Merkwürdigkeiten in Cassel zu besehen. Der Weg wurde gewöhnlich hin und her zu Fuß gemacht. Nun hatte Stil- ling auf dieser Reise das Vergnügen, daß der Kurfürst einen seiner Wünsche erfüllte, nämlich eine besondere Forstschule an- zulegen. Als er nun mit seinen Begleitern nach Hause reiste, und die Studenten unter sich von dem Vergnügen sprachen, das sie in Cassel genossen hätten, und daß Alles so wohl gelungen wäre, so fügte Stilling hinzu, und sagte: auch ich bin recht vergnügt gewesen, denn ich habe auch einen Zweck erreicht, den ich zu erreichen wünschte -- weiter erklärte er sich nicht; er hatte aber das Versprechen des Kurfürsten im Auge, ein Forst-Institut anlegen zu wollen.
Nun war zu der Zeit ein Privatlehrer in Marburg, ein rechtschaffener und gelehrter junger Mann, den die Studenten sehr lieb hatten; er war der Kantischen Philosophie zugethan, und diese war zu der Zeit an der Tagesordnung; da nun der Kurfürst jener Philosophie nicht recht günstig war, auch vielleicht sonst noch etwas Nachtheiliges von jenem Privatleh- rer gehört hatte, so schickte er ein Rescript an den jungen Mann, vermöge welchem er als Professor der Philosophie mit hundert Thalern Besoldung, nach Hanau versetzt werden sollte. -- Dieser mußte Folge leisten, aber die Studenten wur- den wüthend, und ihr ganzer Verdacht fiel auf Stilling; denn man deutete jenen Ausdruck auf der Casseler Reise da- hin, daß er unter dem Wohlgelingen seines Wunsches des Privatlehrers Wegberufung im Sinn gehabt und diese Wegbe- rufung bewirkt hätte. Die Gährung stieg endlich aufs Höch- ste, und um zum Tumultuiren zu kommen, beschloßen sie, dem Privatlehrer, der nun auch zum Abzug bereit war, eine Musik zu bringen, bei der Gelegenheit sollte dann Stillings Haus gestürmt und die Fenster eingeworfen werden. Sein guter Sohn Jakob erfuhr das Alles, er studirte die Rechts- gelahrtheit, war sehr ordentlich und fleißig und nahm an der- gleichen Unordnungen nie den geringsten Antheil. Der brave Jüngling gerieth in die größte Angst, denn seine Mutter Elise, die er herzlich liebte, war wieder guter Hoffnung, und seine Tante Amalia Coing, Elisens jüngste Schwester, tödt-
Merkwuͤrdigkeiten in Caſſel zu beſehen. Der Weg wurde gewoͤhnlich hin und her zu Fuß gemacht. Nun hatte Stil- ling auf dieſer Reiſe das Vergnuͤgen, daß der Kurfuͤrſt einen ſeiner Wuͤnſche erfuͤllte, naͤmlich eine beſondere Forſtſchule an- zulegen. Als er nun mit ſeinen Begleitern nach Hauſe reiste, und die Studenten unter ſich von dem Vergnuͤgen ſprachen, das ſie in Caſſel genoſſen haͤtten, und daß Alles ſo wohl gelungen waͤre, ſo fuͤgte Stilling hinzu, und ſagte: auch ich bin recht vergnuͤgt geweſen, denn ich habe auch einen Zweck erreicht, den ich zu erreichen wuͤnſchte — weiter erklaͤrte er ſich nicht; er hatte aber das Verſprechen des Kurfuͤrſten im Auge, ein Forſt-Inſtitut anlegen zu wollen.
