Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

lich krank an der rothen Ruhr -- er sahe also die Lebensge-
fahr dreier Menschen vor Augen, denn der damalige Geist
der Zeit, der mit dem Terrorismus in Frankreich zusam-
menhing, schnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten
im revolutionären Sinn und Taumel.

Jakob gab also seinen Eltern Nachricht von der Gefahr,
die ihnen auf den Abend drohte, und bat, man möchte doch
die Fenster nach der Straße und nach dem Platz hin aushe-
ben und die Amalia an einen andern Ort legen, denn sie
lag an den Fenstern nach der Straße hin. Die Fenster wur-
den nun zwar nicht ausgehoben, aber die Kranke wurde hin-
ten in einen Alkofen gebettet. Jakob aber ging bei den
Studenten herum und legte sich aufs Bitten; er stellte ihnen
die Gefahren vor, die aus dem Schrecken entstehen könnten,
allein das heißt tauben Ohren predigen; endlich, als er nicht
nachlassen wollte, sagte man ihm unter dem Beding zu, wenn
er auch zum Orden überginge und sich aufnehmen lassen
wolle. Zwei bange Stunden kämpfte der gute Jüngling in
der Wahl zwischen zweien Uebeln; endlich glaubte er doch,
der Eintritt in den Orden sey das Geringere; er ließ sich al-
so aufnehmen, das Unglück wurde abgewendet und es blieb
nun dabei, daß die Studenten im Zug bei Stillings Hause
blos ausspuckten -- das konnten sie nun thun, dazu war
Raum genug auf der Gasse.

Stilling wußte kein Wort davon, daß sich sein Sohn
in einen Studentenorden hatte aufnehmen lassen, er erfuhr es
erst ein Jahr hernach, doch so, daß es ihm weder Schrecken
noch Kummer verursachte: Jakob hielt sehr ernstlich bei
seinen Eltern an, man möchte ihn noch ein halb Jahr nach
Göttingen schicken. Die wahre Ursache, warum? wußte nie-
mand, er schützte vor, daß es ihm sehr nützlich seyn würde,
wenn er auch in Göttingen studirt hätte. Kurz, er ließ
nicht nach, bis seine Eltern endlich einwilligten, und ihn ein
Winterhalb-Jahr nach Göttingen schickten; sein geheimer Zweck
aber war, dort wieder aus dem Orden zu gehen, und dieß
dem dortigen Prorector anzuzeigen; in Marburg konnte er
das nun nicht, wenn nicht der Lärm wieder von vorne ange-

lich krank an der rothen Ruhr — er ſahe alſo die Lebensge-
fahr dreier Menſchen vor Augen, denn der damalige Geiſt
der Zeit, der mit dem Terrorismus in Frankreich zuſam-
menhing, ſchnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten
im revolutionaͤren Sinn und Taumel.

Jakob gab alſo ſeinen Eltern Nachricht von der Gefahr,
die ihnen auf den Abend drohte, und bat, man moͤchte doch
die Fenſter nach der Straße und nach dem Platz hin aushe-
ben und die Amalia an einen andern Ort legen, denn ſie
lag an den Fenſtern nach der Straße hin. Die Fenſter wur-
den nun zwar nicht ausgehoben, aber die Kranke wurde hin-
ten in einen Alkofen gebettet. Jakob aber ging bei den
Studenten herum und legte ſich aufs Bitten; er ſtellte ihnen
die Gefahren vor, die aus dem Schrecken entſtehen koͤnnten,
allein das heißt tauben Ohren predigen; endlich, als er nicht
nachlaſſen wollte, ſagte man ihm unter dem Beding zu, wenn
er auch zum Orden uͤberginge und ſich aufnehmen laſſen
wolle. Zwei bange Stunden kaͤmpfte der gute Juͤngling in
der Wahl zwiſchen zweien Uebeln; endlich glaubte er doch,
der Eintritt in den Orden ſey das Geringere; er ließ ſich al-
ſo aufnehmen, das Ungluͤck wurde abgewendet und es blieb
nun dabei, daß die Studenten im Zug bei Stillings Hauſe
blos ausſpuckten — das konnten ſie nun thun, dazu war
Raum genug auf der Gaſſe.

