Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Anstößige; er konnte also unmöglich denken, daß eine so ortho-
doxe Schrift, welche Religiosität, die allgemeine Ruhe und Sicher-
heit, und die Erhaltung des Gehorsams und der Liebe der Unter-
thanen gegen ihre Regenten zum Zweck hat, Ursach zu diesem,
für die Universität so traurigen Gesetz gegeben habe; um aber
doch zur Gewißheit in dieser Sache zu kommen, schrieb er einen
sehr höflichen und herzlichen Brief an einen gewissen Herrn in
Kassel, dem er in seinem Leben kein Haar gekränkt hatte, und
erkundigte sich mit Bescheidenheit nach der Ursache des harten
Censurrescripts -- allein wie erschrack er, als er in einer ziem-
lich stachlichten, nicht liebevollen Antwort, die Nachricht bekam:
der graue Mann habe das Censurrescript veran-
laßt
-- nach und nach wurde dieß auch allgemein bekannt,
und nun kann sich Jeder leicht vorstellen, wie Stilling zu
Muthe seyn mußte, wenn er bedachte, daß er die Veranlassung
zu einer, für die Universität so schweren, Bürde gegeben habe;
jetzt war er nun auf Einmal mit Marburg und Hessen
fertig; -- Zeit und Weile wurden ihm zu lang, bis der Herr
sein Schicksal vollends entschied. Daß der Kurfürst von
Hessen an diesem Rescript durchaus unschuldig war, das
brauche ich wohl nicht zu erinnern. -- Wie kann ein großer
Herr alle Schriften lesen und prüfen? -- diese und noch viele
andere Sachen muß er sachkundigen Männern zur Entscheidung
überlassen. Ich berufe mich auf alle Leser des grauen Mannes,
und wenn mir einer eine einzige Stelle zeigen kann, die den
Reichscensurgesetzen entgegen ist, so will ich verloren haben.

Hätte man nun nicht Stillingen einen Wink geben sol-
len, er möchte doch den grauen Mann nicht schrei-
ben
? -- ihn aber der ganzen Universität, allen seinen Kolle-
gen zum Stein des Anstoßes zu machen, das war sehr hart
für einen Mann, der dem Fürsten und dem Staat sechzehen
Jahr lang mit aller Treue gedient hat.

Ja, wahrlich! jetzt war in Hessen Stillings Bleibens
nicht mehr, und wie gut war es, daß er nun gerade kurz vor-
her in Karlsruhe eine frohe Aussicht erhalten hatte. Er
erklärte öffentlich, und auch in seinem Votum, welches auf sein
Verlangen der Vorstellung der Universität an den Kurfürsten

Anſtoͤßige; er konnte alſo unmoͤglich denken, daß eine ſo ortho-
doxe Schrift, welche Religioſitaͤt, die allgemeine Ruhe und Sicher-
heit, und die Erhaltung des Gehorſams und der Liebe der Unter-
thanen gegen ihre Regenten zum Zweck hat, Urſach zu dieſem,
fuͤr die Univerſitaͤt ſo traurigen Geſetz gegeben habe; um aber
doch zur Gewißheit in dieſer Sache zu kommen, ſchrieb er einen
ſehr hoͤflichen und herzlichen Brief an einen gewiſſen Herrn in
Kaſſel, dem er in ſeinem Leben kein Haar gekraͤnkt hatte, und
erkundigte ſich mit Beſcheidenheit nach der Urſache des harten
Cenſurreſcripts — allein wie erſchrack er, als er in einer ziem-
lich ſtachlichten, nicht liebevollen Antwort, die Nachricht bekam:
der graue Mann habe das Cenſurreſcript veran-
laßt
— nach und nach wurde dieß auch allgemein bekannt,
und nun kann ſich Jeder leicht vorſtellen, wie Stilling zu
Muthe ſeyn mußte, wenn er bedachte, daß er die Veranlaſſung
zu einer, fuͤr die Univerſitaͤt ſo ſchweren, Buͤrde gegeben habe;
jetzt war er nun auf Einmal mit Marburg und Heſſen
fertig; — Zeit und Weile wurden ihm zu lang, bis der Herr
ſein Schickſal vollends entſchied. Daß der Kurfuͤrſt von
Heſſen an dieſem Reſcript durchaus unſchuldig war, das
brauche ich wohl nicht zu erinnern. — Wie kann ein großer
Herr alle Schriften leſen und pruͤfen? — dieſe und noch viele
andere Sachen muß er ſachkundigen Maͤnnern zur Entſcheidung
uͤberlaſſen. Ich berufe mich auf alle Leſer des grauen Mannes,
und wenn mir einer eine einzige Stelle zeigen kann, die den
Reichscenſurgeſetzen entgegen iſt, ſo will ich verloren haben.

