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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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einige Freunde aus Kassel begleiteten ihn. Auf dieser Reise
litt Stilling sehr am Magenkrampf, die Witterung war
rauh, und er machte sie zu Pferde. Von Minden begleitete
er auch gedachte Familie nach ihrem prächtigen Rittersitz
Ostenwalde, vier Stunden von Osnabrück, dann reiste
er über Detmold wieder nach Haus.

Auf dieser Reise lernte Stilling einige merkwürdige Per-
sonen kennen, mit denen er auch zum Theil in genaue freund-
schaftliche Verhältnisse kam, nämlich die nunmehr verstorbene
Fürstin, Juliane von Bückeburg, Kleucker in Osna-
brück
-- dieser hatte Stilling aber vorher schon in Mar-
burg
besucht -- Möser und seine Tochter, die Frau von
Voigt; die Fürstin Christine von der Lippe zu Det-
mold
, die drei Theologen: Ewald, Passavant von Kölln,
und den fürstl. Lippischen Leibarzt Scherf. Alle diese wür-
digen Personen erzeigten Stilling Ehre und Liebe. Dann
lebte auch damals noch in Detmold eine sehr würdige Ma-
trone, die Wittwe des sel. General-Superintendenten Stosch
mit ihren Töchtern, deren die älteste Selma's vertraute
Freundin gewesen war; Stilling besuchte sie, und wurde
mit rührender Zärtlichkeit empfangen; bei dem Abschied fiel
ihm die ehrwürdige Frau um den Hals, weinte und sagte:
Wenn wir uns hier nicht wiedersehn, so beten
Sie doch für mich, daß mich der Herr vollenden
wolle, damit ich Sie dereinst in seinem Reich
wiederum, freudiger wie jetzt, möge umarmen
können
.

Als Stilling von dieser Reise wieder nach Marburg,
und vor seine Hausthüre kam, so trat Elise heraus, um ih-
ren Mann zu empfangen; aber welch ein Anblick! -- ein
Schwert fuhr durch seine Seele -- Elise stand da krumm
und schief, ihr Halsziehen theilte sich auch dem obern Körper
stärker mit -- es war schrecklich! das Herz blutete für Mit-
leid und Wehmuth, aber das half nicht, es mußte ertragen
werden. Indessen geschah Alles, um die gute Frau zu kuri-
ren: man versuchte die wirksamsten Mittel: Vier Kegel Moca
wurden auf ihren Schultern auf der bloßen Haut verbrannt:

einige Freunde aus Kaſſel begleiteten ihn. Auf dieſer Reiſe
litt Stilling ſehr am Magenkrampf, die Witterung war
rauh, und er machte ſie zu Pferde. Von Minden begleitete
er auch gedachte Familie nach ihrem praͤchtigen Ritterſitz
Oſtenwalde, vier Stunden von Osnabruͤck, dann reiste
er uͤber Detmold wieder nach Haus.

Auf dieſer Reiſe lernte Stilling einige merkwuͤrdige Per-
ſonen kennen, mit denen er auch zum Theil in genaue freund-
ſchaftliche Verhaͤltniſſe kam, naͤmlich die nunmehr verſtorbene
Fuͤrſtin, Juliane von Buͤckeburg, Kleucker in Osna-
bruͤck
— dieſer hatte Stilling aber vorher ſchon in Mar-
burg
beſucht — Moͤſer und ſeine Tochter, die Frau von
Voigt; die Fuͤrſtin Chriſtine von der Lippe zu Det-
mold
, die drei Theologen: Ewald, Paſſavant von Koͤlln,
und den fuͤrſtl. Lippiſchen Leibarzt Scherf. Alle dieſe wuͤr-
digen Perſonen erzeigten Stilling Ehre und Liebe. Dann
lebte auch damals noch in Detmold eine ſehr wuͤrdige Ma-
trone, die Wittwe des ſel. General-Superintendenten Stoſch
mit ihren Toͤchtern, deren die aͤlteſte Selma’s vertraute
Freundin geweſen war; Stilling beſuchte ſie, und wurde
mit ruͤhrender Zaͤrtlichkeit empfangen; bei dem Abſchied fiel
ihm die ehrwuͤrdige Frau um den Hals, weinte und ſagte:
Wenn wir uns hier nicht wiederſehn, ſo beten
Sie doch fuͤr mich, daß mich der Herr vollenden
wolle, damit ich Sie dereinſt in ſeinem Reich
wiederum, freudiger wie jetzt, moͤge umarmen
koͤnnen
.

