der Zucht entsetzlich schädliche Wirkung gethan, bei mir aber -- man glaube es auf mein Wort -- war es eine unumgänglich nöthige Erziehungsmethode; denn meine leichtsinnige Sinnlich- keit ging in unbewachten Augenblicken unglaublich weit; Nie- mand, als Gott und ich, weiß es, welche entsetzliche Gedanken, Wünsche und Begierden in meiner Seele geweckt wurden; es war, als ob eine mächtige feindselige Kraft unschuldige, nichts Böses wollende Menschen aufgereizt hätte, mich in die giftigen Versuchungen und Gefahren für meinen sittlichen Charakter zu stürzen, allein es gelang nie; nicht mein religiöser Grundtrieb, nicht meine Grundsätze -- denn wo hat ein Kind Grundsätze? sondern blos meines Vaters strenge Zucht und Gottes gnädige Bewahrung sind die Ursache, daß ich nicht hundert- und tau- sendmal in den Abgrund des Verderbens gestürzt bin.
Eben dieß in mir liegende große, meinem religiösen Grund- trieb ganz entgegenwirkende Verderben ist die Ursache, warum mein himmlischer Führer mich über sechzig Jahre lang in der Schule der Leiden üben mußte, ehe Er mich brauchen konnte; und man wird im Verfolg immer finden, daß alle Leiden da- hin abzielten, Leichtsinn und Sinnlichkeit zu tödten und mit der Wurzel auszurotten.
Jetzt kommt es nun darauf an, zu untersuchen, ob ich denn wirklich ein großer Mann, ein großer Geist, oder ein groß Genie bin? -- das ist: ob ich mich mit Macht durch eigene Kräfte und Anlagen dahin gebracht habe, dem von Gott mir geschenkten Grundtrieb, für Christenthum, seine Religion und sein Reich, ins Große und Ganze zu wirken, nun- mehr Folge leisten zu können?
Was mein Vater aus mir machen wollte, war: ein guter Schulmeister und nebenher ein Schneider, und den Zweck er- reichte er auch in so fern, daß ich Schulmeister und Schneider wurde; ich aber hatte keinen höhern Wunsch, als Prediger zu werden. -- Diese Wirkung brachte also mein religiöser Grund- trieb hervor -- ich wollte Theologie studiren; das hätte mein Vater zwar auch gern gesehen, aber es war durchaus nicht mög- lich, sein ganzes Vermögen reichte nicht hin, mich nur zwei
der Zucht entſetzlich ſchaͤdliche Wirkung gethan, bei mir aber — man glaube es auf mein Wort — war es eine unumgaͤnglich noͤthige Erziehungsmethode; denn meine leichtſinnige Sinnlich- keit ging in unbewachten Augenblicken unglaublich weit; Nie- mand, als Gott und ich, weiß es, welche entſetzliche Gedanken, Wuͤnſche und Begierden in meiner Seele geweckt wurden; es war, als ob eine maͤchtige feindſelige Kraft unſchuldige, nichts Boͤſes wollende Menſchen aufgereizt haͤtte, mich in die giftigen Verſuchungen und Gefahren fuͤr meinen ſittlichen Charakter zu ſtuͤrzen, allein es gelang nie; nicht mein religioͤſer Grundtrieb, nicht meine Grundſaͤtze — denn wo hat ein Kind Grundſaͤtze? ſondern blos meines Vaters ſtrenge Zucht und Gottes gnaͤdige Bewahrung ſind die Urſache, daß ich nicht hundert- und tau- ſendmal in den Abgrund des Verderbens geſtuͤrzt bin.
Eben dieß in mir liegende große, meinem religioͤſen Grund- trieb ganz entgegenwirkende Verderben iſt die Urſache, warum mein himmliſcher Fuͤhrer mich uͤber ſechzig Jahre lang in der Schule der Leiden uͤben mußte, ehe Er mich brauchen konnte; und man wird im Verfolg immer finden, daß alle Leiden da- hin abzielten, Leichtſinn und Sinnlichkeit zu toͤdten und mit der Wurzel auszurotten.