Haͤtte man nun nicht Stillingen einen Wink geben ſol-
len, er moͤchte doch den grauen Mann nicht ſchrei-
ben
? — ihn aber der ganzen Univerſitaͤt, allen ſeinen Kolle-
gen zum Stein des Anſtoßes zu machen, das war ſehr hart
fuͤr einen Mann, der dem Fuͤrſten und dem Staat ſechzehen
Jahr lang mit aller Treue gedient hat.

Ja, wahrlich! jetzt war in Heſſen Stillings Bleibens
nicht mehr, und wie gut war es, daß er nun gerade kurz vor-
her in Karlsruhe eine frohe Ausſicht erhalten hatte. Er
erklaͤrte oͤffentlich, und auch in ſeinem Votum, welches auf ſein
Verlangen der Vorſtellung der Univerſitaͤt an den Kurfuͤrſten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0579" n="571"/>
An&#x017F;to&#x0364;ßige; er konnte al&#x017F;o unmo&#x0364;glich denken, daß eine &#x017F;o ortho-<lb/>
doxe Schrift, welche Religio&#x017F;ita&#x0364;t, die allgemeine Ruhe und Sicher-<lb/>
heit, und die Erhaltung des Gehor&#x017F;ams und der Liebe der Unter-<lb/>
thanen gegen ihre Regenten zum Zweck hat, Ur&#x017F;ach zu die&#x017F;em,<lb/>
fu&#x0364;r die Univer&#x017F;ita&#x0364;t &#x017F;o traurigen Ge&#x017F;etz gegeben habe; um aber<lb/>
doch zur Gewißheit in die&#x017F;er Sache zu kommen, &#x017F;chrieb er einen<lb/>
&#x017F;ehr ho&#x0364;flichen und herzlichen Brief an einen gewi&#x017F;&#x017F;en Herrn in<lb/><hi rendition="#g">Ka&#x017F;&#x017F;el</hi>, dem er in &#x017F;einem Leben kein Haar gekra&#x0364;nkt hatte, und<lb/>
erkundigte &#x017F;ich mit Be&#x017F;cheidenheit nach der Ur&#x017F;ache des harten<lb/>
Cen&#x017F;urre&#x017F;cripts &#x2014; allein wie er&#x017F;chrack er, als er in einer ziem-<lb/>
lich &#x017F;tachlichten, nicht liebevollen Antwort, die Nachricht bekam:<lb/><hi rendition="#g">der graue Mann habe das Cen&#x017F;urre&#x017F;cript veran-<lb/>
laßt</hi> &#x2014; nach und nach wurde dieß auch allgemein bekannt,<lb/>
und nun kann &#x017F;ich Jeder leicht vor&#x017F;tellen, wie <hi rendition="#g">Stilling</hi> zu<lb/>
Muthe &#x017F;eyn mußte, wenn er bedachte, daß <hi rendition="#g">er</hi> die Veranla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
zu einer, fu&#x0364;r die Univer&#x017F;ita&#x0364;t &#x017F;o &#x017F;chweren, Bu&#x0364;rde gegeben habe;<lb/>
jetzt war er nun auf Einmal mit <hi rendition="#g">Marburg</hi> und <hi rendition="#g">He&#x017F;&#x017F;en</hi><lb/>
fertig; &#x2014; Zeit und Weile wurden ihm zu lang, bis der Herr<lb/>
&#x017F;ein Schick&#x017F;al vollends ent&#x017F;chied. Daß der <hi rendition="#g">Kurfu&#x0364;r&#x017F;t</hi> von<lb/><hi rendition="#g">He&#x017F;&#x017F;en</hi> an die&#x017F;em Re&#x017F;cript durchaus un&#x017F;chuldig war, das<lb/>
brauche ich wohl nicht zu erinnern. &#x2014; Wie kann ein großer<lb/>
Herr alle Schriften le&#x017F;en und pru&#x0364;fen? &#x2014; die&#x017F;e und noch viele<lb/>
andere Sachen muß er &#x017F;achkundigen Ma&#x0364;nnern zur Ent&#x017F;cheidung<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Ich berufe mich auf alle Le&#x017F;er des grauen Mannes,<lb/>
und wenn mir einer eine einzige Stelle zeigen kann, die den<lb/>
Reichscen&#x017F;urge&#x017F;etzen entgegen i&#x017F;t, &#x017F;o will ich verloren haben.</p><lb/>
            <p>Ha&#x0364;tte man nun nicht <hi rendition="#g">Stillingen</hi> einen Wink geben &#x017F;ol-<lb/>