Als Stilling von dieſer Reiſe wieder nach Marburg,
und vor ſeine Hausthuͤre kam, ſo trat Eliſe heraus, um ih-
ren Mann zu empfangen; aber welch ein Anblick! — ein
Schwert fuhr durch ſeine Seele — Eliſe ſtand da krumm
und ſchief, ihr Halsziehen theilte ſich auch dem obern Koͤrper
ſtaͤrker mit — es war ſchrecklich! das Herz blutete fuͤr Mit-
leid und Wehmuth, aber das half nicht, es mußte ertragen
werden. Indeſſen geſchah Alles, um die gute Frau zu kuri-
ren: man verſuchte die wirkſamſten Mittel: Vier Kegel Moca
wurden auf ihren Schultern auf der bloßen Haut verbrannt:

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[480/0488] einige Freunde aus Kaſſel begleiteten ihn. Auf dieſer Reiſe litt Stilling ſehr am Magenkrampf, die Witterung war rauh, und er machte ſie zu Pferde. Von Minden begleitete er auch gedachte Familie nach ihrem praͤchtigen Ritterſitz Oſtenwalde, vier Stunden von Osnabruͤck, dann reiste er uͤber Detmold wieder nach Haus. Auf dieſer Reiſe lernte Stilling einige merkwuͤrdige Per- ſonen kennen, mit denen er auch zum Theil in genaue freund- ſchaftliche Verhaͤltniſſe kam, naͤmlich die nunmehr verſtorbene Fuͤrſtin, Juliane von Buͤckeburg, Kleucker in Osna- bruͤck — dieſer hatte Stilling aber vorher ſchon in Mar- burg beſucht — Moͤſer und ſeine Tochter, die Frau von Voigt; die Fuͤrſtin Chriſtine von der Lippe zu Det- mold, die drei Theologen: Ewald, Paſſavant von Koͤlln, und den fuͤrſtl. Lippiſchen Leibarzt Scherf. Alle dieſe wuͤr- digen Perſonen erzeigten Stilling Ehre und Liebe. Dann lebte auch damals noch in Detmold eine ſehr wuͤrdige Ma- trone, die Wittwe des ſel. General-Superintendenten Stoſch mit ihren Toͤchtern, deren die aͤlteſte Selma’s vertraute Freundin geweſen war; Stilling beſuchte ſie, und wurde mit ruͤhrender Zaͤrtlichkeit empfangen; bei dem Abſchied fiel ihm die ehrwuͤrdige Frau um den Hals, weinte und ſagte: Wenn wir uns hier nicht wiederſehn, ſo beten Sie doch fuͤr mich, daß mich der Herr vollenden wolle, damit ich Sie dereinſt in ſeinem Reich wiederum, freudiger wie jetzt, moͤge umarmen koͤnnen. Als Stilling von dieſer Reiſe wieder nach Marburg, und vor ſeine Hausthuͤre kam, ſo trat Eliſe heraus, um ih- ren Mann zu empfangen; aber welch ein Anblick! — ein Schwert fuhr durch ſeine Seele — Eliſe ſtand da krumm und ſchief, ihr Halsziehen theilte ſich auch dem obern Koͤrper ſtaͤrker mit — es war ſchrecklich! das Herz blutete fuͤr Mit- leid und Wehmuth, aber das half nicht, es mußte ertragen werden. Indeſſen geſchah Alles, um die gute Frau zu kuri- ren: man verſuchte die wirkſamſten Mittel: Vier Kegel Moca wurden auf ihren Schultern auf der bloßen Haut verbrannt:

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/488>, abgerufen am 25.11.2024.