Stilling wußte kein Wort davon, daß ſich ſein Sohn
in einen Studentenorden hatte aufnehmen laſſen, er erfuhr es
erſt ein Jahr hernach, doch ſo, daß es ihm weder Schrecken
noch Kummer verurſachte: Jakob hielt ſehr ernſtlich bei
ſeinen Eltern an, man moͤchte ihn noch ein halb Jahr nach
Goͤttingen ſchicken. Die wahre Urſache, warum? wußte nie-
mand, er ſchuͤtzte vor, daß es ihm ſehr nuͤtzlich ſeyn wuͤrde,
wenn er auch in Goͤttingen ſtudirt haͤtte. Kurz, er ließ
nicht nach, bis ſeine Eltern endlich einwilligten, und ihn ein
Winterhalb-Jahr nach Goͤttingen ſchickten; ſein geheimer Zweck
aber war, dort wieder aus dem Orden zu gehen, und dieß
dem dortigen Prorector anzuzeigen; in Marburg konnte er
das nun nicht, wenn nicht der Laͤrm wieder von vorne ange-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0498" n="490"/>
lich krank an der rothen Ruhr &#x2014; er &#x017F;ahe al&#x017F;o die Lebensge-<lb/>
fahr dreier Men&#x017F;chen vor Augen, denn der damalige Gei&#x017F;t<lb/>
der Zeit, der mit dem Terrorismus in <hi rendition="#g">Frankreich</hi> zu&#x017F;am-<lb/>
menhing, &#x017F;chnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten<lb/>
im revolutiona&#x0364;ren Sinn und Taumel.</p><lb/>
            <p>Jakob gab al&#x017F;o &#x017F;einen Eltern Nachricht von der Gefahr,<lb/>
die ihnen auf den Abend drohte, und bat, man mo&#x0364;chte doch<lb/>
die Fen&#x017F;ter nach der Straße und nach dem Platz hin aushe-<lb/>
ben und die <hi rendition="#g">Amalia</hi> an einen andern Ort legen, denn &#x017F;ie<lb/>
lag an den Fen&#x017F;tern nach der Straße hin. Die Fen&#x017F;ter wur-<lb/>
den nun zwar nicht ausgehoben, aber die Kranke wurde hin-<lb/>
ten in einen Alkofen gebettet. <hi rendition="#g">Jakob</hi> aber ging bei den<lb/>
Studenten herum und legte &#x017F;ich aufs Bitten; er &#x017F;tellte ihnen<lb/>
die Gefahren vor, die aus dem Schrecken ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nnten,<lb/>
allein das heißt tauben Ohren predigen; endlich, als er nicht<lb/>
nachla&#x017F;&#x017F;en wollte, &#x017F;agte man ihm unter dem Beding zu, wenn<lb/>
er auch zum Orden u&#x0364;berginge und &#x017F;ich aufnehmen la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wolle. Zwei bange Stunden ka&#x0364;mpfte der gute Ju&#x0364;ngling in<lb/>
der Wahl zwi&#x017F;chen zweien Uebeln; endlich glaubte er doch,<lb/>
der Eintritt in den Orden &#x017F;ey das Geringere; er ließ &#x017F;ich al-<lb/>
&#x017F;o aufnehmen, das Unglu&#x0364;ck wurde abgewendet und es blieb<lb/>
nun dabei, daß die Studenten im Zug bei <hi rendition="#g">Stillings</hi> Hau&#x017F;e<lb/>
blos aus&#x017F;puckten &#x2014; das konnten &#x017F;ie nun thun, dazu war<lb/>
Raum genug auf der Ga&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> wußte kein Wort davon, daß &#x017F;ich &#x017F;ein Sohn<lb/>
in einen Studentenorden hatte aufnehmen la&#x017F;&#x017F;en, er erfuhr es<lb/>
er&#x017F;t ein Jahr hernach, doch &#x017F;o, daß es ihm weder Schrecken<lb/>
noch Kummer verur&#x017F;achte: <hi rendition="#g">Jakob</hi> hielt &#x017F;ehr ern&#x017F;tlich bei<lb/>
