diesen Grundtrieb gesucht und gewollt hätte, das wird nun wohl Niemand einfallen -- daß ihn mein Vater zum Zweck gehabt habe, ist lächerlich, der wollte erstlich einen christlichen frommen Menschen, und dann einen tüchtigen Schulmeister aus mir ma- chen; und da dieser Beruf in meinem Vaterlande keinen Haus- vater mit Frau und Kindern ernährt, so sollte ich sein Hand- werk dazu lernen, um dann ehrlich durch die Welt kommen zu können. Daß er mir solche Geschichten zum lesen gab geschah deßwegen, weil doch Kinder etwas Unterhaltendes haben müssen, und dann sollte es mir Lust machen, ein wahrer Christ zu wer- den. Daß aber jener Grundtrieb daraus entstand, das war die Absicht nicht eines blinden Ohngefährs, nicht meines Va- ters, nicht die meinige, sondern des großen Weltregenten, der mich dereinst brauchen wollte.
Ich setze also fest, daß Gott nicht durch natür- liche Anlagen, sondern durch seine weise Leitung und Regierung ganz allein jenen Grundtrieb, ins Große und Ganze für Jesum Christum und sein Reich zu leben und zu wirken, meinem Wesen ein- gegeistert, und zur eigenthümlichen Eigenschaft gemacht habe.
Da aber nun mein natürlicher Grundtrieb: ins Große und Ganze gehender höchstleichtsinniger Genuß physischer und geistiger sinnlicher Vergnügen, je- nem mir eingeimpften Grundtrieb schnurgerade zuwider wirkte, so fing mein himmlischer Führer schon früh an, diesen beschwer- lichen Feind zu bekämpfen: das Werkzeug dazu war ebenfalls mein Vater, aber wiederum ohne es nur von Ferne zu ahnen: denn er wußte meinen natürlichen Grundtrieb ganz und gar nicht, sonst hätte er ganz gewiß Klippen vermieden, an denen ich un- vermeidlich hätte scheitern müssen, wenn mich Gottes Vater- hand nicht leicht hinüber geführt hätte. Von dem Allem ahnete aber mein Vater nichts -- bloß aus dem mystischen Grundsatz der Abtödtung des Fleisches, wurde ich fast täglich mit der Ruthe gehauen -- Ja ich weiß ganz gewiß, daß er mich manchmal bloß deßwegen gezüchtiget hat, um seine Liebe zu mir zu kreu- zigen und zu verläugnen. Bei jedem Andern hätte diese Art
dieſen Grundtrieb geſucht und gewollt haͤtte, das wird nun wohl Niemand einfallen — daß ihn mein Vater zum Zweck gehabt habe, iſt laͤcherlich, der wollte erſtlich einen chriſtlichen frommen Menſchen, und dann einen tuͤchtigen Schulmeiſter aus mir ma- chen; und da dieſer Beruf in meinem Vaterlande keinen Haus- vater mit Frau und Kindern ernaͤhrt, ſo ſollte ich ſein Hand- werk dazu lernen, um dann ehrlich durch die Welt kommen zu koͤnnen. Daß er mir ſolche Geſchichten zum leſen gab geſchah deßwegen, weil doch Kinder etwas Unterhaltendes haben muͤſſen, und dann ſollte es mir Luſt machen, ein wahrer Chriſt zu wer- den. Daß aber jener Grundtrieb daraus entſtand, das war die Abſicht nicht eines blinden Ohngefaͤhrs, nicht meines Va- ters, nicht die meinige, ſondern des großen Weltregenten, der mich dereinſt brauchen wollte.
Ich ſetze alſo feſt, daß Gott nicht durch natuͤr- liche Anlagen, ſondern durch ſeine weiſe Leitung und Regierung ganz allein jenen Grundtrieb, ins Große und Ganze fuͤr Jeſum Chriſtum und ſein Reich zu leben und zu wirken, meinem Weſen ein- gegeiſtert, und zur eigenthuͤmlichen Eigenſchaft gemacht habe.
