durch das langwierige Leiden so vorbereitet, daß er eine Wohl- that, eine Erleichterung für ihn war, aber jetzt war es ganz anders.
Daß Selma recht hatte, als sie sagte: sie passe in seinen Lebensgang nicht mehr, das fing er zwar an deutlich einzuse- hen, und im Verfolg fand er es wahr, aber doch war ihr Heimgang herzeingreifend und schrecklich: sie war ihm sehr viel, für ihn ein großes Werkzeug in der Hand seines himmlischen Führers gewesen, und nun war sie nicht mehr da.
Stilling war, als er Selma heirathete, noch nie unter Leuten von vornehmem Stand gewesen: von seinem Herkom- men und Erziehung hing ihm noch Vieles an: in seinem gan- zen Leben und Weben, Gehen und Stehen, Essen und Trin- ken, in der Art sich zu kleiden, besonders aber im Umgang mit vornehmen Leuten, benahm er sich so, daß man im Au- genblick seinen niedern Ursprung bemerkte, immer that er der Sache entweder zu viel oder zu wenig. Dies alles polirte Selma, die ein sehr gebildetes Frauenzimmer war, rein ab. Wenigstens hat man späterhin nie mehr die Bemerkung ge- macht, daß es Stilling an guter Lebensart fehle. Diese Politur war ihm aber auch nöthig: denn nachher fand sichs, daß er bestimmt war, sehr viel mit Personen vom höchsten Rang umzugehen.
Vorzüglich war sie ihm aber in seinem Schuldenwesen ein von Gott gesandter Engel der Hülfe: sie war eine vortreff- liche Haushälterin: mit einem sehr mäßigen Einkommen, in Lautern und Heidelberg hatte sie doch schon über zwei- tausend Gulden Schulden abgetragen, und dadurch alle Kre- ditoren so beruhigt, daß die übrigen zufrieden waren und gern warteten. Die Hauptsache aber war, daß sie alsofort, sobald sie Stilling geheirathet hatte, seine durch den elenden ge- fühllosen Kaufmannsgeist unbarmherziger Kreditoren gequälte Seele dergestalt beruhigte, daß er nicht wußte wie ihm ge- geschah; sie setzte ihn aus einem, jeden Augenblick dem Schiff- bruch drohenden Sturm aufs Trockene. -- Warte du dei- nes Berufs -- sagte sie -- bekümmere dich um nichts, und überlaß mir die Sorge -- und sie hielt treulich
durch das langwierige Leiden ſo vorbereitet, daß er eine Wohl- that, eine Erleichterung fuͤr ihn war, aber jetzt war es ganz anders.
Daß Selma recht hatte, als ſie ſagte: ſie paſſe in ſeinen Lebensgang nicht mehr, das fing er zwar an deutlich einzuſe- hen, und im Verfolg fand er es wahr, aber doch war ihr Heimgang herzeingreifend und ſchrecklich: ſie war ihm ſehr viel, fuͤr ihn ein großes Werkzeug in der Hand ſeines himmliſchen Fuͤhrers geweſen, und nun war ſie nicht mehr da.
Stilling war, als er Selma heirathete, noch nie unter Leuten von vornehmem Stand geweſen: von ſeinem Herkom- men und Erziehung hing ihm noch Vieles an: in ſeinem gan- zen Leben und Weben, Gehen und Stehen, Eſſen und Trin- ken, in der Art ſich zu kleiden, beſonders aber im Umgang mit vornehmen Leuten, benahm er ſich ſo, daß man im Au- genblick ſeinen niedern Urſprung bemerkte, immer that er der Sache entweder zu viel oder zu wenig. Dies alles polirte Selma, die ein ſehr gebildetes Frauenzimmer war, rein ab. Wenigſtens hat man ſpaͤterhin nie mehr die Bemerkung ge- macht, daß es Stilling an guter Lebensart fehle. Dieſe Politur war ihm aber auch noͤthig: denn nachher fand ſichs, daß er beſtimmt war, ſehr viel mit Perſonen vom hoͤchſten Rang umzugehen.