Jetzt kommt es nun darauf an, zu unterſuchen, ob ich denn wirklich ein großer Mann, ein großer Geiſt, oder ein groß Genie bin? — das iſt: ob ich mich mit Macht durch eigene Kraͤfte und Anlagen dahin gebracht habe, dem von Gott mir geſchenkten Grundtrieb, fuͤr Chriſtenthum, ſeine Religion und ſein Reich, ins Große und Ganze zu wirken, nun- mehr Folge leiſten zu koͤnnen?
Was mein Vater aus mir machen wollte, war: ein guter Schulmeiſter und nebenher ein Schneider, und den Zweck er- reichte er auch in ſo fern, daß ich Schulmeiſter und Schneider wurde; ich aber hatte keinen hoͤhern Wunſch, als Prediger zu werden. — Dieſe Wirkung brachte alſo mein religioͤſer Grund- trieb hervor — ich wollte Theologie ſtudiren; das haͤtte mein Vater zwar auch gern geſehen, aber es war durchaus nicht moͤg- lich, ſein ganzes Vermoͤgen reichte nicht hin, mich nur zwei
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der Zucht entſetzlich ſchaͤdliche Wirkung gethan, bei mir aber —
man glaube es auf mein Wort — war es eine unumgaͤnglich
noͤthige Erziehungsmethode; denn meine leichtſinnige Sinnlich-
keit ging in unbewachten Augenblicken unglaublich weit; Nie-
mand, als Gott und ich, weiß es, welche entſetzliche Gedanken,
Wuͤnſche und Begierden in meiner Seele geweckt wurden; es
war, als ob eine maͤchtige feindſelige Kraft unſchuldige, nichts
Boͤſes wollende Menſchen aufgereizt haͤtte, mich in die giftigen
Verſuchungen und Gefahren fuͤr meinen ſittlichen Charakter zu
ſtuͤrzen, allein es gelang nie; nicht mein religioͤſer Grundtrieb,
nicht meine Grundſaͤtze — denn wo hat ein Kind Grundſaͤtze?
ſondern blos meines Vaters ſtrenge Zucht und Gottes gnaͤdige
Bewahrung ſind die Urſache, daß ich nicht hundert- und tau-
ſendmal in den Abgrund des Verderbens geſtuͤrzt bin.
Eben dieß in mir liegende große, meinem religioͤſen Grund-
trieb ganz entgegenwirkende Verderben iſt die Urſache, warum
mein himmliſcher Fuͤhrer mich uͤber ſechzig Jahre lang in der
Schule der Leiden uͤben mußte, ehe Er mich brauchen konnte;
und man wird im Verfolg immer finden, daß alle Leiden da-
hin abzielten, Leichtſinn und Sinnlichkeit zu toͤdten und mit der
Wurzel auszurotten.
Jetzt kommt es nun darauf an, zu unterſuchen, ob ich denn
wirklich ein großer Mann, ein großer Geiſt, oder
ein groß Genie bin? — das iſt: ob ich mich mit
Macht durch eigene Kraͤfte und Anlagen dahin
gebracht habe, dem von Gott mir geſchenkten
Grundtrieb, fuͤr Chriſtenthum, ſeine Religion und
ſein Reich, ins Große und Ganze zu wirken, nun-
mehr Folge leiſten zu koͤnnen?
Was mein Vater aus mir machen wollte, war: ein guter
Schulmeiſter und nebenher ein Schneider, und den Zweck er-
reichte er auch in ſo fern, daß ich Schulmeiſter und Schneider
wurde; ich aber hatte keinen hoͤhern Wunſch, als Prediger zu
werden. — Dieſe Wirkung brachte alſo mein religioͤſer Grund-
trieb hervor — ich wollte Theologie ſtudiren; das haͤtte mein
Vater zwar auch gern geſehen, aber es war durchaus nicht moͤg-
lich, ſein ganzes Vermoͤgen reichte nicht hin, mich nur zwei
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/597>, abgerufen am 25.11.2024.
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