Lavater correspondirte auf seinem Krankenlager noch flei- ßig mit Stilling. Sie verhandelten nicht mehr contraver- sirend, sondern einmüthig brüderlich die wichtigsten Religions- wahrheiten. Vierzehn Tage vor seinem Tod schrieb er zum letztenmal an seinen Freund nach Marburg, und 1801 am 2. Januar, also auch am zweiten Tag des neunzehnten Jahr- hunderts, starb dieser große merkwürdige Mann, er starb als ein großer Zeuge der Wahrheit von Jesu Christo. Kurz hernach verfertigte Stilling das bekannte Gedicht: Lava- ters Verklärung, welches erst besonders gedruckt, dann in die dritte Auflage des ersten Bandes der Scenen aus dem Geisterreich eingerückt worden ist. Einige Rezensenten wollten es nicht gelten lassen, daß Stilling Lavater einen Blut- zeugen der Wahrheit genannt hatte, und Andere behaupteten, seine Schußwunde sey nicht die Veranlassung zu seinem Tod gewesen, allein die Sache spricht von selbst.
Lavaters geheiligtes Herz vergab seinem Mörder voll- kommen; sogar sagte er: er wolle ihn dereinst in allen Himmeln und Höllen aufsuchen, und ihm für die Verwundung danken, die ihm eine so lehrreiche Schule geworden sey: und er verordnete sehr ernstlich, daß man diesem Unglücklichen nicht ferner nachfragen, sondern ihn der göttlichen Erbarmung überlassen sollte; seine Hinter- lassenen befolgten dieß auch redlich, mir aber wird zur Be- währung meiner Behauptung doch Folgendes zu sagen er- laubt seyn.
Der Soldat, der Lavatern tödtlich verwundete, war ein Schweizer aus dem französischen Theil des Kantons Bern (pays de Vaud); er und noch ein Kamerad polterten an ei- nem Hause neben Lavaters Pfarrwohnung; Lavater hörte, daß sie zu trinken forderten, er nahm also eine Flasche Wein und Brod, und lief hinaus, um es den beiden Soldaten zu bringen; der Grenadier, der ihn hernach schoß, war besonders freundlich gegen ihn, er dankte ihm für das Genossene, und nannte ihn Bruder-Herz! denn er sprach nebst seiner fran- zösischen Muttersprache auch Deutsch; Lavater ging nun wieder in sein Haus, der Grenadier aber sprach mit einigen Zürchern, welche da in der Nähe standen; bald darauf kam
Lavater correſpondirte auf ſeinem Krankenlager noch flei- ßig mit Stilling. Sie verhandelten nicht mehr contraver- ſirend, ſondern einmuͤthig bruͤderlich die wichtigſten Religions- wahrheiten. Vierzehn Tage vor ſeinem Tod ſchrieb er zum letztenmal an ſeinen Freund nach Marburg, und 1801 am 2. Januar, alſo auch am zweiten Tag des neunzehnten Jahr- hunderts, ſtarb dieſer große merkwuͤrdige Mann, er ſtarb als ein großer Zeuge der Wahrheit von Jeſu Chriſto. Kurz hernach verfertigte Stilling das bekannte Gedicht: Lava- ters Verklaͤrung, welches erſt beſonders gedruckt, dann in die dritte Auflage des erſten Bandes der Scenen aus dem Geiſterreich eingeruͤckt worden iſt. Einige Rezenſenten wollten es nicht gelten laſſen, daß Stilling Lavater einen Blut- zeugen der Wahrheit genannt hatte, und Andere behaupteten, ſeine Schußwunde ſey nicht die Veranlaſſung zu ſeinem Tod geweſen, allein die Sache ſpricht von ſelbſt.
Lavaters geheiligtes Herz vergab ſeinem Moͤrder voll- kommen; ſogar ſagte er: er wolle ihn dereinſt in allen Himmeln und Hoͤllen aufſuchen, und ihm fuͤr die Verwundung danken, die ihm eine ſo lehrreiche Schule geworden ſey: und er verordnete ſehr ernſtlich, daß man dieſem Ungluͤcklichen nicht ferner nachfragen, ſondern ihn der goͤttlichen Erbarmung uͤberlaſſen ſollte; ſeine Hinter- laſſenen befolgten dieß auch redlich, mir aber wird zur Be- waͤhrung meiner Behauptung doch Folgendes zu ſagen er- laubt ſeyn.
