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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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Mutter reisen, den Sohn aber that er in der Gegend von
Heilbronn, bei einem sehr rechtschaffenen Prediger, in eine
Pensions-Anstalt. Selma hatte drei Kinder gehabt: ein
Söhnchen und eine Tochter waren aber schon in Heidel-
berg
gestorben, das jüngste Kind also, ein Mädchen von Ei-
nem Jahre, nahm er mit nach Marburg.

Nach diesem Ort seiner Bestimmung reiste er auf Ostern
1787 mit Frau und Kind ab. In Frankfurt kehrte er
abermals bei seinem alten und treuen Freund Kraft ein, der
sich nun über den herrlichen Ausgang seiner schweren Schick-
sale herzlich freute, und mit ihm Gott dankte.

In Marburg wurde er von allen Gliedern der Universi-
tät recht herzlich und freundschaftlich empfangen und aufge-
nommen; es war ihm, als käm' er in sein Vaterland und zu
seiner Freundschaft. Selbst diejenigen, die ihm entgegen ge-
wirkt hatten, wurden seine besten Freunde, sobald sie ihn
kennen lernten, denn ihre Absichten waren rein und lauter
gewesen.

Nachdem er nun sein Lehramt mit Zuversicht und im Ver-
trauen auf den göttlichen Beistand angetreten und sich gehö-
rig eingerichtet hatte, so drang ihn sein Herz, nun einmal
wieder seinen alten Vater Wilhelm Stilling zu sehen;
die Reise des ehrwürdigen Greises war nicht groß und be-
schwerlich, denn Stillings Vaterland und Geburtsort ist
nur wenige Meilen von Marburg entfernt, er schrieb also
an ihn, und lud ihn ein, zu ihm zu kommen, weil er selbst
keine Zeit hatte, die Reise zu machen. Der liebe Alte ver-
sprach das mit Freuden, und Stilling machte daher An-
stalt, daß er mit einem Pferde abgeholt wurde: dieses alles
besorgte der Sohn Johann Stilling, der Bergmeister zu
Dillenburg.

Gerne hätte er auch seinen Oheim, den Johann Stil-
ling
, gesehen. Allein diesen hatte schon ein Jahr vorher der
große Hausvater aus seinem Tagewerk abgerufen, und ihn in
einen weiten Wirkungskreis versetzt. In seinen letzten Jah-
ren war er Ober-Bergmeister gewesen, und hatte ungemein

Mutter reiſen, den Sohn aber that er in der Gegend von
Heilbronn, bei einem ſehr rechtſchaffenen Prediger, in eine
Penſions-Anſtalt. Selma hatte drei Kinder gehabt: ein
Soͤhnchen und eine Tochter waren aber ſchon in Heidel-
berg
geſtorben, das juͤngſte Kind alſo, ein Maͤdchen von Ei-
nem Jahre, nahm er mit nach Marburg.

Nach dieſem Ort ſeiner Beſtimmung reiste er auf Oſtern
1787 mit Frau und Kind ab. In Frankfurt kehrte er
abermals bei ſeinem alten und treuen Freund Kraft ein, der
ſich nun uͤber den herrlichen Ausgang ſeiner ſchweren Schick-
ſale herzlich freute, und mit ihm Gott dankte.

In Marburg wurde er von allen Gliedern der Univerſi-
taͤt recht herzlich und freundſchaftlich empfangen und aufge-
nommen; es war ihm, als kaͤm’ er in ſein Vaterland und zu
ſeiner Freundſchaft. Selbſt diejenigen, die ihm entgegen ge-
wirkt hatten, wurden ſeine beſten Freunde, ſobald ſie ihn
kennen lernten, denn ihre Abſichten waren rein und lauter
geweſen.