Da aber nun mein natuͤrlicher Grundtrieb: ins Große und Ganze gehender hoͤchſtleichtſinniger Genuß phyſiſcher und geiſtiger ſinnlicher Vergnuͤgen, je- nem mir eingeimpften Grundtrieb ſchnurgerade zuwider wirkte, ſo fing mein himmliſcher Fuͤhrer ſchon fruͤh an, dieſen beſchwer- lichen Feind zu bekaͤmpfen: das Werkzeug dazu war ebenfalls mein Vater, aber wiederum ohne es nur von Ferne zu ahnen: denn er wußte meinen natuͤrlichen Grundtrieb ganz und gar nicht, ſonſt haͤtte er ganz gewiß Klippen vermieden, an denen ich un- vermeidlich haͤtte ſcheitern muͤſſen, wenn mich Gottes Vater- hand nicht leicht hinuͤber gefuͤhrt haͤtte. Von dem Allem ahnete aber mein Vater nichts — bloß aus dem myſtiſchen Grundſatz der Abtoͤdtung des Fleiſches, wurde ich faſt taͤglich mit der Ruthe gehauen — Ja ich weiß ganz gewiß, daß er mich manchmal bloß deßwegen gezuͤchtiget hat, um ſeine Liebe zu mir zu kreu- zigen und zu verlaͤugnen. Bei jedem Andern haͤtte dieſe Art
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0596"n="588"/>
dieſen Grundtrieb geſucht und gewollt haͤtte, das wird nun wohl<lb/>
Niemand einfallen — daß ihn mein Vater zum Zweck gehabt<lb/>
habe, iſt laͤcherlich, der wollte erſtlich einen chriſtlichen frommen<lb/>
Menſchen, und dann einen tuͤchtigen Schulmeiſter aus mir ma-<lb/>
chen; und da dieſer Beruf in meinem Vaterlande keinen Haus-<lb/>
vater mit Frau und Kindern ernaͤhrt, ſo ſollte ich ſein Hand-<lb/>
werk dazu lernen, um dann ehrlich durch die Welt kommen zu<lb/>
koͤnnen. Daß er mir ſolche Geſchichten zum leſen gab geſchah<lb/>
deßwegen, weil doch Kinder etwas Unterhaltendes haben muͤſſen,<lb/>
und dann ſollte es mir Luſt machen, ein wahrer Chriſt zu wer-<lb/>
den. Daß aber jener Grundtrieb daraus entſtand, das war<lb/>
die Abſicht nicht eines blinden Ohngefaͤhrs, nicht meines Va-<lb/>
ters, nicht die meinige, ſondern des großen Weltregenten, der<lb/>
mich dereinſt brauchen wollte.</p><lb/><p><hirendition="#g">Ich ſetze alſo feſt, daß Gott nicht durch natuͤr-<lb/>
liche Anlagen, ſondern durch ſeine weiſe Leitung<lb/>
und Regierung ganz allein jenen Grundtrieb, ins<lb/>
Große und Ganze fuͤr Jeſum Chriſtum und ſein<lb/>
Reich zu leben und zu wirken, meinem Weſen ein-<lb/>
gegeiſtert, und zur eigenthuͤmlichen Eigenſchaft<lb/>
gemacht habe</hi>.</p><lb/><p>Da aber nun mein natuͤrlicher Grundtrieb: <hirendition="#g">ins Große<lb/>
und Ganze gehender hoͤchſtleichtſinniger Genuß<lb/>
phyſiſcher und geiſtiger ſinnlicher Vergnuͤgen</hi>, je-<lb/>
nem mir eingeimpften Grundtrieb ſchnurgerade zuwider wirkte,<lb/>ſo fing mein himmliſcher Fuͤhrer ſchon fruͤh an, dieſen beſchwer-<lb/>
lichen Feind zu bekaͤmpfen: das Werkzeug dazu war ebenfalls<lb/>
mein Vater, aber wiederum ohne es nur von Ferne zu ahnen:<lb/>
