- saal über dem Hauptthor; der zuletzt erbaute achteckige oder Kuppelsaal (Sala ochavada), die Tribuna. Während dem von Westen der Hauptstadt sich Nähernden, über dem steilen, wüsten, von Regenströmen zerrissenen Abhang nach dem Mansanares und dem Park hin eine thurmreiche, trotzige, mittelalterliche Bastille entgegenragte, sah der von der Stadt aus, durch die Calle mayor über den Palastplatz (jetzt plaza de armas) Kommende die vornehme, ganz regelmässige Façade eines Cinquecento-Palastes, wie er passte für das Für- stenhaus einer loyalen Residenz. Nur wenige Hellebardiere fand man am Thor, denn der spanische König ist hinreichend geschützt durch sein treues Volk. Jener grosse freie Platz war das Werk Philipp II. Er hatte den bis dahin von engen Gassen, Privat- gärten und zwei Kirchen eingeschlossenen Alcazar freigelegt. Die Kirche S. Gil war anderswohin verpflanzt worden; S. Mi- guel de la Sagra erstand neu in der Palastkapelle. Diesen Pa- lastplatz begrenzten nach Süden die Marställe; der einzige von den Bauten Philipp II noch übrige Rest, die heutige Rüstkammer (Armeria) gehörte zu diesen Cavallerizas. Diese moderne Front war aus weissen Hausteinen aufge- führt, und von zwei mächtigen, viereckigen und vierstöckigen Pavillons aus Ziegelsteinen flankirt, deren westlicher von dem genannten König, der östliche (la Torre de la Reina) erst zur Zeit der Minderjährigkeit Carl II aufgeführt wurde. Ein breites, dreifenstriges Portalstück mit Giebel im Herrerastil theilte die Façade in zwei zwölffenstrige Hälften. Ueber dem Erdgeschoss mit kahlen Mauern und starkvergitterten Fenstern er- hoben sich zwei Stockwerke, das obere das höhere, beide reich ge- schmückt mit Pilastern, Fensterverkleidungen und -Verdachungen von weissem Marmor, nebst vergoldeten Balkons, das Werk Phi- lipp III? Da man indess von Räumlichkeiten eines zweiten, über

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/202>, abgerufen am 24.11.2024.