Vorzuͤglich war ſie ihm aber in ſeinem Schuldenweſen ein von Gott geſandter Engel der Huͤlfe: ſie war eine vortreff- liche Haushaͤlterin: mit einem ſehr maͤßigen Einkommen, in Lautern und Heidelberg hatte ſie doch ſchon uͤber zwei- tauſend Gulden Schulden abgetragen, und dadurch alle Kre- ditoren ſo beruhigt, daß die uͤbrigen zufrieden waren und gern warteten. Die Hauptſache aber war, daß ſie alſofort, ſobald ſie Stilling geheirathet hatte, ſeine durch den elenden ge- fuͤhlloſen Kaufmannsgeiſt unbarmherziger Kreditoren gequaͤlte Seele dergeſtalt beruhigte, daß er nicht wußte wie ihm ge- geſchah; ſie ſetzte ihn aus einem, jeden Augenblick dem Schiff- bruch drohenden Sturm aufs Trockene. — Warte du dei- nes Berufs — ſagte ſie — bekuͤmmere dich um nichts, und uͤberlaß mir die Sorge — und ſie hielt treulich
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durch das langwierige Leiden ſo vorbereitet, daß er eine Wohl-
that, eine Erleichterung fuͤr ihn war, aber jetzt war es ganz
anders.
Daß Selma recht hatte, als ſie ſagte: ſie paſſe in ſeinen
Lebensgang nicht mehr, das fing er zwar an deutlich einzuſe-
hen, und im Verfolg fand er es wahr, aber doch war ihr
Heimgang herzeingreifend und ſchrecklich: ſie war ihm ſehr viel,
fuͤr ihn ein großes Werkzeug in der Hand ſeines himmliſchen
Fuͤhrers geweſen, und nun war ſie nicht mehr da.
Stilling war, als er Selma heirathete, noch nie unter
Leuten von vornehmem Stand geweſen: von ſeinem Herkom-
men und Erziehung hing ihm noch Vieles an: in ſeinem gan-
zen Leben und Weben, Gehen und Stehen, Eſſen und Trin-
ken, in der Art ſich zu kleiden, beſonders aber im Umgang
mit vornehmen Leuten, benahm er ſich ſo, daß man im Au-
genblick ſeinen niedern Urſprung bemerkte, immer that er der
Sache entweder zu viel oder zu wenig. Dies alles polirte
Selma, die ein ſehr gebildetes Frauenzimmer war, rein ab.
Wenigſtens hat man ſpaͤterhin nie mehr die Bemerkung ge-
macht, daß es Stilling an guter Lebensart fehle. Dieſe
Politur war ihm aber auch noͤthig: denn nachher fand ſichs,
daß er beſtimmt war, ſehr viel mit Perſonen vom hoͤchſten
Rang umzugehen.
Vorzuͤglich war ſie ihm aber in ſeinem Schuldenweſen ein
von Gott geſandter Engel der Huͤlfe: ſie war eine vortreff-
liche Haushaͤlterin: mit einem ſehr maͤßigen Einkommen, in
Lautern und Heidelberg hatte ſie doch ſchon uͤber zwei-
tauſend Gulden Schulden abgetragen, und dadurch alle Kre-
ditoren ſo beruhigt, daß die uͤbrigen zufrieden waren und gern
warteten. Die Hauptſache aber war, daß ſie alſofort, ſobald
ſie Stilling geheirathet hatte, ſeine durch den elenden ge-
fuͤhlloſen Kaufmannsgeiſt unbarmherziger Kreditoren gequaͤlte
Seele dergeſtalt beruhigte, daß er nicht wußte wie ihm ge-
geſchah; ſie ſetzte ihn aus einem, jeden Augenblick dem Schiff-
bruch drohenden Sturm aufs Trockene. — Warte du dei-
nes Berufs — ſagte ſie — bekuͤmmere dich um nichts,
und uͤberlaß mir die Sorge — und ſie hielt treulich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/465>, abgerufen am 25.11.2024.
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