denn er wußte meinen natuͤrlichen Grundtrieb ganz und gar nicht,<lb/>ſonſt haͤtte er ganz gewiß Klippen vermieden, an denen ich un-<lb/>
vermeidlich haͤtte ſcheitern muͤſſen, wenn mich Gottes Vater-<lb/>
hand nicht leicht hinuͤber gefuͤhrt haͤtte. Von dem Allem ahnete<lb/>
aber mein Vater nichts — bloß aus dem myſtiſchen Grundſatz<lb/>
der Abtoͤdtung des Fleiſches, wurde ich faſt taͤglich mit der Ruthe<lb/>
gehauen — Ja ich weiß ganz gewiß, daß er mich manchmal<lb/>
bloß deßwegen gezuͤchtiget hat, um ſeine Liebe zu mir zu kreu-<lb/>
zigen und zu verlaͤugnen. Bei jedem Andern haͤtte dieſe Art<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[588/0596]
dieſen Grundtrieb geſucht und gewollt haͤtte, das wird nun wohl
Niemand einfallen — daß ihn mein Vater zum Zweck gehabt
habe, iſt laͤcherlich, der wollte erſtlich einen chriſtlichen frommen
Menſchen, und dann einen tuͤchtigen Schulmeiſter aus mir ma-
chen; und da dieſer Beruf in meinem Vaterlande keinen Haus-
vater mit Frau und Kindern ernaͤhrt, ſo ſollte ich ſein Hand-
werk dazu lernen, um dann ehrlich durch die Welt kommen zu
koͤnnen. Daß er mir ſolche Geſchichten zum leſen gab geſchah
deßwegen, weil doch Kinder etwas Unterhaltendes haben muͤſſen,
und dann ſollte es mir Luſt machen, ein wahrer Chriſt zu wer-
den. Daß aber jener Grundtrieb daraus entſtand, das war
die Abſicht nicht eines blinden Ohngefaͤhrs, nicht meines Va-
ters, nicht die meinige, ſondern des großen Weltregenten, der
mich dereinſt brauchen wollte.
Ich ſetze alſo feſt, daß Gott nicht durch natuͤr-
liche Anlagen, ſondern durch ſeine weiſe Leitung
und Regierung ganz allein jenen Grundtrieb, ins
Große und Ganze fuͤr Jeſum Chriſtum und ſein
Reich zu leben und zu wirken, meinem Weſen ein-
gegeiſtert, und zur eigenthuͤmlichen Eigenſchaft
gemacht habe.
Da aber nun mein natuͤrlicher Grundtrieb: ins Große
und Ganze gehender hoͤchſtleichtſinniger Genuß
phyſiſcher und geiſtiger ſinnlicher Vergnuͤgen, je-
nem mir eingeimpften Grundtrieb ſchnurgerade zuwider wirkte,
ſo fing mein himmliſcher Fuͤhrer ſchon fruͤh an, dieſen beſchwer-
lichen Feind zu bekaͤmpfen: das Werkzeug dazu war ebenfalls
mein Vater, aber wiederum ohne es nur von Ferne zu ahnen:
denn er wußte meinen natuͤrlichen Grundtrieb ganz und gar nicht,
ſonſt haͤtte er ganz gewiß Klippen vermieden, an denen ich un-
vermeidlich haͤtte ſcheitern muͤſſen, wenn mich Gottes Vater-
hand nicht leicht hinuͤber gefuͤhrt haͤtte. Von dem Allem ahnete
aber mein Vater nichts — bloß aus dem myſtiſchen Grundſatz
der Abtoͤdtung des Fleiſches, wurde ich faſt taͤglich mit der Ruthe
gehauen — Ja ich weiß ganz gewiß, daß er mich manchmal
bloß deßwegen gezuͤchtiget hat, um ſeine Liebe zu mir zu kreu-
zigen und zu verlaͤugnen. Bei jedem Andern haͤtte dieſe Art
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/596>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.