Nachdem er nun ſein Lehramt mit Zuverſicht und im Ver-
trauen auf den goͤttlichen Beiſtand angetreten und ſich gehoͤ-
rig eingerichtet hatte, ſo drang ihn ſein Herz, nun einmal
wieder ſeinen alten Vater Wilhelm Stilling zu ſehen;
die Reiſe des ehrwuͤrdigen Greiſes war nicht groß und be-
ſchwerlich, denn Stillings Vaterland und Geburtsort iſt
nur wenige Meilen von Marburg entfernt, er ſchrieb alſo
an ihn, und lud ihn ein, zu ihm zu kommen, weil er ſelbſt
keine Zeit hatte, die Reiſe zu machen. Der liebe Alte ver-
ſprach das mit Freuden, und Stilling machte daher An-
ſtalt, daß er mit einem Pferde abgeholt wurde: dieſes alles
beſorgte der Sohn Johann Stilling, der Bergmeiſter zu
Dillenburg.

Gerne haͤtte er auch ſeinen Oheim, den Johann Stil-
ling
, geſehen. Allein dieſen hatte ſchon ein Jahr vorher der
große Hausvater aus ſeinem Tagewerk abgerufen, und ihn in
einen weiten Wirkungskreis verſetzt. In ſeinen letzten Jah-
ren war er Ober-Bergmeiſter geweſen, und hatte ungemein

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[425/0433] Mutter reiſen, den Sohn aber that er in der Gegend von Heilbronn, bei einem ſehr rechtſchaffenen Prediger, in eine Penſions-Anſtalt. Selma hatte drei Kinder gehabt: ein Soͤhnchen und eine Tochter waren aber ſchon in Heidel- berg geſtorben, das juͤngſte Kind alſo, ein Maͤdchen von Ei- nem Jahre, nahm er mit nach Marburg. Nach dieſem Ort ſeiner Beſtimmung reiste er auf Oſtern 1787 mit Frau und Kind ab. In Frankfurt kehrte er abermals bei ſeinem alten und treuen Freund Kraft ein, der ſich nun uͤber den herrlichen Ausgang ſeiner ſchweren Schick- ſale herzlich freute, und mit ihm Gott dankte. In Marburg wurde er von allen Gliedern der Univerſi- taͤt recht herzlich und freundſchaftlich empfangen und aufge- nommen; es war ihm, als kaͤm’ er in ſein Vaterland und zu ſeiner Freundſchaft. Selbſt diejenigen, die ihm entgegen ge- wirkt hatten, wurden ſeine beſten Freunde, ſobald ſie ihn kennen lernten, denn ihre Abſichten waren rein und lauter geweſen. Nachdem er nun ſein Lehramt mit Zuverſicht und im Ver- trauen auf den goͤttlichen Beiſtand angetreten und ſich gehoͤ- rig eingerichtet hatte, ſo drang ihn ſein Herz, nun einmal wieder ſeinen alten Vater Wilhelm Stilling zu ſehen; die Reiſe des ehrwuͤrdigen Greiſes war nicht groß und be- ſchwerlich, denn Stillings Vaterland und Geburtsort iſt nur wenige Meilen von Marburg entfernt, er ſchrieb alſo an ihn, und lud ihn ein, zu ihm zu kommen, weil er ſelbſt keine Zeit hatte, die Reiſe zu machen. Der liebe Alte ver- ſprach das mit Freuden, und Stilling machte daher An- ſtalt, daß er mit einem Pferde abgeholt wurde: dieſes alles beſorgte der Sohn Johann Stilling, der Bergmeiſter zu Dillenburg. Gerne haͤtte er auch ſeinen Oheim, den Johann Stil- ling, geſehen. Allein dieſen hatte ſchon ein Jahr vorher der große Hausvater aus ſeinem Tagewerk abgerufen, und ihn in einen weiten Wirkungskreis verſetzt. In ſeinen letzten Jah- ren war er Ober-Bergmeiſter geweſen, und hatte ungemein

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/433>, abgerufen am 17.06.2024.