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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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nen schamhaften Miene, die Niemand ungerührt läßt, blickte
er seitwärts seinem kommenden Sohn ins Angesicht. Dieser
trat mit der innigsten Bewegung seines Herzens vor ihn: hin-
ter ihm stand der Haufen seiner Zuhörer, und Alles lächelte
mit hoher theilnehmender Freude; erst starrten sie sich einige
Augenblicke an, dann fielen sie in eine mit Weinen und Schluch-
zen vermischte stille Umarmung. Nach dieser standen sie wie-
der und sahen sich an.

"Vater! Ihr habt seit 13 Jahren sehr gealtert!"

Das habe ich auch, mein Sohn!

"Nicht -- Sie -- ehrwürdiger Mann! sondern Du! --
"ich bin Euer Sohn und stolz darauf, es zu seyn! -- Euer
"Gebet und Eure Erziehung hat mich zu dem Mann gemacht,
"der ich nun geworden bin, ohne Euch wäre ichs nicht."

Nun, Nun! laß das so -- Gott hats gethan! Er sey
gelobt!

"Mir dünkt, ich stünde vor meinem Großvater, Ihr seyd
"ihm sehr ähnlich geworden, theurer Vater!"

Aehnlich nach Leib und Seele -- ich fühle die innere Ruhe,
die auch er hatte, und wie er handelte, so suchte ich auch zu
handeln.

"Gott, wie hart und steif sind Eure Hände -- wirds Euch
"denn so sauer?"

Er lächelte, wie Vater Stilling, und sagte: ich bin ein
Bauer und zur Arbeit geboren, das ist mein Beruf so, laß
dich das nicht kümmern, mein Sohn! -- es wird mir schwer,
mein Brod zu gewinnen, aber doch habe ich keinen Mangel,
u. s. w.

Nun bewillkommte er auch den Bergmeister herzlich, und
jetzt trat Selma mit ihrem Töchterchen herein, dieß nahm
der Alte an der Hand und sagte sehr beweglich: der All-
mächtige segne dich, mein Kind! -- Selma
setzte
sich hin, schaute den Greis an und vergoß milde Thränen.

Jetzt zerschlug sich die Versammlung, die Herren Studi-
renden gingen fort, und nun fingen die Marburger Freunde

nen ſchamhaften Miene, die Niemand ungeruͤhrt laͤßt, blickte
er ſeitwaͤrts ſeinem kommenden Sohn ins Angeſicht. Dieſer
trat mit der innigſten Bewegung ſeines Herzens vor ihn: hin-
ter ihm ſtand der Haufen ſeiner Zuhoͤrer, und Alles laͤchelte
mit hoher theilnehmender Freude; erſt ſtarrten ſie ſich einige
Augenblicke an, dann fielen ſie in eine mit Weinen und Schluch-
zen vermiſchte ſtille Umarmung. Nach dieſer ſtanden ſie wie-
der und ſahen ſich an.

„Vater! Ihr habt ſeit 13 Jahren ſehr gealtert!“

Das habe ich auch, mein Sohn!

„Nicht — Sie — ehrwuͤrdiger Mann! ſondern Du! —
„ich bin Euer Sohn und ſtolz darauf, es zu ſeyn! — Euer
„Gebet und Eure Erziehung hat mich zu dem Mann gemacht,
„der ich nun geworden bin, ohne Euch waͤre ichs nicht.“

Nun, Nun! laß das ſo — Gott hats gethan! Er ſey
gelobt!

„Mir duͤnkt, ich ſtuͤnde vor meinem Großvater, Ihr ſeyd
„ihm ſehr aͤhnlich geworden, theurer Vater!“

Aehnlich nach Leib und Seele — ich fuͤhle die innere Ruhe,
die auch er hatte, und wie er handelte, ſo ſuchte ich auch zu
handeln.

„Gott, wie hart und ſteif ſind Eure Haͤnde — wirds Euch
„denn ſo ſauer?“

Er laͤchelte, wie Vater Stilling, und ſagte: ich bin ein
Bauer und zur Arbeit geboren, das iſt mein Beruf ſo, laß
dich das nicht kuͤmmern, mein Sohn! — es wird mir ſchwer,
mein Brod zu gewinnen, aber doch habe ich keinen Mangel,
u. ſ. w.

Nun bewillkommte er auch den Bergmeiſter herzlich, und
jetzt trat Selma mit ihrem Toͤchterchen herein, dieß nahm
der Alte an der Hand und ſagte ſehr beweglich: der All-
maͤchtige ſegne dich, mein Kind! — Selma
ſetzte
ſich hin, ſchaute den Greis an und vergoß milde Thraͤnen.

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renden gingen fort, und nun fingen die Marburger Freunde

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[427/0435] nen ſchamhaften Miene, die Niemand ungeruͤhrt laͤßt, blickte er ſeitwaͤrts ſeinem kommenden Sohn ins Angeſicht. Dieſer trat mit der innigſten Bewegung ſeines Herzens vor ihn: hin- ter ihm ſtand der Haufen ſeiner Zuhoͤrer, und Alles laͤchelte mit hoher theilnehmender Freude; erſt ſtarrten ſie ſich einige Augenblicke an, dann fielen ſie in eine mit Weinen und Schluch- zen vermiſchte ſtille Umarmung. Nach dieſer ſtanden ſie wie- der und ſahen ſich an. „Vater! Ihr habt ſeit 13 Jahren ſehr gealtert!“ Das habe ich auch, mein Sohn! „Nicht — Sie — ehrwuͤrdiger Mann! ſondern Du! — „ich bin Euer Sohn und ſtolz darauf, es zu ſeyn! — Euer „Gebet und Eure Erziehung hat mich zu dem Mann gemacht, „der ich nun geworden bin, ohne Euch waͤre ichs nicht.“ Nun, Nun! laß das ſo — Gott hats gethan! Er ſey gelobt! „Mir duͤnkt, ich ſtuͤnde vor meinem Großvater, Ihr ſeyd „ihm ſehr aͤhnlich geworden, theurer Vater!“ Aehnlich nach Leib und Seele — ich fuͤhle die innere Ruhe, die auch er hatte, und wie er handelte, ſo ſuchte ich auch zu handeln. „Gott, wie hart und ſteif ſind Eure Haͤnde — wirds Euch „denn ſo ſauer?“ Er laͤchelte, wie Vater Stilling, und ſagte: ich bin ein Bauer und zur Arbeit geboren, das iſt mein Beruf ſo, laß dich das nicht kuͤmmern, mein Sohn! — es wird mir ſchwer, mein Brod zu gewinnen, aber doch habe ich keinen Mangel, u. ſ. w. Nun bewillkommte er auch den Bergmeiſter herzlich, und jetzt trat Selma mit ihrem Toͤchterchen herein, dieß nahm der Alte an der Hand und ſagte ſehr beweglich: der All- maͤchtige ſegne dich, mein Kind! — Selma ſetzte ſich hin, ſchaute den Greis an und vergoß milde Thraͤnen. Jetzt zerſchlug ſich die Verſammlung, die Herren Studi- renden gingen fort, und nun fingen die Marburger Freunde

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/435>, abgerufen am 22.11.2024.