Der Soldat, der Lavatern toͤdtlich verwundete, war ein Schweizer aus dem franzoͤſiſchen Theil des Kantons Bern (pays de Vaud); er und noch ein Kamerad polterten an ei- nem Hauſe neben Lavaters Pfarrwohnung; Lavater hoͤrte, daß ſie zu trinken forderten, er nahm alſo eine Flaſche Wein und Brod, und lief hinaus, um es den beiden Soldaten zu bringen; der Grenadier, der ihn hernach ſchoß, war beſonders freundlich gegen ihn, er dankte ihm fuͤr das Genoſſene, und nannte ihn Bruder-Herz! denn er ſprach nebſt ſeiner fran- zoͤſiſchen Mutterſprache auch Deutſch; Lavater ging nun wieder in ſein Haus, der Grenadier aber ſprach mit einigen Zuͤrchern, welche da in der Naͤhe ſtanden; bald darauf kam
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Lavater correſpondirte auf ſeinem Krankenlager noch flei-
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wahrheiten. Vierzehn Tage vor ſeinem Tod ſchrieb er zum
letztenmal an ſeinen Freund nach Marburg, und 1801 am
2. Januar, alſo auch am zweiten Tag des neunzehnten Jahr-
hunderts, ſtarb dieſer große merkwuͤrdige Mann, er ſtarb als
ein großer Zeuge der Wahrheit von Jeſu Chriſto. Kurz
hernach verfertigte Stilling das bekannte Gedicht: Lava-
ters Verklaͤrung, welches erſt beſonders gedruckt, dann
in die dritte Auflage des erſten Bandes der Scenen aus dem
Geiſterreich eingeruͤckt worden iſt. Einige Rezenſenten wollten
es nicht gelten laſſen, daß Stilling Lavater einen Blut-
zeugen der Wahrheit genannt hatte, und Andere behaupteten,
ſeine Schußwunde ſey nicht die Veranlaſſung zu ſeinem Tod
geweſen, allein die Sache ſpricht von ſelbſt.
Lavaters geheiligtes Herz vergab ſeinem Moͤrder voll-
kommen; ſogar ſagte er: er wolle ihn dereinſt in allen
Himmeln und Hoͤllen aufſuchen, und ihm fuͤr die
Verwundung danken, die ihm eine ſo lehrreiche
Schule geworden ſey: und er verordnete ſehr ernſtlich,
daß man dieſem Ungluͤcklichen nicht ferner nachfragen, ſondern
ihn der goͤttlichen Erbarmung uͤberlaſſen ſollte; ſeine Hinter-
laſſenen befolgten dieß auch redlich, mir aber wird zur Be-
waͤhrung meiner Behauptung doch Folgendes zu ſagen er-
laubt ſeyn.
Der Soldat, der Lavatern toͤdtlich verwundete, war ein
Schweizer aus dem franzoͤſiſchen Theil des Kantons Bern
(pays de Vaud); er und noch ein Kamerad polterten an ei-
nem Hauſe neben Lavaters Pfarrwohnung; Lavater hoͤrte,
daß ſie zu trinken forderten, er nahm alſo eine Flaſche Wein
und Brod, und lief hinaus, um es den beiden Soldaten zu
bringen; der Grenadier, der ihn hernach ſchoß, war beſonders
freundlich gegen ihn, er dankte ihm fuͤr das Genoſſene, und
nannte ihn Bruder-Herz! denn er ſprach nebſt ſeiner fran-
zoͤſiſchen Mutterſprache auch Deutſch; Lavater ging nun
wieder in ſein Haus, der Grenadier aber ſprach mit einigen
Zuͤrchern, welche da in der Naͤhe ſtanden; bald darauf kam
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/529>, abgerufen am 25.11.2024.
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