&#x017F;einen Eltern an, man mo&#x0364;chte ihn noch ein halb Jahr nach<lb/>
Go&#x0364;ttingen &#x017F;chicken. Die wahre Ur&#x017F;ache, warum? wußte nie-<lb/>
mand, er &#x017F;chu&#x0364;tzte vor, daß es ihm &#x017F;ehr nu&#x0364;tzlich &#x017F;eyn wu&#x0364;rde,<lb/>
wenn er auch in <hi rendition="#g">Go&#x0364;ttingen</hi> &#x017F;tudirt ha&#x0364;tte. Kurz, er ließ<lb/>
nicht nach, bis &#x017F;eine Eltern endlich einwilligten, und ihn ein<lb/>
Winterhalb-Jahr nach Go&#x0364;ttingen &#x017F;chickten; &#x017F;ein geheimer Zweck<lb/>
aber war, dort wieder aus dem Orden zu gehen, und dieß<lb/>
dem dortigen Prorector anzuzeigen; in <hi rendition="#g">Marburg</hi> konnte er<lb/>
das nun nicht, wenn nicht der La&#x0364;rm wieder von vorne ange-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[490/0498] lich krank an der rothen Ruhr — er ſahe alſo die Lebensge- fahr dreier Menſchen vor Augen, denn der damalige Geiſt der Zeit, der mit dem Terrorismus in Frankreich zuſam- menhing, ſchnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten im revolutionaͤren Sinn und Taumel. Jakob gab alſo ſeinen Eltern Nachricht von der Gefahr, die ihnen auf den Abend drohte, und bat, man moͤchte doch die Fenſter nach der Straße und nach dem Platz hin aushe- ben und die Amalia an einen andern Ort legen, denn ſie lag an den Fenſtern nach der Straße hin. Die Fenſter wur- den nun zwar nicht ausgehoben, aber die Kranke wurde hin- ten in einen Alkofen gebettet. Jakob aber ging bei den Studenten herum und legte ſich aufs Bitten; er ſtellte ihnen die Gefahren vor, die aus dem Schrecken entſtehen koͤnnten, allein das heißt tauben Ohren predigen; endlich, als er nicht nachlaſſen wollte, ſagte man ihm unter dem Beding zu, wenn er auch zum Orden uͤberginge und ſich aufnehmen laſſen wolle. Zwei bange Stunden kaͤmpfte der gute Juͤngling in der Wahl zwiſchen zweien Uebeln; endlich glaubte er doch, der Eintritt in den Orden ſey das Geringere; er ließ ſich al- ſo aufnehmen, das Ungluͤck wurde abgewendet und es blieb nun dabei, daß die Studenten im Zug bei Stillings Hauſe blos ausſpuckten — das konnten ſie nun thun, dazu war Raum genug auf der Gaſſe. Stilling wußte kein Wort davon, daß ſich ſein Sohn in einen Studentenorden hatte aufnehmen laſſen, er erfuhr es erſt ein Jahr hernach, doch ſo, daß es ihm weder Schrecken noch Kummer verurſachte: Jakob hielt ſehr ernſtlich bei ſeinen Eltern an, man moͤchte ihn noch ein halb Jahr nach Goͤttingen ſchicken. Die wahre Urſache, warum? wußte nie- mand, er ſchuͤtzte vor, daß es ihm ſehr nuͤtzlich ſeyn wuͤrde, wenn er auch in Goͤttingen ſtudirt haͤtte. Kurz, er ließ nicht nach, bis ſeine Eltern endlich einwilligten, und ihn ein Winterhalb-Jahr nach Goͤttingen ſchickten; ſein geheimer Zweck aber war, dort wieder aus dem Orden zu gehen, und dieß dem dortigen Prorector anzuzeigen; in Marburg konnte er das nun nicht, wenn nicht der Laͤrm wieder von vorne ange-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/498
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/498>, abgerufen am 01.09.2024.