len, <hi rendition="#g">er mo&#x0364;chte doch den grauen Mann nicht &#x017F;chrei-<lb/>
ben</hi>? &#x2014; ihn aber der ganzen Univer&#x017F;ita&#x0364;t, allen &#x017F;einen Kolle-<lb/>
gen zum Stein des An&#x017F;toßes zu machen, <hi rendition="#g">das</hi> war &#x017F;ehr hart<lb/>
fu&#x0364;r einen Mann, der dem Fu&#x0364;r&#x017F;ten und dem Staat &#x017F;echzehen<lb/>
Jahr lang mit aller Treue gedient hat.</p><lb/>
            <p>Ja, wahrlich! jetzt war in <hi rendition="#g">He&#x017F;&#x017F;en Stillings</hi> Bleibens<lb/>
nicht mehr, und wie gut war es, daß er nun gerade kurz vor-<lb/>
her in <hi rendition="#g">Karlsruhe</hi> eine frohe Aus&#x017F;icht erhalten hatte. Er<lb/>
erkla&#x0364;rte o&#x0364;ffentlich, und auch in &#x017F;einem Votum, welches auf &#x017F;ein<lb/>
Verlangen der Vor&#x017F;tellung der Univer&#x017F;ita&#x0364;t an den Kurfu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[571/0579] Anſtoͤßige; er konnte alſo unmoͤglich denken, daß eine ſo ortho- doxe Schrift, welche Religioſitaͤt, die allgemeine Ruhe und Sicher- heit, und die Erhaltung des Gehorſams und der Liebe der Unter- thanen gegen ihre Regenten zum Zweck hat, Urſach zu dieſem, fuͤr die Univerſitaͤt ſo traurigen Geſetz gegeben habe; um aber doch zur Gewißheit in dieſer Sache zu kommen, ſchrieb er einen ſehr hoͤflichen und herzlichen Brief an einen gewiſſen Herrn in Kaſſel, dem er in ſeinem Leben kein Haar gekraͤnkt hatte, und erkundigte ſich mit Beſcheidenheit nach der Urſache des harten Cenſurreſcripts — allein wie erſchrack er, als er in einer ziem- lich ſtachlichten, nicht liebevollen Antwort, die Nachricht bekam: der graue Mann habe das Cenſurreſcript veran- laßt — nach und nach wurde dieß auch allgemein bekannt, und nun kann ſich Jeder leicht vorſtellen, wie Stilling zu Muthe ſeyn mußte, wenn er bedachte, daß er die Veranlaſſung zu einer, fuͤr die Univerſitaͤt ſo ſchweren, Buͤrde gegeben habe; jetzt war er nun auf Einmal mit Marburg und Heſſen fertig; — Zeit und Weile wurden ihm zu lang, bis der Herr ſein Schickſal vollends entſchied. Daß der Kurfuͤrſt von Heſſen an dieſem Reſcript durchaus unſchuldig war, das brauche ich wohl nicht zu erinnern. — Wie kann ein großer Herr alle Schriften leſen und pruͤfen? — dieſe und noch viele andere Sachen muß er ſachkundigen Maͤnnern zur Entſcheidung uͤberlaſſen. Ich berufe mich auf alle Leſer des grauen Mannes, und wenn mir einer eine einzige Stelle zeigen kann, die den Reichscenſurgeſetzen entgegen iſt, ſo will ich verloren haben. Haͤtte man nun nicht Stillingen einen Wink geben ſol- len, er moͤchte doch den grauen Mann nicht ſchrei- ben? — ihn aber der ganzen Univerſitaͤt, allen ſeinen Kolle- gen zum Stein des Anſtoßes zu machen, das war ſehr hart fuͤr einen Mann, der dem Fuͤrſten und dem Staat ſechzehen Jahr lang mit aller Treue gedient hat. Ja, wahrlich! jetzt war in Heſſen Stillings Bleibens nicht mehr, und wie gut war es, daß er nun gerade kurz vor- her in Karlsruhe eine frohe Ausſicht erhalten hatte. Er erklaͤrte oͤffentlich, und auch in ſeinem Votum, welches auf ſein Verlangen der Vorſtellung der Univerſitaͤt an den Kurfuͤrſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/579
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/579>, abgerufen am 24.06.2024.