Zu Burgdorf operirte Stilling noch einige Blinde, und dann reisten Beide wieder über Zofingen nach Zürich, Win- terthur und St. Gallen, wo sie bei dem frommen und gelehrten Antistes Stähelin logirten, und wiederum mit vie- len edlen Menschen das Band der Freundschaft knüpften. Hier operirte er nur Eine Person, diente aber mehreren Augenkranken.
Mittwochs den 27. Oktober fuhren sie durch das paradiesische Thurgau längs dem Bodensee nach Schaffhausen: unter- wegs zu Arbon wurde noch ein Mann vom Staar befreit. In Schaffhausen kehrten sie wieder im lieben Kirchhofer'schen Hause ein. Auch hier gabs wieder viel zu thun, aber auch Ge- müthsunruhe und Traurigkeit, denn Sonntags den 31. Oktober, des Nachmittags rückten schon die Franzosen da ein.
Montags den 1. November verließen sie die liebe Schweiz, und da ein blinder Kaufmann von Ebingen einen Expressen nach Schaffhausen geschickt hatte, so mußten sie einen be- trächtlichen Umweg über Mößkirch und die schwäbische Alp nehmen; von Ebingen wurden sie nach Balingen abgeholt, wo es auch viel zu thun gab, und von da fuhren sie dann nach Stuttgart, wo sie im Seckendorfischen Hause einen ge- segneten Aufenthalt hatten, und wo Stilling auch wieder vie- len Leidenden dienen konnte.
Hier fand er zu seiner großen Freude den Herrnhuter Uni- tätsältesten Goldmann, mit dem er in ein inniges Bruder- verhältniß kam.
Von Stuttgart mußten sie wieder einen großen und be- schwerlichen Umweg über den Schwarzwald nach Calw nehmen, wo Stilling den frommen Pfarrer Härlin von Neubulach, mit seiner lieben trefflichen Gattin und Tochter fand, die ihm alle drei schon durch Briefwechsel bekannt waren. Auch hier versammelte sich im Hause des christlichen Buchhalters Schill ein Kreis edler Menschen um die Reisenden her. Von hier fuhren sie nun Dienstags, den 9. November, nach Karlsruhe. Auf Verlangen der Frau Markgräfin hatte Stilling diesen Umweg wieder gemacht, weil sich dort noch Blinde fanden, die operirt werden mußten. Der Kurfürst wiederholte sein Versprechen, und Freitags den 12. November traten sie ihre Nachhausereise über
Zu Burgdorf operirte Stilling noch einige Blinde, und dann reisten Beide wieder uͤber Zofingen nach Zuͤrich, Win- terthur und St. Gallen, wo ſie bei dem frommen und gelehrten Antiſtes Staͤhelin logirten, und wiederum mit vie- len edlen Menſchen das Band der Freundſchaft knuͤpften. Hier operirte er nur Eine Perſon, diente aber mehreren Augenkranken.
Mittwochs den 27. Oktober fuhren ſie durch das paradieſiſche Thurgau laͤngs dem Bodenſee nach Schaffhauſen: unter- wegs zu Arbon wurde noch ein Mann vom Staar befreit. In Schaffhauſen kehrten ſie wieder im lieben Kirchhofer’ſchen Hauſe ein. Auch hier gabs wieder viel zu thun, aber auch Ge- muͤthsunruhe und Traurigkeit, denn Sonntags den 31. Oktober, des Nachmittags ruͤckten ſchon die Franzoſen da ein.
Montags den 1. November verließen ſie die liebe Schweiz, und da ein blinder Kaufmann von Ebingen einen Expreſſen nach Schaffhauſen geſchickt hatte, ſo mußten ſie einen be- traͤchtlichen Umweg uͤber Moͤßkirch und die ſchwaͤbiſche Alp nehmen; von Ebingen wurden ſie nach Balingen abgeholt, wo es auch viel zu thun gab, und von da fuhren ſie dann nach Stuttgart, wo ſie im Seckendorfiſchen Hauſe einen ge- ſegneten Aufenthalt hatten, und wo Stilling auch wieder vie- len Leidenden dienen konnte.