Nun war zu der Zeit ein Privatlehrer in Marburg, ein rechtſchaffener und gelehrter junger Mann, den die Studenten ſehr lieb hatten; er war der Kantiſchen Philoſophie zugethan, und dieſe war zu der Zeit an der Tagesordnung; da nun der Kurfuͤrſt jener Philoſophie nicht recht guͤnſtig war, auch vielleicht ſonſt noch etwas Nachtheiliges von jenem Privatleh- rer gehoͤrt hatte, ſo ſchickte er ein Reſcript an den jungen Mann, vermoͤge welchem er als Profeſſor der Philoſophie mit hundert Thalern Beſoldung, nach Hanau verſetzt werden ſollte. — Dieſer mußte Folge leiſten, aber die Studenten wur- den wuͤthend, und ihr ganzer Verdacht fiel auf Stilling; denn man deutete jenen Ausdruck auf der Caſſeler Reiſe da- hin, daß er unter dem Wohlgelingen ſeines Wunſches des Privatlehrers Wegberufung im Sinn gehabt und dieſe Wegbe- rufung bewirkt haͤtte. Die Gaͤhrung ſtieg endlich aufs Hoͤch- ſte, und um zum Tumultuiren zu kommen, beſchloßen ſie, dem Privatlehrer, der nun auch zum Abzug bereit war, eine Muſik zu bringen, bei der Gelegenheit ſollte dann Stillings Haus geſtuͤrmt und die Fenſter eingeworfen werden. Sein guter Sohn Jakob erfuhr das Alles, er ſtudirte die Rechts- gelahrtheit, war ſehr ordentlich und fleißig und nahm an der- gleichen Unordnungen nie den geringſten Antheil. Der brave Juͤngling gerieth in die groͤßte Angſt, denn ſeine Mutter Eliſe, die er herzlich liebte, war wieder guter Hoffnung, und ſeine Tante Amalia Coing, Eliſens juͤngſte Schweſter, toͤdt-
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Merkwuͤrdigkeiten in Caſſel zu beſehen. Der Weg wurde
gewoͤhnlich hin und her zu Fuß gemacht. Nun hatte Stil-
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ſeiner Wuͤnſche erfuͤllte, naͤmlich eine beſondere Forſtſchule an-
zulegen. Als er nun mit ſeinen Begleitern nach Hauſe reiste,
und die Studenten unter ſich von dem Vergnuͤgen ſprachen,
das ſie in Caſſel genoſſen haͤtten, und daß Alles ſo wohl
gelungen waͤre, ſo fuͤgte Stilling hinzu, und ſagte: auch
ich bin recht vergnuͤgt geweſen, denn ich habe auch einen Zweck
erreicht, den ich zu erreichen wuͤnſchte — weiter erklaͤrte er
ſich nicht; er hatte aber das Verſprechen des Kurfuͤrſten im
Auge, ein Forſt-Inſtitut anlegen zu wollen.
Nun war zu der Zeit ein Privatlehrer in Marburg, ein
rechtſchaffener und gelehrter junger Mann, den die Studenten
ſehr lieb hatten; er war der Kantiſchen Philoſophie zugethan,
und dieſe war zu der Zeit an der Tagesordnung; da nun
der Kurfuͤrſt jener Philoſophie nicht recht guͤnſtig war, auch
vielleicht ſonſt noch etwas Nachtheiliges von jenem Privatleh-
rer gehoͤrt hatte, ſo ſchickte er ein Reſcript an den jungen
Mann, vermoͤge welchem er als Profeſſor der Philoſophie mit
hundert Thalern Beſoldung, nach Hanau verſetzt werden
ſollte. — Dieſer mußte Folge leiſten, aber die Studenten wur-
den wuͤthend, und ihr ganzer Verdacht fiel auf Stilling;
denn man deutete jenen Ausdruck auf der Caſſeler Reiſe da-
hin, daß er unter dem Wohlgelingen ſeines Wunſches des
Privatlehrers Wegberufung im Sinn gehabt und dieſe Wegbe-
rufung bewirkt haͤtte. Die Gaͤhrung ſtieg endlich aufs Hoͤch-
ſte, und um zum Tumultuiren zu kommen, beſchloßen ſie,
dem Privatlehrer, der nun auch zum Abzug bereit war, eine
Muſik zu bringen, bei der Gelegenheit ſollte dann Stillings
Haus geſtuͤrmt und die Fenſter eingeworfen werden. Sein
guter Sohn Jakob erfuhr das Alles, er ſtudirte die Rechts-
gelahrtheit, war ſehr ordentlich und fleißig und nahm an der-
gleichen Unordnungen nie den geringſten Antheil. Der brave
Juͤngling gerieth in die groͤßte Angſt, denn ſeine Mutter Eliſe,
die er herzlich liebte, war wieder guter Hoffnung, und ſeine
Tante Amalia Coing, Eliſens juͤngſte Schweſter, toͤdt-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/497>, abgerufen am 22.11.2024.
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