Hier fand er zu ſeiner großen Freude den Herrnhuter Uni- taͤtsaͤlteſten Goldmann, mit dem er in ein inniges Bruder- verhaͤltniß kam.
Von Stuttgart mußten ſie wieder einen großen und be- ſchwerlichen Umweg uͤber den Schwarzwald nach Calw nehmen, wo Stilling den frommen Pfarrer Haͤrlin von Neubulach, mit ſeiner lieben trefflichen Gattin und Tochter fand, die ihm alle drei ſchon durch Briefwechſel bekannt waren. Auch hier verſammelte ſich im Hauſe des chriſtlichen Buchhalters Schill ein Kreis edler Menſchen um die Reiſenden her. Von hier fuhren ſie nun Dienſtags, den 9. November, nach Karlsruhe. Auf Verlangen der Frau Markgraͤfin hatte Stilling dieſen Umweg wieder gemacht, weil ſich dort noch Blinde fanden, die operirt werden mußten. Der Kurfuͤrſt wiederholte ſein Verſprechen, und Freitags den 12. November traten ſie ihre Nachhauſereiſe uͤber
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Zu Burgdorf operirte Stilling noch einige Blinde, und
dann reisten Beide wieder uͤber Zofingen nach Zuͤrich, Win-
terthur und St. Gallen, wo ſie bei dem frommen und
gelehrten Antiſtes Staͤhelin logirten, und wiederum mit vie-
len edlen Menſchen das Band der Freundſchaft knuͤpften. Hier
operirte er nur Eine Perſon, diente aber mehreren Augenkranken.
Mittwochs den 27. Oktober fuhren ſie durch das paradieſiſche
Thurgau laͤngs dem Bodenſee nach Schaffhauſen: unter-
wegs zu Arbon wurde noch ein Mann vom Staar befreit. In
Schaffhauſen kehrten ſie wieder im lieben Kirchhofer’ſchen
Hauſe ein. Auch hier gabs wieder viel zu thun, aber auch Ge-
muͤthsunruhe und Traurigkeit, denn Sonntags den 31. Oktober,
des Nachmittags ruͤckten ſchon die Franzoſen da ein.
Montags den 1. November verließen ſie die liebe Schweiz,
und da ein blinder Kaufmann von Ebingen einen Expreſſen
nach Schaffhauſen geſchickt hatte, ſo mußten ſie einen be-
traͤchtlichen Umweg uͤber Moͤßkirch und die ſchwaͤbiſche Alp
nehmen; von Ebingen wurden ſie nach Balingen abgeholt,
wo es auch viel zu thun gab, und von da fuhren ſie dann nach
Stuttgart, wo ſie im Seckendorfiſchen Hauſe einen ge-
ſegneten Aufenthalt hatten, und wo Stilling auch wieder vie-
len Leidenden dienen konnte.
Hier fand er zu ſeiner großen Freude den Herrnhuter Uni-
taͤtsaͤlteſten Goldmann, mit dem er in ein inniges Bruder-
verhaͤltniß kam.
Von Stuttgart mußten ſie wieder einen großen und be-
ſchwerlichen Umweg uͤber den Schwarzwald nach Calw nehmen,
wo Stilling den frommen Pfarrer Haͤrlin von Neubulach,
mit ſeiner lieben trefflichen Gattin und Tochter fand, die ihm
alle drei ſchon durch Briefwechſel bekannt waren. Auch hier
verſammelte ſich im Hauſe des chriſtlichen Buchhalters Schill
ein Kreis edler Menſchen um die Reiſenden her. Von hier fuhren
ſie nun Dienſtags, den 9. November, nach Karlsruhe. Auf
Verlangen der Frau Markgraͤfin hatte Stilling dieſen Umweg
wieder gemacht, weil ſich dort noch Blinde fanden, die operirt
werden mußten. Der Kurfuͤrſt wiederholte ſein Verſprechen, und
Freitags den 12. November traten ſie ihre Nachhauſereiſe uͤber
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/576>, abgerufen am 22.11.2024.
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